Kapitel 14 Fluch und Segen

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"Robert veränderte sich. Anfangs war er sehr rücksichtsvoll und kümmerte sich um mich. Doch je mehr Zeit verging, umso komischer wurde er. Ihm fehlte seine Arbeit, er langweilte sich. Deshalb wollte er nach St Louis und stellte Ribanna vor vollendete Tatsachen. Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht in die Stadt ziehen will, doch er hat das nur abgewunken und gemeint, ich würde mich schon daran gewöhnen. Das Wichtigste sei doch, dass wir beisammen sind."
Sie machte eine kurze Pause und atmete einmal tief durch, auch Winnetou schluckte, nachdem er den letzten Satz gehört hatte.

"Ich habe immer wieder versucht, mit ihm zu sprechen, doch er ignorierte es und vertröstete mich. Irgendwann wurde es mir zu viel, ich habe ihn angeschrien, dass er mir endlich zuhörte. Da rastete er aus." Die letzten Worte hatte sie fast tonlos gesprochen, doch Winnetou verstand sie.
"Was hat Robert getan?" Winnetou merkte, wie die Wut in ihm brodelte. "Hat Robert Ribanna geschlagen?"
Nun sah er ihr direkt in ihre dunklen Augen, aus derem linken eine Träne über die Wange rann. Sie nickte kaum merklich, doch Winnetou sprang direkt auf.
"Warte!" rief sie. "Was hat Winnetou vor?"
"Robert wird seine Strafe bekommen. Dieser Kojote, ein Mann schlägt keine Frauen." Er war im Begriff, aus dem Zelt zu stürmen, doch Ribanna hielt ihn am Arm fest.
"Winnetou, bleib! Bitte." Sie sah die pure Wut in seinen Augen, so hatte sie ihn noch nie erlebt. Winnetou, der immer rational denkt, immer für den Frieden einsteht. Der aber auch für Gerechtigkeit kämpft.

Winnetou blieb. Zuerst fiel es ihm schwer, denn konnte er dieses Verhalten nicht ungestraft lassen, doch Ribanna bat ihn, flehte ihn beinahe an, nicht zu gehen. Und sie hatte Recht, schließlich hätte er sich sonst selbst verraten und Ribanna in Gefahr gebracht.

Die beiden saßen noch einige Zeit im Tipi, irgendwann am Abend kam Old Shatterhand und erkundigte sich, wie es Ribanna ging. Zu dritt schmiedeten sie einen Plan. So sollte sie die nächste Zeit hier bleiben, so, wie die beiden Blutsbruder es bereits nach Abreise Roberts und Tah-scha-tungas besprachen. Es sollten einige Späher losgesandt werden, die das Fort im Auge behalten sollten, zusätzlich verstärkte Wachen am Rio Pecos. Sie beschlossen, zunächst abzuwarten, was passieren würde. Jedenfalls war Ribanna sicher, solange sie bei Winnetou und Old Shatterhand war.

So vergingen die nächsten Wochen, allmählich wurde es wärmer und der Schnee schmolz. Sie lebte das Leben einer typischen Squaw, wenn sie auch unter besonderem Schutz stand. Sie freundete sich mit einigen Mädchen an, unter anderem auch mit Chapawee, der Tocher des Medizinmannes und seiner Frau. Da sie noch einige Zeit ihr Knie verbinden ließ, bis es nach den von Hakana vorhergesagten zehn Tagen wieder vollständig geheilt war, kam sie auch öfters mit Chapawee ins Gespräch. Mit ihr verbrachte sie viel Zeit. Dennoch wich Winnetou ihr kaum von der Seite. So gut es ging, ließ er sich von älteren Kriegern vertreten. Nur, wenn es um Verhandlungen oder sonstige Zusammenkünfte mit anderen Stämmen ging, verließ er das Pueblo, sorgte aber immer dafür, dass jemand bei Ribanna war. Nur einmal war einem jungen Krieger der Cherokees aufgefallen, dass der Apatchenhäuptling bei einem Streifzug durch die Prärie fehlte, doch selbstverständlich hatte er vorgesorgt und seine Krieger angehalten, den Neugierigen zu erzählen, er wäre bei der Jagd verwundet worden. Nicht stark, ein Büffel habe ihn am Bein verletzt und er würde sich nun erst einmal schonen müssen. Damit war die Sache getan.
Die Späher meldeten schon bald, dass das Fort und auch die Assiniboins offenbar aufhörten, nach Ribanna zu suchen. Doch die Sicherheitsvorkehrungen behielt Winnetou bei.

Nach etwa einer Zeit, die die Weißen vier Monate nannten, schien kaum einer mehr außerhalb des Mescalerolagers von der vermissten Häuptlingstochter zu sprechen. Allmählich entspannte sich auch Winnetou, da er nicht mehr von größeren Gefahren ausging. Er gewährte Ribanna nun, sich frei im Lager zu bewegen, bat sie dennoch, sich nicht weit außer Sichtweite zu entfernen. Sie hatte sich gefreut und war dankbar für alles, das Winnetou für sie tat, dass er alles gab, um sie zu schützen ohne dass sie sich wie eine Gefangene fühlte. Das rechnete sie ihm hoch an.

Winnetou und Ribanna I. TeilWo Geschichten leben. Entdecke jetzt