Die Gruppe vom Grenzposten

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Die kleine Kammer kam Remy in diesem Moment
kaum wie ein Raum oder ein Teil des Grenzpostens vor. Sobald sie das Halbdunkel betraten und den Wanderer ablegten, Mantel und Hemd öffneten und die alten Verbände entfernten, verkam das anfängliche Zwielicht um sie herum zu einem dunkel klaffenden Maul.
Die anderen schienen es nicht zu bemerken. Ridore half, so gut ihr es möglich war und Arvel, so wie man es ihr befahl.
Aber Remy spürte es so deutlich wie Tau auf ihrer Haut, so als würde sie in einer Wand aus Dunst hocken. Es war ein pulsierendes Wesen, das um sie herum lag. Das Pochen des Eisigen Waldes in der Finsternis; doch ohne Kälte und alterslos.

Die Blutmagierin konnte kaum einen
klaren Gedanken fassen, fühlte sich, als fiele sie in einen nie endenden Brunnen, wenn ihre Füße sie nicht halten würden.
Aber die Not ihres Patienten zwang sie, sich zusammenzureißen.
Remy fasste Atem, konzentrierte sich auf einen Gedanken. Nur einen einzigen: Heile ihn; und schon nahm ihre Magie Gestalt an.
Langanhaltendes Surren wie das hohe Brummen eines Bienenschwarms lag über ihren Händen.
Doch sie wusste, dass nur sie es hörte. Die anderen sahen, hörten und fühlten es nicht. Es war eine Sache zwischen ihr und dem Wanderer.

Vor ihrem geistigen Auge formte sich sein Körper.
Sie sah die Stellen seiner Wunden wie kleine Flecken, mal kurz und lang, dann doch dick oder dünn, seine Brüche ebenso. In gleicher Form und gleicher Farbe – ein tiefes Grau so dunkel, dass es auch für die Dämmerung gereicht hätte – sah sie die Schnitte und über alldem der Schmerz, der wie ein Netzgeflecht in seine Existenz gesponnen war.

Sobald Remy diese Flecken erkannt hatte, konnte sie helfen und
heilen. Sie veränderte Fleisch und richtete Knochen, wo sie zerrissen und gebrochen waren. Sie führte Sehnen zusammen und ließ Adern verheilen, allein durch den Gedanken an einen vollständigen Körper. Auf
seinem Arm bildeten sich Narben, im gleichen Moment sie an sie dachte.
Sie waren nur dünnwandig, aber stabil genug, dass das Blut vorerst in ihm blieb, bis sie selbst verheilten. Seine Rippen kehrten an ihre angestammten Plätze zurück. Seine Brust hob und senkte sich in einem Takt, ohne Risse und ohne Blut.
Er atmete ruhiger, doch Remy tat noch mehr. Mit jedem geheilten Organ, jedem verschlossenen Schnitt und reparierten Knochen, sah sie wie Panik und Schmerz weiter abnahmen. Nicht zuletzt der emsigen Zufuhr von Schlafmohn durch Ridore zu verdanken.
Und doch wollte die Hitze unter ihren Händen nicht vergehen. Das Fieber blieb und wie ein Feuer in trockenstem Laub fraß es am Wanderer, bereit ihn zu Asche zu verzehren.

Remy hatte noch nie so etwas gespürt. Fieber, ja das sah und fühlte sie, das behandelte sie mit Magie oder Medizin. Am Knochenturm gab es immer wieder solcher Fälle. Aber dieses Feuer, es schien ihr stärker zu brennen, als jede Lebensflamme.
Als sie nichts mehr für ihn tun konnte, die Wunden verheilt und den Schmerz weitesgehend gemindert hatte, atmete sie kräftig aus und zog die Hände zurück.
Auf dem Stuhl, dem einzigen in diesem Raum, lehnte sie sich nach hinten, legte den Kopf in den Nacken und starrte zur Decke.

Dunkelheit und Hitze – der Wanderer brachte beides in ihr
ungekannten Dimensionen mit sich. Schwüler Dunst lag um sie herum. Sie roch Alkohol und den sauberen Leinenstoff.
Remy überlegte, forschte in ihrem Verstand nach weiterer Hilfe. Aber ihr fiel nicht ein, was sie noch tun könnte. Magie hatte sie gewirkt und sie hatte verbunden, versorgt, wie es in ihrer Macht stand.
Aber gab es nicht noch mehr? Fragte sie sich.
Arvel kam mit einer Schüssel heran. Zwei Tücher schwammen darin in kühlem Wasser. Eines reichte sie sofort Remy, damit sie sich ihre Finger säuberte. Die Blutmagierin nahm es geistesabwesend entgegen und fuhr sich über die Haut. Ihre Fingerspitzen waren kühl und sie hatte kaum ein
Gefühl in ihnen. Erschöpfung durchdrang sie, machte ihre Lider und Muskeln schwer. Remy spürte, dass sie ihre Grenzen erreicht hatte.
Magie war nie unendlich, ganz anders als ihre Quelle.
Sie wechselte das Tuch in ihrer Hand, wrang das andere aus und legte es dem Wanderer auf die Stirn. Er war nass, noch ehe sie ihn berührte. Perlen aus Schweiß wuchsen immer größer heran, bis sie sich nicht mehr halten mochten und hinabglitten, Platz gaben, damit neue entstanden.
Remy legte ihm Kälte auf die Stirn und spürte sofort wie der
Körper darunter entspannte. Aber bei seiner Hitze wäre es nur von kurzer Dauer und er würde wieder das Feuer auf der Haut tragen.

IdKdN - Weltenwanderer (Leseprobe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt