#39 Schwarz

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Emilio

Es war schon der fünfte Tag Funkstille zwischen Zero und mir. Sean und Mira hatten die letzten Tage versucht auf mich einzureden, dass ich mehr Eigeninitiative ergreifen musste. Zu deren Leidwesen blieb ich Stur. Zero war derjenige, der wütend abgehauen ist und sich nun keinen Millimeter rührte.

Nun saß ich mit Sean in einer Bar, weil er mich ablenken wollte. Er war schon ziemlich angetrunken, während ich noch an meinem zweiten Glas nuckelte. Seufzend legte ich meinen Kopf in den Nacken, da ich mich am liebsten mit Eis auf meine Couch verziehen wollte.

„Jetzt sei mal ehrlich, was findest du an Zero? Mehr als Frustration, verletzte Gefühle, Wut, Unsicherheit und eine Schlägerei mit deinem Bruder hat er dir nicht beschert", hielt Sean mir die letzten Wochen vor die Augen. „Aber er hat mich gut fühlen lassen. Er hatte keine Vorurteile und hat mich nicht ausgenutzt", erklärte ich.

Mein Leben hatte einen Sinn gefunden. Ich begann etwas daraus zumachen. Von keinem hatte die Vergangenheit eine Rolle gespielt. Wir waren zwei Menschen, die sich aus Zufall kennengelernt hatten. Zwei Menschen, die keine Perspektive hatten.

„Er wird dich in dein Verderben stürzen", meinte Sean. „Dann möchte ich nie wieder aus dem Verderben, wenn es so schön sein kann", schmunzelte ich. „Du hast sie nicht mehr alle", schnaubte er belustigt.

Das konnte gut sein, aber das war wohl nie anders gewesen. Manchmal schien das Verderben nur für mich erschaffen zu sein. Viel zu oft wäre ich fast dorthinein gestürzt.

Auf der obersten Tagesordnung stand wohl bei mir das Chaos meiner Gefühle. Häufig habe ich sie ertrunken, um sie nicht zu spüren. Es gab Tage an denen ich sie am liebsten in die hinterste Ecke meines Kopfes eingesperrt hätte.

„Zero hasst mich bestimmt", vermutete ich, worauf mein bester Freund mir nur zustimmte.

Da Sean mir keine große Hilfe war, beobachtete ich die Menschen, die die Bar betraten. Für unter der Woche war relativ viel los, was mich leicht verwunderte. Noch mehr verwundert war ich, als ich sah, dass eine genervte Mira das Lokal betrat. Kurz zweifelte ich daran, ob ich wirklich erst bei meinem zweiten Glas war. Sofort rief ich sie zu uns.

„Was ist denn mit dir los?", erkundigte ich mich besorgt. „Lange Geschichte", setzte sie sich seufzend zu uns. „Wir hören dir gerne zu", skeptisch schaute ich zu Sean „Naja, zumindest höre ich dir zu". „Kurz gefasst, Luke und ich hatten Streit. Er ist ohne ein Wort abgehauen, um sich zu betrinken. Nun darf ich ihn abholen", fasste sie zusammen, wobei ihr Zeigefinger unauffällig auf einen Mann zeigte.

Luke saß, naja lag halb, in einer Nische. Von weitem bezweifelte ich, ob er nur am schlafen war. Mira erzählte mir noch, dass es sich bei dem Streit um das gleiche elendige Thema, Kinder, handelte. Beide kamen nicht auf einen Nenner.

Es tat mir für Mira leid, aber ich konnte vollkommen nachvollziehen, dass sie sich nicht von ihm trennen wollte. Sie wollte sich nicht von verschiedenen Ansichten unterkriegen lassen.

„Ich gehe mich dann mal um Luke kümmern", verließ Mira unseren Tisch. „Der Typ ist so egoistisch", lallte Sean. „Zusätzlich sind Kinder kein Hobby", merkte ich an.

Skeptisch ließ ich meinen Blick zu Mira und Luke gleiten. Obwohl er abgeholt werden wollte, wehrte er sich gegen sie. Mehrmals entzog er sich ihrer helfenden Hand.

Auf einmal stand Luke ruckartig auf. Man konnte von weitem bereits erkennen, dass er wütend war. Bevor Mira reagieren konnte, hatte sie eine Backpfeife erhalten. Schockiert hielt sie sich die Hand an die Wange.

Sean schien gar nichts zu verstehen, als ich aufstand. Ohne darüber nachzudenken schubste ich Luke gegen eine Wand, wo ich ihn an seinen eigenen Händen fixierte. Zügig merkte ich, dass er viel zu betrunken war, um sich zu wehren. Zusätzlich bat Mira mich ihm nichts anzutun, was ich kaum nachvollziehen konnte.

Dadurch, dass ich Luke ohne Vorwarnung losließ, rutschte er, wie ein nasser Sack, auf den Boden. Mira kam auf mich zu, wodurch ich sie in den Arm nahm. Leise schluchzte sie in meine Brust hinein.

„Lass dir so etwas nicht gefallen", wisperte ich ihr gegen die Haare. „Du bist so eine Schlampe. Du willst nur kein Kind von mir, weil du auf Emilio stehst. Denkst du, ich merke es nicht, wie oft du seit dem Auftrag bei ihm warst?", warf Luke ihr lallend vor.

Ruckartig riss sich Mira aus meinen Armen. Mit vielem hätte ich gerechnet, aber nicht damit, dass sie ihm mit voller Kraft in den Schritt trat. Die Absätze ihrer Schuhe waren bestimmt nicht förderlich.

„Kein Kind würde sich dich als Vater wünschen", warf Mira ihm an den Kopf.

Kaum hatten wir uns versehen wurden wir aus der Bar geschmissen. Sean hatte das Spektakel beobachtet, bevor er uns nach draußen gefolgt war.

„Jungs, ich brauche einen Drink. Wo gibt es hier noch eine Bar?", wollte Mira wissen. „Du solltest nach Hause fahren", empfahl ich ihr. „Nein, nein. Ein Drink hört sich doch fantastisch an", fiel Sean mir in den Rücken. „Also?", fragte Mira abwartend. „Macht, was ihr wollt", entfernte ich mich von den beiden. „Emilio", riefen mir beide zeitgleich hinterher, aber ich ignorierte es geflissentlich.

Planlos schlenderte ich die Straße entlang. Dort wo ich am liebsten sein wollte, konnte ich nicht sein. Obwohl es kalt war, ließ ich mich auf einer Sitzbank nieder. Mittlerweile war es mir egal, ob ich krank werden könnte oder nicht.

Vielleicht hätte ich mich doch auf einen weiteren Drink einlassen sollen, denn meine Gefühle übermannten mich.

Trauer, dass Zero mich so eiskalt sitzen gelassen hatte. Reue, dass ich ihm nicht hinterher gerannt war. Wut auf mich selber, weil ich ihn gebeten hatte mich zu begleiten. Angst, dass Zero mich nun wirklich komplett hasste.

Seufzend erhob ich mich von der Sitzbank, da mir wieder einfiel, dass ich noch Alkohol zuhause hatte. Schließlich konnte man sich alleine betrinken. Andererseits klang Eis auf der Couch essen auch sehr attraktiv.

Genervt stieg ich die Treppen hoch, da der Aufzug nicht funktionierte. Manchmal verfluchte ich diese Technik, aber es sie half uns so viel im Alltag. In meiner Hosentasche suchte ich nach meinem Wohnungsschlüssel. Kurz hatte ich das Gefühl, dass ich ihn verloren hätte, aber fand ihn schließlich in meiner Jackentasche.

Alles war noch so dunkel, wie ich es verlassen hatte. In der Küche nahm ich mir einen Löffel und den Kübel Eis aus dem Gefrierschrank. Schmunzelnd erinnerte ich mich an Seans Worte, dass man nichts süßes essen sollte, wenn man Alkohol getrunken hatte. Die Kombination Bier und Vanilleeis schmeckte zwar nicht, aber schien zu helfen.

Nachdem ich fast auf der Couch eingeschlafen war, beschloss ich mich ins Schlafzimmer zu verziehen. Als ich das Licht anmachte, sah ich schwarz.

ZeroWo Geschichten leben. Entdecke jetzt