#6 Anfassen

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Zero

Verschlafen drückte ich meinen Wecker aus. Aufgrund, dass Emilio vorhin noch in meinem Zimmer war, schaute ich mich um. Zum Glück keine Spur von ihm.

Schnell zog ich mir bequeme Kleidung über, bevor ich nach vorne zu Amber lief. Die drei Stunden Schlaf hatte ich gebraucht, um für die Lieferungen fit zu sein.

Verwirrt schaute ich auf die Liste, die Amber mir mit dem Rucksack gegeben hatte. Es stand nur ein Name drauf und zwar von einem Club.

„Wie du auf der Liste siehst, hast du nur eine Sache dabei. Deine Aufgabe, misch dich unter die Menschen und verkauf so viel, wie du kannst", erklärte Amber mir, als ich nachfragte.

Ich wusste, dass ich keine andere Wahl hatte, wodurch ich erst gar nicht versuchte zu diskutieren. Kurz kramte ich in meiner Hosentasche, um Amber meine Schlüssel auf den Tresen zu schmeißen.

Es war kurz nach zehn und die ersten betrunkenen torkelten die Straße entlang. Angewidert schaute ich manchen hinterher, da ich selber noch nie Alkohol getrunken hatte.

Der Gedanke, es auszuprobieren reizte mich, aber ich wollte nichts riskieren. Diese Nacht war die falsche. Zusätzlich war ich wieder komplett pleite.

Bevor ich den Club betrat, nahm ich noch eine meiner Pillen. Ich wusste, dass es mir sonst zu viel werden würde. Die ganzen Menschen. Die laute Musik. Die verschiedenen Gerüche. Die vielen Gespräche.

Schnell hatte ich mich unter die Menschen gemischt. Mein Plan war es erst an die Bar zu gehen. Wie ein Reh im Scheinwerferlicht blieb ich stehen, als ich Emilio sah. Das hieß wohl Planänderung, die beinhaltete, dass ich mich von der Bar fern hielt.

Zwei Stunden später war der Rucksack gut geleert und ich war vollkommen am Ende. Am Boden der Toiletten hatte ich mich nieder gelassen.

„Hast du noch was?", sprach mich ein blonder Junge an. „Ja klar, wie viel brauchst du noch?", fragte ich überfordert.

Unauffällig tauschten wir Drogen gegen Geld. Skeptisch betrachtete er mich, wodurch ich meine Augenbrauen fragend zusammenzog.

„Du würdest gut zu meinem Kumpel passen", grinste er. „Kein Interesse", stand ich auf. „Ach komm schon. Der wird sonst noch einsam sterben", quengelte er. „Kein Interesse", zischte ich.

Ich versuchte mich an dem Blonden vorbei zu drücken, aber er hielt mich am Handgelenk fest. Seine Berührung war mir zu viel, wodurch ich mit meiner freien Hand ausholte, um nach ihm zu schlagen. Mein Schlag ließ ihn wenige Meter zurück stolpern, aber riss mich mit.

Erst als Blut auf mein Shirt tropfte, realisierte ich, dass er zurückgeschlagen hatte. Wütend presste der blondhaarige mich gegen die Wand.

„Sean", wurde die Tür geöffnet.

Mein Blick wendete sich zu der Stimme, denn ich konnte sie direkt als die von Emilio identifizieren. Geschockt schaute er sich die Szene an.

Mit einem Griff hatte er Sean von mir weggezogen. Langsam sackte ich auf den Boden, während mir kurz schwarz vor den Augen wurde. Mühsam zog ich mich an dem Waschbecken hoch. Im Spiegel erkannte ich, dass Emilio seine Hand auf meine Schulter gelegt hatte.

„Fass mich nicht an", zischte ich ihn an. „Muss ich etwa dafür bezahlen?", wackelte Emilio anzüglich mit den Augenbrauen.

Wütend schaute ich ihn an, aber verließ dann den Raum. Immer wieder wurde mir schwarz vor Augen, aber ich kämpfte mich raus. Die frische Luft schlug mir entgegen.

Ich spürte, wie das Blut weiter aus meiner Nase lief, aber versuchte es zu ignorieren. Zügig bewegte ich mich zur Straßenbahn, damit ich so schnell wie möglich wieder zurück kam. Auf der Anzeige erkannte ich, dass ich fünf Minuten warten musste. Seufzend ließ ich mich auf eine Sitzbank fallen, wobei ich meinen Kopf nach vorne fallen ließ.

Als sich jemand neben mich setzte, brauchte ich gar nicht schauen, wer es war. Der Geruch von Alkohol stieg mir in die Nase.

„Ich habe es nicht so gemeint, tut mir leid", entschuldigte Emilio sich. „Lass mich einfach in Ruhe", zischte ich ihn an. „Hast du deine Tage oder warum bist du immer so schlecht gelaunt?", wollte er wissen.

Zu meinem Glück musste ich nicht antworten, denn die Straßenbahn kam angefahren. Durch den Alkohol war Emilio nicht schnell genug.

Das Ruckeln verbesserte meine Kopfschmerzen, die sich bildeten, nicht. Ich war froh, dass ich nur eine Station fahren musste. Mehrfach schaute ich mich unsicher um, obwohl selten um diese Zeit kontrolliert wurde. Eine Strafe würde mir noch fehlen, dachte ich mir.

Als ich ins Haus kam, saß Amber nicht mehr am Tresen. Den Rucksack inklusive Geld verstaute ich hinter dem Tresen. Leise lief ich den Gang entlang, nachdem ich mir meine Schlüssel genommen hatte. Kaum hatte ich an Ambers Tür geklopft, riss sie diese auf. Erschrocken schlug sich ihre Hände vor den Mund.

„Zero, was ist denn mit dir passiert?", hob sie mein Kinn an. „Nichts schlimmes", winkte ich ab. „Ist jetzt auch egal, komm rein. Wir müssen dich sauber machen", zog sie mich ins Zimmer. „Amber", seufzte ich, da ich es nicht als allzu schlimm empfand.

Ohne mir groß eine andere Möglichkeit zugeben, zog sie mich ins Badezimmer, um mich auf den Toilettendeckel zu drücken. Mit einem kalten Waschlappen versuchte Amber das Blut zu entfernen.

„Hast du dich zumindest gewehrt?", fragte Amber. „Habe angefangen", gab ich zu. „Ich hoffe, dass es einen guten Grund gab", lächelte sie. „Auf jeden Fall", grinste ich.

Amber schüttelte ihren Kopf leicht, wobei sie versuchte sich ein schmunzeln zu verkneifen. Mit Mühe bekam sie das ganze Blut entfernt. Kurz packte sie nach meinem Kinn, damit sie mein Gesicht nach rechts und links drehen konnte.

„Du solltest schlafen gehen", lächelte Amber. „Liebend gerne", stand ich auf. „Du könntest den ganzen Tag schlafen", lachte sie. „Wäre gut vorstellbar", schmunzelte ich. „Gute Nacht", verabschiedete sie sich von mir, als wir an ihrer Tür standen.

Als ich in meinem Zimmer war, ließ ich mich direkt in mein Bett fallen. Ich wollte nach meinen Tabletten greifen, aber sie waren weg. Kurz überlegte ich, ob ich sie woanders hingelegt hatte, aber kam zu dem Entschluss, dass es nicht sein konnte.

Bei weiterem Grübeln fiel mir ein, dass Emilio da gewesen war. Es ließ mich vermuten, dass er meine Tabletten mitgenommen hatte. Genervt stand ich nochmal auf, um erneut bei Amber zu klopfen.

„Meine Tabletten sind weg", sagte ich, als sie die Tür öffnete. „Zero", zog sie ihre Augenbrauen hoch. „Nein, ernsthaft. Die sind weg. Ich habe wirklich keine mehr", meinte ich.

Skeptisch musterte Amber mich, aber schien mir zu glauben, denn sie gab mir eine von ihren. Bevor ich mich bei ihr bedankte, schluckte ich die Tablette runter. Eine erneute Verabschiedung fiel zwischen uns beiden. Entspannt kuschelte ich mich in mein Bett.

Seit Jahren verfolgten mich Alpträume, wodurch Schlaf für mich ohne Tabletten nicht mehr möglich war.

ZeroWo Geschichten leben. Entdecke jetzt