Kapitel 7 - Der erste Tag im zweiten Jahr

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Am nächsten Tag kam Herr Lurcus beim Frühstück an den Haistra-Tisch und forderte alle Schüler auf, noch vor dem Unterricht kurz mit ihm zu gehen. Und so folgten Jan und Levi ihm mit einer großen Schar Haistras aus den Toren der Burg hinaus zu einem Bauwerk, das Jan an einen gewaltigen Brunnen errichtete. Meterbreite Steine waren zu einem runden Ring zusammengebaut worden, dessen Inneres ein dunkles Loch offenbarte. Es ragte so tief in die Erde, dass man kein Ende sehen konnte.

»Das ist der Eulentunnel, von dem Herr Tuplantis erzählt hat«, erklärte Herr Lurcus und deutete in den dunklen Schacht. »Er ist mit speziellen Zaubern versehen, die das Ortungssystem der Eulen beeinträchtigen. Wir Lehrer haben am Sonntag testweise schon einmal einige Briefe verschickt. Und tatsächlich funktioniert es. Die Eulen fliegen in den dunklen Tunnel hinein, statt durch den Wald zu verschwinden. Zumindest die meisten. Meine Halsbandeule war der Meinung die Statistik zerstören zu müssen. Und Herrn Goldenbergs Flughund. Was ich damit sagen will: Bringt eure Eulen am besten zum Eingang des Eulentunnels, wenn ihr sie mit einem Brief im Schnabel losschickt. Glücklicherweise haben wir zwar keine Indizien dafür, dass auch dieses Schuljahr wieder Briefe abgefangen werden, aber in diesem Falle wollen wir lieber Vorsicht walten lassen.«

»Aber ist das nicht Tierquälerei?«, meldete sich eine Viertklässlerin zu Wort. »Eulen sind doch dafür geschaffen durch Wälder zu fliegen, unter freiem Himmel, und nicht durch enge Tunnel.«
Herr Lurcus bedachte sie mit einem nachdenklichen Blick
»Marie, wie lange hast du jetzt schon bei mir Unterricht?«, fragte er dann.
»Äh... drei Jahre.«

»Dann solltest du mich gut genug kennen, dass ich an dieser Schule nichts unterstützen würde, was Tieren oder Tierwesen schadet. Ihr könnt unbesorgt sein, dass ich mich ausführlich mit dem Konzept von Progressive Way auseinandergesetzt habe. Ihre Tunnel sind durch verschiedene Zauber sehr der natürlichen Aura eines Waldes nachempfunden. Und die Eulen fliegen nur eine kleine Strecke durch den Tunnel. Klein, aber dennoch lang genug, damit so viele Orte als Ausgang in Frage kommen, dass es unmöglich ist, die Eulen auf ihrem Weg zu finden und abzufangen.«

Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr.
»Hört zu, ich kann verstehen, dass manche von euch nicht ganz überzeugt vom Konzept eines Eulentunnels sind. Glaubt mir, das war ich anfangs auch nicht. Aber ich könnte auch verstehen, wenn eure Lehrer verärgert wären, wenn ihr am ersten Unterrichtstag schon zu spät kommt. Deshalb schicke ich euch jetzt erstmal in den Unterricht. Wenn ihr noch Fragen zu dem Tunnel habt, könnt ihr gerne in der ersten Pause nochmal hierhinkommen.«
Bei diesen Worten sah Jan etwas verwundert zu Levi. Er hatte keine Ahnung, welches Fach sie jetzt hatten. Und er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, einen Stundenplan von Herrn Lurcus bekommen zu haben. Doch Levi schien ebenso ratlos zu sein wie er.

»Ähm, Herr Lurcus?«, meldete sich in diesem Moment auch der Viertklässler Leander Sanders zu Wort. »Bekommen wir dieses Jahr nicht diese schönen Stundenpläne?«
Herr Lurcus sah ihn einen Moment verwundert an, dann schlug er sich mit der Hand gegen die Stirn. »Die Stundenpläne... natürlich!«
Er öffnete seinen Rucksack und holte einen Stapel Papiere heraus. Den verteilte er unter den Schülern. Jan warf neugierig einen Blick auf seinen Plan, sobald er ihn bekommen hatte. Er wirkte deutlich voller als der des letzten Jahres. Nur noch freitags hatte er nach der sechsten Stunde aus. Das erste Fach, das ihn heute erwartete, war Verteidigung gegen die dunklen Künste bei Frau Castor. Der Unterricht fand im gleichen Kellerraum statt wie auch schon bei Herrn König und Herrn Egger.
»Dann sehen wir mal zu, dass wir noch rechtzeitig dahinkommen«, meinte Levi, der das gerade wohl ebenfalls festgestellt hatte. »Herr Lurcus hat schon recht, am ersten Tag sollten wir pünktlich sein, vor allem bei einer neuen Lehrerin.«

Und so eilten sie gemeinsam mit den anderen Haistras aus ihrem Jahrgang wieder in die Burg und die Kellertreppen hinab zum Raum K-04. Als sie keuchend im richtigen Gang ankamen, schloss Frau Castor gerade die Klassentür auf. Während die Schüler Platz nahmen, legte sie ihre altmodische Umhängetasche auf das Pult und kramte ein paar Zettel daraus hervor.

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