Barbero

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In Wirklichkeit heißt sie gar nicht Casper.
Sie wird nur wegen ihren großen blauen Augen so genannt,und weil sie so leise ist.
Wie ein Geist taucht sie morgens an meinem Bett auf, um meine Vitalwerte zu messen,und ihre warmen Finger gleiten nur einen Zentimeter oder so unter meinen Verband,um meinen Puls zu fühlen.
Sie biegt den Hals zu einem bezaubernden Doppelkinn,wenn sie zu mir herunterschaut.
Wie ein Geist taucht sie manchmal auf dem Flur hinter mir auf und lächelt, wenn ich überraschst herumwirbele:Wie geht es dir?

In ihrem Büro steht ein riesiges Becken mit einer fetten,trägen Schildkröte darin,die immer paddelt und paddelt und paddelt,ohne je richtig voranzukommen.

Immer wenn ich da bin,muss ich auf diesen armen Schlucker von Schildkröte starren,stundenlang,tagelang könnte ich mir den anschauen,wie er mit unendlich Geduld sein Turm verrichtet,das im Endeffekt so gar nichts zu  bedeuten hat, schließlich wird er ja in absehbarer Zukunft wohl kaum je aus diesem Wasserbecken rauskommen.

Und Casper schaut mir einfach zu,wie ich der Schildkröte zuschaue.

Casper riecht gut. Sie ist immer sauber und ihre Klamotten rascheln leise. Sie erhebt nie die Stimme.
Sie streicht Sasha über den Rücken,wenn die so heftig schluchzt,dass sie schier dran erstickt.
Sie legt Linda/Katie/Cuddles einen Arm um die Schultern,wie ein Torhüter oder so,wenn eine ihrer bösen Gestalten ausbricht.

Ich habe sogar schonmal in Blues Zimmer gesehen, an dem Tag, als Blue eine riesige Bücherkiste von ihrer Mutter gekriegt hat, und Casper saß da und blätterte die Taschenbücher durch und schenkte Blue ein Lächeln,das diese ein bisschen, nur ein kleines bisschen, zum Schmelzen brachte.

Casper sollte die Mutter von jemanden sein.Sie sollte meine Mutter sein.

Dunkel ist es hier nie. In jedem Zimmer sind Lampen in die Wände eingelassen,die um vier Uhr nachmittags an- und um sechs Uhr morgens ausplingen.
Kleine,aber helle Lampen.

Louisa mag kein Licht.
Vor den Fenstern hängen kratzige Gardinen,und sie legt Wert darauf,sie ordentlich zuzuziehen,jeden Abend vor dem Schlafengehen,um die gelben Lichtquadrate vom Bürogebäude gegenüber auszublenden.
Dann drapiert sie sich zusätzlich das Bettlaken übers Gesicht.

Heute trete ich, kaum dass sie eingeschlafen ist,mein Bettzeug beiseite,spring auf und ziehe die Gardinen auf.
Vielleicht suche ich nach den Salzstreuersternen, ich weiß nicht.

Während ich ins Metallklo pinkelte,schaute ich zu den stillen Stoffhügel hin,zu dem Louisa sich unter ihrem Laken verschanzt hat.

In den seltsamen Spiegel sehen meine Haare wie Schlangen aus.
Ich reibe die verfilzten Strähnen zwischen den Fingern.Mein Haar stinkt nach Erde und Zement,nach staubigem Dachboden,mir wird übel davon.

Wie lange bin ich schon hier?Ich wache aus irgendwas auf.
Aus einem finsteren Ort.

Die Glühbirne in den Lampen im Flur sind wie grelle,langgewundene Flüsse. Ich spähe in jedes Zimmer,während ich mich voranschiebe.
Nur Blue liegt wach,das Taschenbuch nah an die Pling-Lampe gereckt, um genug Licht zum lesen zu haben

Keine Türen,keine Hängeleuchten,kein Glas,Kein Rasierer,nur weiches,löffelbares Essen und lauwarmer Kaffe.
Man bekommt hier keinerlei Möglichkeiten,sich selbst zu verletzten.

Ich fühle mich ganz lose geschraubt und klapperig von innen, wie ich da vor der Krankenstation warte und mit den Fingern auf den Tresen trommele.Als ich auf das Glöckchen drückte,echot es entsetzlich laut durch den stillen Flur.

Barbero kommt mit seinem Stuhl um die Ecke gerollt,den Mund voll mit irgendwas knusprigen.
Er runzelte die Stirn,als er mich sieht.

Barbero ist ein stiernackiger früherer Ringer aus Menominee, dem immer noch ein Hauch Wundsalbe und selbst klebender Verbandssteifen anhaftet. Er mag nur hübsche Mädchen.
Das weiß ich, Jen S. ist nämlich sehr hübsch,mit ihren langen Beinen und den Sommersprossen aus der Nase, und die lächelt er immer an.

Sie ist die einzige,die er überhaupt anlächelt.

Er legt die Füße auf den Tresen und stopft sich Kartoffelchips in den Mund.

,,Du" sagt er und kleine Salzscherben fliegen ihm dabei von den Lippen auf den blauen Kittel.
,,Was zum Teufel willst du hier,mitten in der Nacht?"

Ich greife mir den Stapel Klebezettel und einen Stift vom Tresen. Ich schreibe schnell, dann halte ich das Papier hoch.

Wie lange bin ich schon hier?

Er schaute auf den Zettel.Dann schüttelt er den Kopf.

,,Mhm.Frag."

Nein.Sagen sie es mir, schreibe ich.

,,Keine Chance, Stumme Sue."
Barbero zerknüllt die Chipstüte und schmeißt sie in den Mülleimer.

,,Da wirst du schon dein verdammtes Mündchen aufreißen und deine Stimme einsetzen müssen wir ein großes Mädchen."

Barbero denkt ich habe Angst vor ihm,aber das stimmt nicht.
Es gibt nur einen Menschen vor dem ich Angst habe,und der ist weit weg,ganz da drüben auf der anderen Seite der Flusses,und er kann nicht zu mir rein.

Zumindest glaube ich,dass er nicht zu mir rein kann.

Sagen Sie's mir einfach,sie Arsch, kritzelte ich auf einen neuen Zettel. Aber meine Hände zittern ein bisschen, als ich ihn hochhalte.

Barbero lacht. In seine Zahnzwischenräume kleben Chipsklümpchen.

Hinter meinen Augen explodierten Funken,meine innere Musik wir aufeinander ganz laut.
Meine Hat ist ganz taub,als ich mich wegdrehe und davonstapfte. Ich würde gern atmen, so wie Casper es immer vor macht, aber ich kann nicht, dass geht nicht und wird niemals gehen, nicht für mich, jedenfalls nicht,sobald ich wütend werde und die Musik in mir angeht.

Jetzt ist meine Haut nicht mehr taub,sondern kribbelt,während ich mit den Augen suche, suche, suche, und als ich es finde und herumwirbelte, lacht Barbero nicht mehr,
Sondern formt mit den Lippen O scheiße und drückt sich.

Der Plastikstuhl prallt vom Tresen ab. Der Behälter mit den Stiften,an die Plastikblumen geklebt sind,scheppert zu Boden, die Stifte zerfließen auf dem endlosen beigen Teppichboden zu einem Fächer.

Auf diesen endlosen,endlos beigen Teppich.
Ich trete gegen den Empfangstresen, was echt übel ist, weil ich keine Schuhe anhabe, aber der Schmerz fühlt sich so gut an,dass ich immer weitermache.

Barbero ist inzwischen Zeit aufgestanden,und als ich wieder nach den Stuhl greife, streckt er die Arme aus, Beruhig dich mal, du scheiß Verrückte. Aber das sagt er ganz weich, als hätte er jetzt doch ein bisschen Angst vor mir.
Und ich wusste nicht warum,aber das machte mich noch ein bisschen wütender.

Ich holte grade wieder mit dem Stuhl aus, als Doc Doodley auftauchte.

Wenn Casper von mir enttäuscht ist,lässt sie es sich nicht anmerken.
Sie schaut mir einfach zu,wie ich der Schildkröte Zuschaue, und die Schildkröte macht einfach ihr Ding. Ich wünschte, ich wäre diese Schildkröte,unter Wasser, still, keiner da.
Diese scheiß Schuldkröte hat ein verdammt friedliches Leben.

,,Um deine Frage zu beantworten,die du Bruce gestern Nacht gestellt hast: Du bist seit sechs Tagen im Creeley Center." sagte Casper.

Du warst erst im Krankenhaus,wo man dich behandelt und eine Woche zur Beobachtung dabehalten hat, dann wurdest du hierher verlagert.
Wusstest du eigentlich, dass du eine schwere Lungenentzündung hattest? Naja hast du immer noch,aber die Antibiotika sollten dem bald ein Ende machen."

Sie nimmt was Klobiges von ihrem Schreibtisch und schiebt es mir zu.
Es ist so ein Tischkalender. Im ersten Moment weiß ich nicht,wonach ich suchen soll,aber dann sehe ich es,ganz oben auf der aufgeschlagenen Seite.

April.Wir haben Mitte April.


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Das ist jetzt das 2te Kapitel.
Hoffe es gefällt euch,schreibt bitte ob ich noch ein Kapitel hochladen soll!

Girl in Pieces(German)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt