#62 Spieß umdrehen

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Charlie

Unruhig wippte ich mit meinem Bein auf und ab, als ich mit Emilio im Auto saß. Ich hoffte inständig, dass meine Erzeuger nicht zu diesem Treffen kommen würden. Mir war ein entspannter Mittag mit Emilio viel lieber.

„Du schaffst das", versuchte Emilio mir Mut zu machen, während er eine Hand auf meinen Oberschenkel legte. „Was ist, wenn nicht?", fragte ich. „Ganz einfach, dann gehen wir", sagte er.

Ich atmete Tief durch, da Emilio schon einen Parkplatz am suchen war. Um eine Krankheit vorzutäuschen, war es leider zu spät. Emilio tätschelte erneut mein Bein, als wir zum stehen kamen. Nach einem letzten Kuss stiegen wir aus. Sofort griff ich nach seiner Hand, als wir nebeneinander standen.

Von weitem konnte ich schon meine Erzeuger sehen, da sie vor dem Café warteten. Wie eingefroren blieb ich stehen, wodurch Emilio sich zu mir umdrehte. Er musterte mich ganz genau, bevor er mich sachte an seine Brust zog.

„Möchtest du weiter gehen oder zurück?", fragte Emilio. „Erstmal weiter gehen", nuschelte ich gegen seine Brust.

Bevor wir weiter gingen, drückte er mir noch einen Kuss auf den Haaransatz. Ich konnte erkennen, dass meine Erzeugerin ungeduldig auf ihre Armbanduhr schaute. Feste drückte ich Emilio Hand, worauf er nur ermutigend zu mir hinab lächelte.

„Charlie, deine Haare sehen schrecklich aus. Man könnte denken, dass du ein Mädchen wärst", versuchte meine Erzeugerin nach meinen Haaren zu greifen. „Fass mich nicht an", zischte ich sie an. „Setzen wir uns doch rein", versuchte Emilio die Situation zu lockern.

Obwohl mir nicht ganz wohl dabei war, ließen meine Erzeuger sich darauf ein. Abseits setzten wir uns an einen Tisch, wo Emilio sich einen Kaffee und mir einen Kakao bestellte. Kaum merklich legte er mir eine Hand auf den Oberschenkel.

„Hast du nur in dem Bordell gelebt oder auch gearbeitet?", fragte mein Erzeuger, Herbert. „Beides", antwortete ich ruhig. „Das ist ja ekelhaft. Ich habe mehr von dir erwartet", kam es nun von Franziska, meiner Erzeugerin. „Ich habe auch erwartet, dass ihr mich nicht einfach alleine lasst. Nun sitzen wir hier und es ist beides passiert", meinte ich.

Sanft drückte ich Emilios Hand, um nicht lauter zu werden. Ich wollte das Gespräch noch ein wenig länger durchhalten. Franziska schaute nun skeptisch zwischen mir und Emilio her, was mich noch mehr verunsicherte.

Innerlich tat es mir weh, dass sich meine Vermutungen bestätigten. Die beiden waren auf nichts friedliches aus, was ich an ihrer Körperhaltung merkte. Mir wurde klar, dass dieses Gespräch nicht im positiven Enden würde. Es würde das letzte bleiben.

„Und mit diesem Jungen bist du zusammen?", deutete Herbert auf Emilio, was ich bejahte. „Er ist doch nur seine Arbeit. Ihm wird Charlie nichts bedeuten. Für ihn ist Charlie ein bisschen spaß zwischendurch", behauptete Franziska. „Emilio liebt mich. Wir leben zusammen und werden bald umziehen. Ich habe im Bordell aufgehört", erzählte ich.

Als Franziska anfing zu lachen, merkte ich, wie sehr Emilio sich anspannte. Mich beschlich das Gefühl, dass für ihn das Gespräch schlimmer war als für mich. Ich konnte sehen wie du Wut bei ihm anstieg, wodurch ich erneut seine Hand drückte. Dieses Gespräch war ganz alleine mein Kampf.

„So etwas hört man nicht einfach auf. Du bist eine billige männliche Nutte. Dich erwartet keine vernünftige Zukunft", schmiss Franziska mir an den Kopf. „Und? Schon ein neues Kind gezeugt, was nicht so missraten ist wie ich? Oder etwa schon zu alt dafür?", drehte ich den Spieß um. „Charlie", kam es empört von Herbert.

Aus dem Augenwinkel erkannte ich, dass sich ein Grinsen auf Emilios Lippen bildete. Die Anspannung fiel ein wenig von ihm ab. Für mich war der Punkt gekommen, wo ich die beiden spüren lassen wollte wie gut es mir ohne ihnen ging.

„Wisst ihr eigentlich, was für einen guten Sex man in einem Bordell bekommt? Himmlisch, kann ich euch sagen. Vielleicht billig, aber ich wurde dafür bezahlt. Göttlich, wie sich manche um meinen Körper und den letzten Termin bei mir gestritten haben", schwärmte ich. „Du bist nicht unser Kind", kam es geschockt von Franziska. „Nein? Wie schön. So habe ich mich die letzten neun Jahre auch nicht gefühlt", antwortete ich ehrlich. „Es tut mir leid", kam es leise von Herbert.

Überrascht schaute ich ihn an, denn das hatte ich nicht erwartet. Mit einem Nicken signalisierte Emilio mir, dass ich mir das nicht eingebildet hatte. Franziska blickte ihren Mann ebenso überrascht an wie ich, bevor sie aufstand und den Tisch verließ.

„Jetzt wo du direkt vor mir sitzt, wird mir bewusst, dass es nicht richtig war, was wir getan haben. Es tut mir wirklich leid. Ich hätte diese Einsicht viel früher haben müssen. Wir haben uns nicht wie Eltern benommen. Früher war es erleichternd, dass du weg warst, denn es hatte uns nichts mehr an Chase erinnert. Mir ist bewusst, dass du nichts für seinen Tod konntest. Wenn ich an dem Tag nicht so spät nach Hause gekommen wäre, wäre das niemals passiert", redete Herbert.

Langsam rollte mir eine Träne über die Wange. Ich schenkte seinen Worten Glauben, denn sie klangen aufrichtig. Seine Körperhaltung entsprach nicht mehr der einer Kampfhaltung.

„Ich bin froh, dass es dir gut geht. Vielleicht war es nicht immer so, aber gerade scheinst du glücklich zu sein", lächelte Herbert. „Bin ich auch", gab ich ehrlich zu. „Das freut mich. Du hast es verdient", meinte er. „Danke", wisperte ich.

Emilios Hand wanderte von meinem Oberschenkel hinter meinen Rücken, damit er mich ein wenig anziehen konnte. Sachte setzte er mir einen Kuss auf den Haaransatz. Ich sah, wie Herbert liebevoll lächelte.

„Und du wirst wohl mein zukünftiger Schwiegersohn", sprach er Emilio an. „Davon wollen wir hoffentlich mal ausgehen", grinste Emilio. „Wolltest du mich auch noch in deinen Plan einweihen?", drehte ich mich zu ihm. „Erst wenn es so weit ist, little star", lächelte er.

Ja, heiraten war wohl das letzte woran ich zu diesem Zeitpunkt nachdachte. Mit geschlossenen Augen lehnte ich meinen Kopf endgültig gegen Emilios Schulter, wobei er sich bei Herbert vernünftig vorstellte. Mir fiel auf, dass Franziska eher auf Krieg aus gewesen war.

„Charlie?", sprach Herbert mich an, wodurch ich meine Augen öffnete. „Ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns nochmal treffen würden. Natürlich ist das deine Entscheidung, aber hier hast du meine Nummer", schob er mir einen kleinen Notizzettel zu. „Ich werde es mir überlegen", meinte ich. „Leider muss ich dann jetzt gehen. Emilio, pass bitte auf ihn auf", bat Herbert. „Werde ich, keine Sorge", lächelte Emilio.

Herbert winkte mir nur noch kurz vom Ausgang zu, bevor er das Café verließ. Seufzend schob Emilio die Handynummer zu, damit er diese einspeichern konnte. Das Ende, des Gesprächs, war eindeutige besser gelaufen, als ich es mir gedacht hätte.

„Ich bin stolz auf dich", lächelte Emilio. „Danke", wisperte ich.

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