Der Wanderer aus dem Eisigen Wald

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Während Iliphas durch den Schnee stapfte, verfestigte sich der Eindruck eines Albtraums immer stärker in ihm. Den Terror der Vergangenheit meinte er dadurch so nahe hinter sich, als bliebe das
Ende alles Schreckens in unermesslicher Ferne.

Aber so albtraumartig fremd ihm dieser Ort seit seinem Erwachen vorkam, gebar er mehr und mehr unerwarteter Vertrautheit. Diese gewaltigen Bäume - Iliphas hatte solche schon einmal im Hain der Geister gesehen. Dort allein war ihr Zuhause.
Doch diese Wesen hier waren Tote, begraben vom Schnee.

Seit gefühlten Ewigkeiten wanderte Iliphas an ihnen entlang. Den Weg, den er jetzt nahm, meinte er sogar als Richtigen.
Mehr als diesem Gefühl konnte er nicht vertrauen. Alles sah gleich aus, überall nur Weiß und Schwarz – der graue Himmel in der Höhe, der den verlorenen Wanderer mit unveränderlichem Hohn bedachte. Irgendwo hinter den Wolken war die Sonne. Aber ihr
Schein war hier nicht mehr als eine entfernte Ahnung. Der Schnee schien in seiner Reflexion gar heller als jedes himmlische Licht. Dennoch leitete es ihn.

Die Ewigkeiten schritten voran und die Zeit selbst verkam zu blasser Idee. Möglicherweise war Iliphas nur Minuten auf dem Weg. Zumindest sah er die Steine nicht mehr, wenn er sich umdrehte. Aber es könnten ebenso Stunden oder gar schon Tage vergangenen sein, seit er sie zuletzt sah. Es war alles so unwirklich, so beständig. Aber der Wanderer
kam voran, das verrieten ihn nicht nur seine Schritte und die tiefen Fußspuren, die er hinter sich in den bleichen Schnee gab. Vielmehr war es der Umstand, dass Iliphas nicht nur in ewig gleichem Weiß unterwegs war.

Mit einem Schlag war alles um ihn herum in Herbst gehüllt. Die Bäume, der Schnee und sogar der graue Himmel erstrahlten in Farben so warm und lebendig, als hätte man Iliphas mitten in einen Vulkan gestoßen. Unter seinen Füßen knackte und knirschte es. Er brauchte nicht hinabzusehen, um zu wissen, worauf er trat, dass er auf Blätter trat.
In den Farben von Abenddämmerung fielen sie an ihm vorbei und das Schwarz der Bäume war mit einem Mal gar nicht mehr so dunkel. Sie wirkten wie Riesen, die sich zum Schlafen aufmachten, noch all ihre störenden Gewänder abwarfen und dann stehend ausharrten, bis die kalte Ruhe kam. Doch dieses Bild war nicht von langer Dauer.

Wo Iliphas weiter wanderte, trat er von der Farbebene einer Gezeit zur nächsten, von Weiß zu Rot und von ebenjener hitzigen Palette zu schmeichelndem Grün. Sommer und Frühling traten zu ihm, dass er einen Moment sogar das saftige Gras, den Saft von Baum und Blatt und den Duft der Blüten wahrnahm. Jedes Mal sah es anders aus. Jedes Mal roch und schmeckte die Luft, so wie er sie sah. Aber der Schnee lag noch immer unter ihm. Iliphas spürte seine Kälte, hörte das dumpfe Knacken, wenn er durch ihn hindurchwatete.

Je weiter er ging, desto schneller wechselten die Eindrücke. Er sah Wachstum, Zerfall und wieder Wachstum. Bilder von Geistern, sodass er selbst lieber die Augen schloss und voranging, wollte er nicht wieder den Schwindel erfahren.
Doch dann war mit einem Male auch all das vergessen. Iliphas wusste nicht wieso, aber etwas zwang seine Lider nach oben. Der Reigen der
Jahreszeiten hatte aufgehört. Frühling, Sommer, Herbst und Winter waren etwas anderem gewichen.

Als hätte jemand eine Kerze in dunkelster Höhle zum Erlöschen gebracht, fand Iliphas sich in Finsternis wieder.

Es kam so jäh, dass er in seinem Gang stoppte. Er überlegte lange, ob er weiter einen Fuß vor den anderen setzen sollte. Rot und Grün, selbst das Weiß hatten ihn nicht vom Vorankommen abgehalten. Es waren Dinge, die ein Wald kennen sollte. Doch diese Schwärze erschien vollkommen anders. Sie war nicht so greifbar wie jene Ebenen zuvor und dennoch hatte sie für den Wanderer wieder etwas undefinierbar Vertrautes. Es war nicht nur Schwärze, die er hier sah, sondern Leere.

Alles Gefühl verließ diesen Ort und jede Empfindung von oben und unten, ja gar links oder rechts, war ausgelöscht. Aber wie im Wald blieb in diesem Dunkel ein einzelner Orientierungspunkt. Nur ein kleiner unklarer Schimmer weit, weit vor ihm.
Es war nur eine entfernte Ahnung von Licht, ein Stern oder der klägliche Rest der Sonne, der in dieser Schwärze noch weniger bestehen konnte, als hinter dem grauen Himmelsschleier von zuvor.

IdKdN - Weltenwanderer (Leseprobe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt