Kapitel 55

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„Mama! Was machst du denn da auf der Treppe? Ist alles okay?" Jasmin nahm die Hände vom Gesicht und versuchte schnell sich so unauffällig wie möglich die Tränen vom Gesicht zu wischen. Nein, überhaupt nichts war okay. In Jasis Kopf hallte noch jedes von Delphies Worten. „Hast du dir irgendwie weh getan?" Leokardia schaute sie besorgt an. „Das musste ja irgendwann einmal mit diesen dämlichen Absätzen passieren." Wahrscheinlich dachte sie, sie wäre auf der Treppe gestürzt. War ja klar. Oft genug hatte sie ihr schon Vorhaltungen gemacht, wie gefährlich und ungesund ihre Highheels waren. Aber ohne die fühlte sich Jasi halt so klein und unbedeutend. Sie brauchte die für ihr Selbstbewusstsein......und um nicht ständig das Gefühl zu haben, übersehen zu werden. Da war Leokardia ganz anders. Trotz der gleichen geringen Körpergröße war sie auch barfuß selbstsicher. „Ich rufe Max sofort an, dass wir ins Krankenhaus kommen." Jasi schüttelte ihren Kopf. Nein, bei den Schmerzen, die sie gerade fühlte, konnte ihr kein Arzt helfen. Vielleicht ein Psychologe, aber wahrscheinlich nicht einmal der. „Ich habe mir nicht weh getan. Ich hatte nur ein unschönes Gespräch mit deiner Schwester." „Was hat die Zicke gemacht? Du sitzt doch nicht einfach nur so heulend hier auf der Treppe." Leokardias Augen hatten angefangen, wütend zu funkeln. Genau das hatte Jasi nicht gewollt. Sie wollte auf keinen Fall, dass das geschwisterliche Verhältnis ihrer Töchter untereinander noch mehr litt. Nein, was das anging, hatte sie als Mutter schon mehr als genug versagt. „Wir hatten Streit, weil ich sie erwischt habe, wie sie an der Stan....ähm Barré trainiert hat." Leo schüttelte ihren Kopf. „Ist die denn wahnsinnig! Weiß sie nicht, was da wieder mit ihrem Knie passieren kann? Ich schicke nachher gleich noch Max vorbei, damit er sie untersucht. So ein Kreuzbandriss ist doch kein Schnupfen." Wenigstens Leo sah es genauso, dass das ein ziemliches Risiko war, was Delphie da einging. „Also meinst du nicht, dass ich überreagiert habe?" Jasi war sich da nicht mehr so sicher. Normalerweise sagte einem der Körper ja, was er bereit war zu leisten und was nicht. Außer man hörte nicht auf ihn, weil man zu ehrgeizig war. Das würde dann wohl auf Delphie zutreffen. Ohne Ehrgeiz wäre sie wohl in Paris nicht so weit gekommen. War es da nicht völlig logisch, dass er jetzt auch wieder zuschlug? Entweder man war ehrgeizig, dann war man das in jeder Situation, oder eben nicht. Irgendetwas dazwischen gab es nicht. „Ich habe ihr angedroht die Barré abzubauen." „Du hast überhaupt nicht überreagiert. Wenn das Emilio oder Romy gewesen wären, dann hätte ich ihnen wahrscheinlich zusätzlich noch angedroht sie die nächsten Monate zu fesseln bis sie wieder komplett genesen sind." Leo ließ sich neben Jasi auf die Treppenstufe sinken und legte ihren Arm um sie. „Aber das ist doch noch nicht alles, oder? Da war doch noch mehr als der Zoff um diese blöde Stange." „Barré", korrigierte Jasmin ihre Tochter schon fast unterbewusst und zuckte ausweichend mit den Schultern. Leokardia kannte sie einfach zu gut, dass sie das gleich wieder bemerkte. Aber sollte sie mit ihrer großen Tochter über das reden, was ihr ihre kleinere Tochter an den Kopf geschmissen hatte? Das war doch nicht okay. Andererseits würde Leokardia sie wahrscheinlich verstehen, schließlich war sie ja selbst schon Mutter und mit Marvin hatte sie schon so oft geredet und es war immer nur darauf hinausgelaufen, dass er ihr geraten hatte Delphine Zeit zu geben. Aber wie viel Zeit denn noch? Delphie lebte doch jetzt schon seit über zwei Monaten hier und sie hatten nicht den geringsten Fortschritt gemacht. Nein, eher das Gegenteil war der Fall. „Wir haben uns halt so auch noch etwas gezofft." Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, denn eigentlich bedeutete ein Zoff ja, dass man sich gegenseitig Sachen an den Kopf schmiss. In dem Fall hatte aber nur Delphie das getan. „Alles ganz normaler Mutter-pubertierender- Teenager-Streit also", versuchte Jasi es herunter zu spielen. „So siehst du aber nicht aus." Leo musterte sie eingehend. „Wir haben uns bestimmt auch manchmal gezofft. Aber da hast du nie hinterher verheulte rote Augen gehabt." Ehrlich gesagt konnte sich Jasi nicht einmal an einen Streit mit Leo erinnern. Damals hatte ihre Tochter ihr eigentlich die ganze Zeit während ihrer Scheidung von Roman zur Seite gestanden. Ja, sie waren ein eingeschworenes Team gewesen und hatten zusammengehalten. Manchmal hatte Jasi fast schon ein schlechtes Gewissen gehabt, dass sie Leo diese Teenagerphase irgendwie nahm. „Okay, was hat diese kleine Zicke dir an den Kopf geworfen?" Schon dieses leichte Knurren in Leos Stimme, sagte Jasi, dass es vielleicht nicht so gut wäre, wenn sie ihrer großen Tochter wirklich das wiedergab, was Delphie ihr an den Kopf geworfen hatte, denn sie wollte unbedingt vermeiden, dass Leo aufsprang und zu ihrer Schwester stürmte, um sie zur Rede zu stellen. Und das war zu erwarten, denn Leo war nicht gerade für ihr ruhiges, ausgeglichenes Temperament bekannt, wenn ihr etwas gegen den Strich ging. „Ach nur so die üblichen Teenager Vorwürfe", versuchte Jasi erneut es herunter zu spielen, auch wenn der Schmerz über Delphies Wort immer noch in ihrem Herzen brannte. Diese Worte ihrer anderen Tochter gegenüber zu wiederholen, würde sie garantiert wieder dazu bringen, dass Tränen bei ihr rollten. Ja, die Worte hatten sie zutiefst verletzt und ihr gleichzeitig das Gefühl gegeben als Mutter versagt zu haben. Sie musste doch alles falsch gemacht haben, wenn Delphie so empfand. Alleine bei diesem Gedanken musste Jasi schon wieder schwer schlucken. „Was hat die Zicke gesagt?" Leo ließ einfach nicht locker. „Die Wahrheit, geliebtes Schwesterherz!", ertönte Delphies schneidende Stimme hinter ihnen und sie drehten sich beide um. „Aber damit konntet ihr ja in diesem Haus noch nie umgehen." Delphie hatte sich dort im Flur wie ein Racheengel aufgebaut und schaute mit eisigem Blick auf sie hinab.

Schuss und Treffer - Tanz mit dem Ball    Teil 14Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt