Hinter Yberion waren die Ausläufer Kitors, die Bezirke, die Stadtmauer und die Viertel des Gesindels im Wirkungskreis und Schatten des großen Turms. Aber direkt vor seinen Augen offenbarte sich das schlagende Herz.
Nicht einzig jenes von Kitor, sondern vom ganzen Geisterreich.Yberion trat ein, aber er wünschte sich lieber ganz woanders hin. Dies hier war der Vierer-Rat, es war Politik und Herrschaft. Alles davon hatte so wenig mit Magie zu tun, wie Brotbacken mit einem Schuster. Der Großmeister trat über mit Obsidian und Peridot versehenen Marmor. Die Sonne warf ihren Schein aus hohen Seitenfenstern und
fluteten den Boden in Schwarz und Grün, einem Schimmer, welcher an die Schuppen einer Schlange erinnerte.Hinter Yberion schloss sich die Pforte und die Ehrenwache hatte gerade ihre Position eingenommen, als man ihn schon begrüßte:
„Großmeister Yberion, habt ihr nun auch den Weg zu unserer Unterredung gefunden. Welch Freude nun nicht länger der Warterei verpflichtet zu sein".
Die Stimme, die ihm entgegenkam, war tief und mächtig.
Yberion wusste sofort, von welchem Platz diese Worte kamen, auch wenn er erst nur zwei der vier hohen Tribünen erkennen konnte, die sich um die runde Mitte wie um eine Theaterbühne hoben.Der Großmeister trat in den steinernen Kreis, der unter sich die beiden Ringe der Elemente zeigte. Strecken aus weißem Marmor formten den inneren Kreis, während Granit den äußeren in Rot glänzen ließ. Den Gebräuchen des Rates entsprechend streckte Yberion seine Arme mit offenen Händen zur Seite. So präsentierte er sich jeder der vier Instanzen und verblieb dann bei der letzten. Er musste hinaufsehen, um den Grüßenden direkt anzusprechen.
„Gewiss, mein Herr. Es war ein weiter Weg, voller Irrungen. Aber jene, die die Magie kultivieren, wissen von solchen Episoden. Ebenso wie wir wissen, davon nie ewig aufgehalten zu werden! Der Weg nahm seinen Lauf und nun stehe ich vor euch. Ich grüße Euch".
Vor sich sah Yberion Erzmagier Vahlren Erodan Torin auf einer einzelnen Tribüne, die in Größe und Imposanz einem Thron glich. Sein Ausdruck war grimmig, das Gesicht wie aus Eiche geschnitzt. Seine
ausladende Robe wurde in kräftigstem Rot gefärbt und trug die goldenen Runen des Hauses Torin. Sie stand dem Gewand eines Königs in nichts nach und dennoch vermochte sie nicht mehr Größe und Erhabenheit auszustrahlen, als der Erzmagier selbst.Torin trug eine Kopfbedeckung in ebensolchem Rot und überdeckte seine Haarlosigkeit schmeichelhaft. Es war eine Kappe aus Stoff, zylindrisch geformt und ließ den Mann dadurch weit größer erscheinen.
Reichte das nicht, verriet das silberne Gitter auf der Stirnseite die Wichtigkeit ihres Trägers. Denn dort prangte das Wappen von Kitor. Den
Knochenturm aus Elfenbein in seiner Mitte.
Dunkle, durchdringende Augen sahen zu Yberion hinab. Es war eine gefühlte Ewigkeit, der Blick eines Richters, den er über sich ergehen ließ.
Er blieb ruhig, aber er konnte spüren, dass manch anderer in diesem Raum nervös wurde. Als dann ein Lächeln über Torins Lippen huschte, musste selbst Yberion aufatmen.„Gesprochen wie ein Sohn Kitors" gab der Erzmagier zu. Seine Stimme nahm dabei nicht an Kraft oder Eindringlichkeit ab. „Nun nehmt euren Platz ein, Großmeister. Dann beginnen wir. Herr Ruthert tragt vor, wer hier heute zusammenkam!".
Yberion verbeugte sich, in höfischer Manier. Er trat aus dem Kreis, während die einzige andere Person an der Tribüne des Erzmagiers, der Schreiber Ruthert seine Stellung einnahm. Auch er zeigte die Hände offen zu allen Seiten.
Derweil suchte Yberion seinen eigenen Sitz, an der Tribüne zur Linken Torins auf. Die anderen Plätze waren bereits besetzt: allesamt von Großmeistern wie ihm. Durch ihre Verdienste im Großen Krieg allseits bekannt.
Der Erste unter ihnen war Vizor Malcath. Eine Koryphäe auf dem Gebiet der destruktiven Feuer- und Erdmagie. Er saß am nächsten zum
Erzmagier und würdigte den Großmeister keines Blickes. Für Yberion galt er schon immer als Sinnbild eines kitorischen Magiers: schlank in Zügen und der Statur, die Nase höher als ein Anwender der Lüfte und mit scheinbar uneingeschränkter Begabung. Und ebensolcher Arroganz.
Zu seiner Linken saß Sevilla Ari. Für Yberion war sie eine verkannte Schönheit. Sie trug schwarze, geflochtene Zöpfe und wies eher runde,
als schmale Züge auf. In ihrem Gebaren sollte sie kaum der Eitelkeit Kitors entsprechen und brachte seit jeher eine Natürlichkeit mit sich, die man sonst am Knochenturm vergeblich suchte. Sie war die beste Windmagierin in Kitor. Allerdings gab es in der Welt so viel mehr als diese Stadt, um dies zu messen - das Reich des Sturms Mangan, zum Beispiel. Doch davon wollte sie nichts wissen. Sie war die beste Windmagierin in Kitor, sagte sie wieder. Und das reichte ihr aus.
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IdKdN - Weltenwanderer (Leseprobe)
FantasyDer Kontinent Efferia, die Heimat der magischen Reiche, droht von Konflikten überwältigt zu werden - alte Streitereien flammen auf, die Magier sehen sich nicht länger an der Seite der Sterblichen und während die Reiche in Unruhen versinken, wandeln...