Generis hakte die Finger in die Löcher in der Glasscheibe und spähte neugierig hinaus. Von Emevra war schon seit einiger Zeit nichts mehr zu hören und zu sehen, worüber er ganz froh war. Jede Minute, die er sie nicht ertragen musste, war eine kostbare Minute.
Dennoch war er aufgeregt, denn sollte Ethonis heute Morgen nicht gelogen haben, würde er Laskina abholen und sie hier her bringen. Auch wenn seine Motive fraglich waren, wollte Generis sie als Freundin. Er wusste nicht, wieso er dieses drängende Verlangen spürte, vielleicht weil er seit er hier war gewissermaßen in Isolation lebte.
Angestrengt lauschte er auf das vertraute Getrappel der Hufe, das die Ankunft der Kutsche verkündete, aber es blieb ungewöhnlich lange still. Zu still. War etwas nicht in Ordnung?
Unwillkürlich ging er zur Tür, doch natürlich war sie verschlossen. Dennoch rüttelte er daran, als könnte er sie allein durch seine Kraft öffnen.
Vor seinem inneren Auge sah er Laskina, ihr braunes, langes Haar flatterte im Wind und sie lachte. Er konnte nur zu gut verstehen, warum Ethonis sich zu ihr hingezogen fühlte, auch wenn sie deutlich jünger war als er. Generis schnaubte und versuchte, sich nicht zu sehr in der Vorfreude zu verlieren, denn sonst wäre er nur zu enttäuscht, wenn Laskina heute nicht auftauchen würde.
Genervt von der allumfassenden Langeweile fing er an, auf und ab zu gehen. Immer wieder warf er Blicke in den Wohnbereich seiner Eltern, doch weder wurde die Tür geöffnet, die hinaus in den Garten führte, noch hörte er die heranfahrende Kutsche.
Eine ganze Weile ließ er die Gedanken treiben und wanderte auf und ab, bis er auf einmal ein Geräusch hörte. Sofort hielt er inne, doch als er genauer hinhörte, erkannte er, dass es Emevras Schritte waren, die eindeutig näher kamen. Mitten in seinem Zimmer blieb er stehen, denn er wollte nicht zu nah an die Scheibe treten, falls sie den Stich dabei hatte.
Diese Waffe war der einzige Grund, warum die Hohen Menschen Macht über die Tiere hatten. Denn in ihrer Kraft und Schnelligkeit waren die meisten Tiere den Menschen weit überlegen, so auch er. Allerdings hatten sie mehrere Giftwaffen wie den Stich, den sie ohne zu zögern einsetzten. Dabei handelte es sich um eine Art Speer aus schwarzem Metall, aus dem jede Menge kleine Nadeln herausschossen, wenn sie auf einen Körper trafen. Diese Nadeln waren gefüllt mit einem starken Nervengift, das das Opfer nicht nur für einige Stunden außer Gefecht setzte, sondern auch die Gehirnzellen absterben ließ.
Er wusste, dass es draußen in der Welt Lebewesen gab, die so oft mit dem Gift des Stichs in Berührung gekommen waren, dass sie wie lebende Tote umher wandelten, ohne ihre Umwelt wahrzunehmen. Ihr Körper funktionierte noch, doch ihr Gehirn war unwiderruflich zerstört.
Generis schüttelte es bei der Vorstellung, genau so zu enden. Bevor er länger darüber nachdenken konnte, trat Emevra in sein Sichtfeld, wie üblich mit einem deutlichen Sicherheitsabstand zur Glasscheibe zwischen ihnen. Generis folgte ihr, bis sie schließlich in der Mitte des Raumes stehen blieb und ihn ansah. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und ohne es verhindern zu können, betrachtete er sie genauer.
Sie war schlank und steckte in einer schwarzen Hose aus glänzendem Stoff, dazu trug sie eine Seidenbluse, die glitzerte. Ihre braunen Haare hatte sie zu einer aufwändigen Frisur hochgesteckt, doch all ihre äußerliche Schönheit wurde von ihrem verrotteten Inneren überschattet.
Abschätzig sah sie zu ihm und er spürte die Verachtung in ihrem Blick, zusammen mit der Furcht. Generis erwiderte ihren Blick, sagte aber nichts. Beinahe war es so, als führten sie ein stummes Duell aus, wer zuerst den Blick abwandte. Generis wusste, dass er es nicht sein würde und tatsächlich wandte Emevra schon nach wenigen Sekunden den Kopf zur Seite.

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Der Biss der Schlange
Science FictionIn einer Welt, geprägt von Unterdrückung, Gewalt und Leid scheint das Leben wenig lebenswert. Zumindest, wenn man zu denjenigen gehört, die unterdrückt werden, Gewalt und Leid erfahren. Doch sind es nicht genau diejenigen, die eine ungeahnte Energie...