Abgetaucht: Kritik zu "Erfrorene Seele"

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geschrieben von: Atlas96

Genre: Thriller/Mystery

Mit einem Satz: Wuchtig detailliert, bis man erstickt.

Wertung: 29 von 40 Sternen

Maaannn, knappe Kiste! Das wäre fast ein "Sehr nice" geworden. Leider noch "Kann man gut lesen". Aber fast...!

Ganz ehrlich: Ich habe bis jetzt noch keine Geschichte auf Wattpad gefunden, die so lange Kapitel hat. War ich bis jetzt oft enttäuscht, wenn ein Kapitel nicht mal eine Seite gefüllt hat, so liest man hier gut und gerne mal eine halbe Stunde für einen Abschnitt. Die Frage die sich bei solchen Ausmaßen stellt: Lohnt sich die Geschichte?

Durch Zufall entdeckt die 18-jährige Wiebke ein verschollenes Tagebuch ihrer ebenso verschwundenen Mutter. Einziger Haken: Das Buch ist in grönländisch verfasst. Um ihre Mutter wiederzufinden macht sich Wiebke also auf nach Grönland und lässt ihren alkoholkranken Vater zurück. Trotz ihrer neugewonnen Freundin Moa gestaltet sich die Suche als schwierig, denn Wiebke muss sich nicht nur mit der Vergangenheit ihrer Mutter auseinander setzen...

Nun zur Bewertung:

Kategorie 1: Der erste Eindruck

Kälte, Einsamkeit, Weite. Das sind Begriffe, die mir spontan zu Grönland einfallen. Der Titel "Erfrorene Seele" passt alleine in diesem Bezug schon sehr gut. Zusätzlich eignet er sich auch, was den Fokus der Geschichte angeht: Das Zentrum der Story ist Wiebke, keine Frage.

DasCover passt sehr gut zur Geschichte: Genauso wie die Story wirkt es eher kühl, farblos (im positiven Sinn) und etwas bedrückend. Perfekt für das Genre "Thriller/Mystery" wäre es mit mehr kalten Blautönen und etwas mehr Helligkeit gewesen. Ich persönlich mag es immer, wenn der Titel mit auf dem Cover steht, aber das ist Geschmackssache.

Für den Einstieg hat die Autorin einen uneingeleiteten Dialog gewählt. Die einzelnen Personen werden nicht vorgestellt, was die Dramatik des Dialogs unterstützt und ihn spannend macht. Jedoch stellen sich einem die Beschreibungen immer wieder in den Weg: Wie kann ich Mondlicht von unten sehen? Ist vielleicht der Mond gemeint? Und wie kann überhaupt ein Gesicht knien? Trotz dieser Ungereimtheiten wird der Ernst der Situation fassbar, man will einfach weiterlesen.

Einzelwertung: 4 von 5 Sternen

Kategorie 2: Die Spannung

So wunderbar der Einstieg in die Geschichte gelungen ist, so schnell verfließt die Neugier immer mehr in einem Wald aus Beschreibungen. Die Gipfel der Spannung in "Erfrorene Seele" sind zwar wunderschön, die Aussicht ist atemberaubend, die Luft klar und erfrischend. Aber man blickt auf gewaltige Ebenen herab, der nächste Höhepunkt ist nicht in Sicht. Und dazwischen? Wälder, so weit das Auge reicht, dicht, undurchdringbar. In diesen Wälder aus Bildern und Beschreibungen kommt man sich oft vor wie ein Schatzjäger, der sich seinen Weg mit der Machete bahnen muss und dem vielleicht bald die Kräfte versagen. Ständig ist man der Gefahr ausgesetzt, sich zu verirren und den roten Faden zu verlieren, vom Weg abzukommen und nicht wieder zurückzufinden. Warum wurde dieser Wald nicht gelichtet? Die Höhepunkt sind atemberaubend schön, unvergessen bleibt der Wutausbruch des Vaters auf seine Kündigung. Würde man diese Gipfel nur früher sehen...

Einzelwertung: 2 von 5 Sternen

Kategorie 3: Die Entwicklung der Hauptfigur

Es wurde sehr geschickt vermieden, die Protagonistin auch nur ansatzweise explizit zu beschreiben. Sätze wie "Ich bin ehrgeizig." oder "Manchmal kann ich lustig sein.", die wie braune Bananen aussehen und denen man nicht so recht traut, findet man nicht, zum Glück. Stattdessen sind es die Handlungen und die kaum fassbare Gedankenwelt, die uns Wiebke so detailliert präsentiert, die den Charakter unserer Heldin immer genauer zeichnen. Dagegen lassen sich Veränderungen fast gar nicht richtig fassen und wenn, dann bemerkt man dies nur allmählich. Das ist aber nicht weiter tragisch, denn da sich die Offenbarung von Wiebkes Wesen über Kapitel erstreckt, fällt dieses Defizit nicht weiter auf.

Einzelwertung: 4 von 5 Sternen

Kategorie 4: Die Nebencharaktere

Nebencharaktere kommen vor. Soviel muss gesagt werden, denn man könnte es fast vergessen. Der Fokus der Geschichte liegt so sehr auf der Gedankenwelt und Sichtweise Wiebkes, andere Personen tauchen immer nur wieder schlaglichtartig auf. Schade, denn der eine oder andere Perspektivwechsel würde manchmal guttun und wie ein Schwung kaltes Wasser ins Gesicht wirken.

Einzelwertung: 2 von 5 Sternen

Kategorie 5: Das Setting

Kühl, etwas grau, geheimnisvoll. Regnerisch, von Nebel schwer verhangen. So in etwa muss die Umgebung auf den Leser wirken, die die Autorin mit Worten malt. Sehr gelungen für ein das Genre Thriller/Mystery und für ein Land, von dem wohl die meisten Menschen nur so viel wissen, dass es im Norden liegen muss und dass es dort oben sehr kalt ist.

Einzelwertung: 5 von 5 Sternen

Kategorie 6: Der Verlauf

Die Zeit scheint vor sich hinzutröpfeln, man kann nicht oft wirklich abschätzen, wie viel Zeit bereits vergangen sein muss. Das liegt v.a. daran, dass die Autorin sehr dehnend erzählt und mit Beschreibungen nicht spart. Leider wechselt dieses Tempo fast nie und so hat man das Gefühl, ständig mit der gleichen Geschwindigkeit durch die Geschichte zu fahren: Der sprichwörtliche Kaugummi zieht sich teilweise ziemlich...

Einzelwertung: 3 von 5 Sternen

Kategorie 7: Der Stil

Anspruchsvoll! Nicht nur, dass die Sätze länger als gewöhnlich auf Wattpad sind. Sondern auch die Bildlichkeit. Es wird vom Leser verlangt, sich in diese Bilder, in die man sich manchmal etwas reinfinden muss, einzupassen. Ich persönlich finde das klasse, man muss mitdenken, es wurde oft sehr detailliert gemalt.

Allerdings reihen sich manchmal diese Bilder, man wünscht sich eine Durchbrechung dieses Detailreichtums. Teilweise wirkt es übertrieben bis stelzig, der rote Faden geht geradezu in dem Wald aus Einzelheiten und Beschreibungen verloren und blitzt nur kurz hervor. Lange und kurze Sätze wechseln sich streckenweise gar nicht ab, man kommt gedanklich fast nicht zum Luftholen. Folgt man trotz Atemnot den Sätzen in allen Einzelheiten, kommen Perlen zutage, die man auf Wattpad nur sehr, sehr selten findet: Ein Wortschatz, der Wörter wie kapriziös und Melange aufführt, macht eine wahre Freude und zeigt: Hier hat's jemand drauf.

Einzelwertung: 4 von 5 Sternen

Kategorie 8: Die Rechtschreibung

Sehr gut, nur hin und wieder Fehler. Es scheint so, als wären manche Passagen vor der Veröffentlichung nicht nochmal durchgelesen worden. Meistens kann man das aber schnell im Kopf berichtigen.

Einzelwertung: 5 von 5 Sternen


Mich würde natürlich interessieren, wie euch diese Bewertung gefallen hat! Also, ab in die Kommentare damit. ;)

Du möchtest eine Geschichte vorschlagen, die ich mir genauer ansehen soll? Immer her damit. :)


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Euer Grimlorn


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