Kapitel 39 Wiedersehen

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Winnetou!
Innerlich war Old Shatterhand gerade ein großer Stein vom Herzen gefallen. Zwar hatte er seinen Freund hier vermutet, doch es beruhigte ihn dennoch sehr, ihn nun lebendig und augenscheinlich unversehrt vorzufinden. Auch Winnetou, der nun an die Männer herangetreten war, hatte seinen weißen Blutsbruder sofort erkannt, da war sich Old Shatterhand sicher, doch der Indianer ließ sich selbstverständlich nichts anmerken.
Der Kleine nahm Winnetou an seiner Fessel fest in die Hand und schickte dem anderen mit einer Kopfbewegung hinaus, vermutlich zu der zweiten gefangenen Person.
Old Shatterhand wusste, dass nun der beste Zeitpunkt gekommen war. Er sah seinen Freund an, der ausdruckslos an ihm vorbei schaute. Er wusste, was nun passieren würde.
Nachdem Old Shatterhand den Schlüssel im Schloss einer der vorderen Türen drehen gehört hatte, lief er etwas tiefer in den dunklen Raum hinein. Der Leutnant war damit beschäftigt, Winnetous Fesseln zu überprüfen. Im Schutz der Dunkelheit schlich sich Old Shatterhand lautlos von hinten an den Mann, gab ihm einen kräftigen Stoß mit dem Gewehr, das er nach wie vor in seinen Händen hielt, und traf ihn direkt an der rechten Schläfe, sodass er zu Boden sank. Schnell zog er sein Messer aus der Innenseite seiner Uniform und befreite Winnetous Arme. Er kümmerte sich um den Bewusstlosen, während Old Shatterhand mit ruhigen Schritten den Geräuschen des anderen Raumes nachging.
In der Türschwelle erkannte er die Stimme der Frau, die dort offensichtlich gefangen gehalten wurde.
Als Ribanna ihn im Schein einer Fackel erkannte, riss sie ihre Augen auf. Das bemerkte der Leutnant, der eben auch bei ihr die Fesseln kontrollierte.
"Was ist?" fragte er sie und schaute nun ebenfalls zu dem angeblichen Leutnant. "Heee!" rief er. "Du bist ja gar nicht Howland!"
Er lockerte den Griff an Ribannas Rücken und trat zwei langsame Schritte auf die Tür zu.
"Richtig erkannt, Kollege!" antwortet Old Shatterhand, sprang auf ihn zu und betäubte schließlich auch ihn mit einem Hieb gegen die Schläfe. Dann schnitt er auch Ribannas Fesseln durch, packte daraufhin den am Boden liegenden Mann an den Beinen und zog ihn in den anderen Raum. Ribanna folgte ihm, blieb jedoch in der Türschwelle stehen, bevor sie hereinstürmte. "Winnetou!" rief sie und warf sich in seine Arme, die sie geistesgegenwärtig auffingen. "Ribanna!" Er klang überrascht und dennoch erleichtert. Offenbar wussten sie nichts davon, dass der jeweils andere auch hier gefangen gehalten wurde. Old Shatterhand sah dem Wiedersehen der beiden lächelnd zu, während er die beiden ohnmächtigen Männer an den Händen zusammenband. Zuvor hatte er die Schlüssel und Waffen an sich genommen. Nun gesellte er sich zu seinen Freunden.
"Mein Bruder Scharlih hat großen Dank verdient!" Winnetou nahm ihn in den Arm und auch Ribanna dankte ihm herzlich. Old Shatterhand lächelte die beiden an, jedoch verfinsterte sich seine Mine schnell wieder.
"Hört zu," begann er "Robert will flüchten." Er erzählte ihnen alles, was er von ihm erfahren hatte. Von der geplanten Flucht, der falschen Fährte, sowie dem Auftrag, die beiden hier wegzubringen. Auch die Geschichte, wie er an die Uniform gekommen war, erfuhren sie nun von ihm.
"Sie sind gerade beschäftigt." stellte Winnetou fest. "Wir werden das Gleiche tun, wie mein Bruder bereits getan hat." beschloss er. Daraufhin nahm er den beiden Männern ihre Uniformen ab und gab die des kleineren Mannes Ribanna. Sie schlüpfte hinein, die Länge passte zwar, doch waren die Klamotten auf einen deutlich schwereren Menschen zugeschneidert worden. Winnetou gab ihr sein Hemd, das sie sich vor den Bauch in die Uniform steckte, um der Gestalt des Leutnants näherzukommen.
Unterdessen war auch der Indiander in die Kluft geschlüpft. Seine Haare band er nach oben, Ribannas Zöpfe verschwanden ebenso unter dem Hut. Zuletzt tauschten sie noch ihre Mokassins gegen die Stiefel der Männer und kamen nun dem Erscheinungsbild eines Leutnants zumindest auf die Entfernung sehr nahe. Old Shatterhand sorgte derweil dafür, dass die beiden Männer ihnen bei der Flucht keinen Strich durch die Rechnung machen konnten. Er fesselte sie, band ihre Arme auf dem Rücken mit denen des anderen zusammen und knebelte sie, sodass sie keine zu lauten Geräusche von sich geben konnten.
Nun mussten sie nur noch ohne Aufzufallen aus dem Fort gelangen.

Winnetou und Ribanna I. TeilWo Geschichten leben. Entdecke jetzt