Im Seitenwinkel beobachte ich durch das schmale Fenster meines Schlafabteiles wie die brennende und unbarmherzige Sonne langsam hinter den vorbeiziehenden Bäumen untergeht und den Wagon schrittweise in Dunkelheit hüllt. Nach einer gewissen Zeit verschwinden auch die Lichter unter dem geschlossenen Türspalt. Der Schlafentzug beginnt schon, in der Arena wird mir das ein Nachteil sein.
Auch wenn ich mich bemühe meinen Herzschlag zu verlangsamen und keine Emotionen zu zeigen, meine Körperreaktionen kann ich nicht gänzlich abstellen. Ich hatte kein Problem in der Arena zu sterben dennoch bedeutet das nicht, dass ich keine Angst habe. Die Chancen lebend aus der Spielarena zu kommen sind nicht sehr hoch und dabei kenne ich noch nicht einmal die anderen Teilnehmer. Möglicherweise wurden bei der Ernte in den anderen Distrikten Menschen gezogen, mit welchen ich mich immer gut verstanden habe.
Nicht, dass mich ausschließlich das beklemmende Gefühl in meinem Brustkorb wachhält. Zur selben Zeit geht mir unglaublich viel durch den Kopf. Meine auf Strategie ausgelegten Gedankengänge malen sich die kommenden Begebenheiten aus und kreisen um die unbekannte Situation. Natürlich war ich schonmal ein Tribut in den Spielen, aber die Arenen sehen von Jahr zu Jahr unterschiedlich aus. Extreme Wetterbegebenheiten, als ich noch sehr klein war gab es eine Wüstenarena und im folgenden Jahr eine Eislandschaft. Die Spielmacher haben verschiedene Herangehensweisen, bauen sie auf brutale und imposante Mutationen oder schränken sie die Nahrungssuche ein. Und dieses Jahr ist nicht ein beliebiges Jahr, es werden die fünfundsiebzigsten Hungerspiele, das dritte offizielle Jubeljubiläum.
Ich wälze mich in den seidenen Bettlaken, doch irgendwann halte ich die Selbstquälerei nicht mehr aus und richte mich auf. Barfuß schleiche ich auf Zehenspitzen aus meinem Schlafabteil und bewege mich leise durch den teppichbelegten, schmalen Flur in den hinteren Bereich des Zuges. Es ist nicht ausdrücklich verboten sich Nachts frei ohne Aufsicht zu bewegen, deswegen nutze ich diese Freiheit auch. Aus einem der nächsten Schlafabteile höre ich ein ausgiebiges Schnarchen, ich schätze Grier hat an diesem Abend ordentlich getrunken und ist in einen tiefen, komatösen Schlaf gesunken. Zielgerichtet steuere ich das letzte Abteil an, das Panoramafenster zeigt immer die ziehende Landschaft in ihrer vollen Blüte und meine Augen haben ständig genug zu mustern, um müde zu werden.
Ich ziehe die Schiebetür hinter mir zu und drehe mich zu der Sitzbank, doch als ich eine Person darauf entdecke versuche ich nicht zusammenzuzucken.
"Mr. Coventry", formuliere ich meine Wortwahl gewählt und offiziell entfährt es mir und der Angesprochene sieht sofort in meine Richtung. Gemütlich hat er seine Sitzposition eingenommen und die Füße ebenfalls auf der Bank abgestellt. Ich bleibe an der Tür stehen und sehe zu seinem ruhigen Gesichtsausdruck. Meine Augen huschen prüfend durch den Raum und halten nach einer weißen Friedenswächteruniform Ausschau, doch niemand anderes scheint sich in dem letzten Abteil zu befinden weshalb meine Körperspannung augenblicklich nachlässt und ich den jungen Stylisten wieder fixiere. Frech grinsend beobachtet er meine Vorsicht aus der Distanz und hält ein amüsantes Kommentar zurück. Wir begegnen uns immer formell, wenn wir an die Öffentlichkeit treten, doch wenn wir alleine sind benehmen wir uns nicht derartig lächerlich.
Anhand seines halbaufgeknöpften Hemdes und den leicht zerzausten dunkelblonden Haaren kann ich erkennen, dass er nicht sonderlich zur Ruhe gekommen sein muss. Locker sitzt er auf der Fensterbank mit ausgestreckten Beinen, am Boden stehen unterschiedliche Utensilien zum mischen von Drinks.
Da wir nicht Gefahr laufen um diese Uhrzeit von meinem Mittribut, Mentor oder einem der Friedenswächter entdeckt zu werden, nähere ich mich dem Panoramafenster und mein Stylist richtet sich leicht auf. Elegant platziere ich mich ungeniert zwischen seinen Beinen und lehne mich mit meinem Rücken gegen seine Brust, während ich aus dem Fenster sehe. Im ersten Moment spannt er sich aus Überraschung leicht an, doch schon nach kurzer Zeit entspannt er sich und ich kann ihn leise lachen hören. Vertraute Gesten wie diese sind für mich nicht üblich, doch wenn dann geschehen sie immer gegenüber meinem Begleiter. Und nach einem solchen Ereignistag brauche ich das vielleicht einfach.
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ɔıε тяıвυтε νσп ραпεм - ɔεя ƨρσтттöʟρεʟ υпɔ ɔıε пαcнтıɢαʟʟ
Hayran KurguSeit ihren Hungerspielen führt Larea Salvatore ein einsames Leben in Distrikt zehn. Die Siegerin der 72. Hungerspiele, auch die Nachtigall des Kapitols genannt, ist nicht nur Sängerin bei dem alljährlichen grausamen Spektakel sondern auch seit zwei...