Kapitel 12

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Noch einmal drücke ich auf den Klingelknopf, während ich abwartend auf die weiße Eingangstür meines Elternhauses blicke.

Nachdem ich mich von Ryan verabschiedet und Anna gesimst hatte, dass wir heute Abend unbedingt telefonieren müssten, war ich direkt zu meinen Eltern gefahren. Meine Mutter beschwerte sich eh immer, wenn ich zu spät zum Essen kam. Früher hatte ich das nie verstanden, aber mittlerweile konnte ich ganz gut nachvollziehen, dass es nicht besonders schön war, wenn man stundenlang in der Küche stand und das nicht wenigstens ein bisschen wertgeschätzt wurde. Aus diesem Grund hatte ich mich eben auch mit der Nachricht an meine beste Freundin vergnügt und davon abgesehen, einen kleinen Umweg durch die Innenstadt zu nehmen und auf Glück im Cafè vorbeizuschauen, was ich eigentlich getan hätte, weil Anna nicht direkt auf meine Nachricht antwortete. Das war gar nicht ihre Art, aber ich hatte keine Zeit mir Sorgen zu machen, wenn ich nicht zu spät kommen wollte und deshalb beschlossen, erst damit anzufangen, wenn ich bis heute Abend nichts von ihr gehört hatte. Vielleicht hatte sie auch nur eine spontane Schicht übernommen und konnte deswegen nicht schreiben.

Dass ich jetzt vor verschlossenen Türen stehe, lässt mich aber an der Entscheidung zweifeln. Mit einem Seufzen fange ich an, in meiner Tasche herum zu wühlen, um den Schlüssel zur Wohnung meiner Eltern heraus zu kramen, als ich Schritte hinter der Tür höre. Kurz darauf knackt es im Schloss. Ich lasse Tampons, Portemonnaie, Autoschlüssel, Handy und Kopfhörer wieder in die Untiefen meines Beutels fallen, fast schon froh, dass ich nicht den kompletten Inhalt auf den Stufen ausleeren musste und setze stattdessen ein leichtes Lächeln auf.

"Hallo mein Schatz!" es ist meine Mutter, die mir die Tür öffnet und mich kurz in die Arme schließt. "Tut mir leid, dass du kurz warten musstest, ich wusste nicht, wann genau du kommst und war gerade noch dabei, das letzte Formular für einen Kunden fertig zu machen, Du kannst dir ja nicht vorstellen, was Home Office für eine Umstellung ist! Fluch und Segen zugleich," redet sie weiter, ehe sie mir einen Kuss auf die Wange drückt. "Hey Mum," erwidere ich sanft und ziehe sie an mich, bevor sie sich auch schon wieder aus meiner Umarmung lösen kann. "Es ist ja schon ewig her, dass ich dich zu Gesicht bekommen habe," spricht sie weiter, nachdem ich meinen Griff gelöst habe, und sieht mich fast ein bisschen vorwurfsvoll dabei an. "Und dann gehst du auch nie an dein Telefon! Ständig hängt ihr jungen Leute an den Dingern, aber wenn man euch mal erreichen will, seid ihr wie vom Erdboden verschluckt." Sie pustet sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht, die sich aus ihrem strengen Dutt gelöst haben muss und stemmt die Hände in die Hüften. Ich versuche krampfhaft das Schmunzeln zu unterdrücken, was sich auf meine Lippen stehlen will und rolle stattdessen nur mit den Augen. "Ich weiß, es tut mir leid," sage ich trotzdem, während ich mich aus der Jacke schäle und sie an die Garderobe im Flur hänge und aus meinen Turnschuhen schlüpfe. Kurz huscht mein Blick zu den Fotos, die an der Wand neben dem großen Spiegel hängen. Familienfotos von vor ein paar Jahren, wie man sie in einem Katalog für einen Fotografen finden würde. Man blickt direkt in die glücklich lächelnden Gesichter und Menschen, die sich gegenseitig im Arm halten. Jedes Jahr hatten meine Eltern darauf bestanden, ein Bild zu machen, damit wir unsere "Tradition" fortsetzen, hatten sie gesagt. Eigentlich hatten mein Bruder und ich uns immer darüber lustig gemacht, wie bescheuert diese Idee doch war, dass wir eigentlich nur ein Bild aus einem Rahmen von Ikea kaufen müssten und uns die Zeit, die wir auf den unbequemen Stühlen in irgendeinem Studio saßen, sparen konnten, doch jetzt fehlte es mir fast ein wenig. Der Gedanke daran versetzt mir einen kleinen Stich. Ein paar Sekunden verharrt mein Blick noch auf dem Bild, dann wende ich mich wieder zu meiner Mutter um.

"Es ist nur gerade schrecklich viel los auf der Arbeit, wegen eines Falles, an dem ich gerade arbeite," versuche ich mich dennoch mit einem entschuldigenden Lächeln zu erklären, was nur dazu führt, dass meine Mutter die Arme vor der Brust verschränkt. "Du arbeitest zu viel, nicht, dass du dich übernimmst." sagt sie prompt und mustert mich tadelnd, vielleicht auch ein bisschen besorgt. Ich seufze leise. Nicht das schon wieder.

The DealWo Geschichten leben. Entdecke jetzt