Zerkleinert

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Ritsch... ratsch...

Ich schnaube.

Ritsch... Ratsch...

Nimm nicht diese Säge, haben sie gesagt.

Nimm um Gottes Willen nicht diese Säge!, haben sie immer wieder gesagt. Verdammt nochmal, ich pfeife darauf, was Gott will.

Sie ist verflucht!, wollten sie mich warnen. Pah, als ob es so etwas lächerliches wie einen verdammten Fluch geben würde. Wir leben im 21. Jahrhundert! Nicht im tiefsten Mittelalter, in dem man noch geglaubt hat, Frauen schmieren Salbe aus gekochten Kindern auf den Stiel eines Besens um damit durch die Nacht zu reiten! Herrgott nochmal! Wo sind wir denn hier?! Nur weil ich diese dämliche Stelle in diesem zurückgebliebenen Dorf angenommen habe, meinen die wohl, die können mir hier ihre Bauernmärchen auftischen, oder was?!

Ritsch... ratsch...

Ein letzter Zug und die Beinscheibe des Jungbullen fällt geräuschvoll auf den Tisch. Was für eine Schinderei! Nicht einmal eine elektrische Bandsäge gibt es hier! Ich muss wohl schon froh sein, dass ich meine Messer nicht mit einem Handwetzstein schleifen muss. Geschweigedenn, dass es hier überhaupt Strom gibt.

Säuberlich kratze ich das Knochenmehl von den Scheiben, die ich gesägt habe und schichte sie in die rote Kiste. Fertig für die Ladentheke.

Meine Gummistiefel drücken. Es ist einfach zu viel Arbeit, für einen allein.

Seid der verdammte Meister krank ist, kann ich den Laden allein schmeißen.

Benutze nicht die Säge!, war das Letzte gewesen, was er mir sagte, ehe sie ihn ins Krankenhaus verfrachtet haben. Ich schüttle energisch den Kopf. Verdammte Bauerntölpel!

Und jetzt habe ich die Säge doch benutzt. Nicht zum ersten Mal heute, nein eigentlich schon die ganze Woche. Interesse halber frage ich mich, was denn groß passieren sollte. Würde sie sich selbstständig machen und mir den Kopf von den Schultern sägen? Bewegt von geisteshand? Jetzt kann ich mir ein Lachen kaum noch verkneifen und schüttle energisch den Kopf. Wuchte mir die volle Kiste auf die Schulter und trage sie hinüber in den Kühlraum, wo ich sie auf einen Stapel genau neben der Tür zum Laden stelle.

Es ist kalt hier drin, gerade einmal vier Grad Celsius. Ich sehe mich nach dem Verarbeitungsfleisch zur Wurstproduktion um. Auf einem kleinen Rollwagen schiebe ich einen ganzen Kistenstapel nach draußen in die Wurstküche, neben die Waage und den Fleischwolf.

Schnell und erfahren wiege ich die nötige Menge Fleisch, Fett, Eis und Gewürze ab, lasse das Fleisch durch den Wolf laufen und gebe alles bis auf das Eis in den gewaltigen Kutter.

Wofür mein Meister so einen riesigen Kutter braucht, ist mir wahrlich ein Rätsel. Die Metzgerei wirft kaum genug ab um mich und den Lehrling anständig zu bezahlen, aber da braucht man dann eine Maschine, wie sie sonst nur in Industrieanlagen zu finden ist. Komplett bescheuert diese Dorftrottel.

Mein Blick fällt hinüber an die Wand, wo ich die Säge hingehängt habe, nachdem ich sie ordentlich gereinigt hatte.

Sie ist verflucht!

Buuuh! Ich bin Casper der freundliche Geist!

Ich lache freudlos ob dieses Gedankens und werfe den Kutter an. Augenblicklich erfüllt ohrenbetäubender Lärm den Raum und ich beobachte angestrengt die allmählich dünner werdende Fleischmasse in der sich drehenden Schüssel vor mir. Mir gefällt diese Arbeit. Schon immer, auch wenn die Bezahlung echt beschissen ist.

Sie hat meinem Großvater gehört! Wegen ihr ist er ums Leben gekommen!

Wieso habt ihr sie nicht einfach weggeworfen?

Sie war jeden Morgen wieder hier...

Langsam gebe ich das Eis dazu und schalte das Getriebe einen Gang höher, um die Umlaufgeschwindigkeit der Messer zu erhöhen. Dabei beobachte ich nach wie vor die Masse, um zu gewährleisten, dass das Eiweiß nicht verbrennt. Hinter mir ist der Kessel auch schon fast auf Betriebstemperatur. Meine Lackschürze hängt an mir herunter und streift immer wieder an der rotierenden Schüssel, wenn ich die Masse mit der Hand etwas bearbeite, damit sich auch die letzten Fleischbrocken auflösen.

Es ist brodelnd heiß in der Wurstküche, weswegen ich erschrocken zusammenfahre, als meinen Nacken plötzlich ein kalter Lufthauch streift. Ich wirble herum, wohl mehr aus Schock, denn aus einem anderen Grund. Leider übersehe ich dabei, dass sich meine Schürze an der Schutzvorrichtung der Kutterschüssel einhängt und die klebrige Masse an sie fest haftet. Mir bricht es schier den Rücken, als sie mit einem Schlag mitgezogen wird und mich gegen die riesige Maschine schleudert. Kann mich gerade noch so fangen und taste mit der Hand nach dem Not-Aus-Schalter dieses Monsters.

Gerade als meine Finger den großen, roten Knopf ertasten, meine ich einen kräftigen Schub im Rücken zu spüren.

Ich gleite auf dem rutschig nassen Boden aus und tauche mit dem Kopf voran in das Fleischbrät. Natürlich dreht sich die Schüssel weiter...

Verdammte Bauerndeppen!

"Nun, er muss sich mit seiner Lackschürze verfangen haben. Ist dann mit dem Kopf voran wie ein Turmspringer in die Masse eingetaucht. Die Schüssel hat sich natürlich weiter gedreht und so ist er in die Messer geraten. Wenn ich mir das so ansehe, dürfte es mindestens eine Minute gedauert haben, ehe er tot war. Zuerst haben die Messer wohl nur ganz leicht über seine Stirn geschrammt, ehe sie die Haut weggefetzt, den Schädelknochen zertrümmert und schließlich das Gehirn zerstört haben. Sieht aus, als hätten ihn riesige Ratten angenagt. Aber trotz allem wohl nur ein Arbeitsunfall", erklärt der Gerichtsmediziner, ehe er sich wieder dem grausigen Fund zuwendet.

"Und Sie sind sich absolut sicher, dass er allein hier hinten war? Normalerweise ist es unmöglich sich mit einer Schürze derart in einem dieser Geräte zu verfangen. Vor allem wenn es sich um ein so modernes Modell handelt." Der Polizist runzelt misstrauisch die Stirn.

Die Frau des Meisters ist leichenblass und knetet nervös ihre Hände. "Natürlich war er allein. Ich war mit meiner Mitarbeiterin vorn im Laden. Der Lehrling hat heute Berufsschule und mein Mann liegt im Krankenhaus, wie Sie ja wissen. Wir haben erst bemerkt, dass etwas nicht stimmt, als der Kutter gar nicht mehr aufgehört hat zu arbeiten."

"Können Sie sich sonst erklären, wie das passiert sein könnte?"

Ihr Blick wandert deutlich hinüber zur Wand, wo eine große, altertümlich aussehende Bügelsäge hängt. Sie schüttelt den Kopf. "Er muss wohl das Gleichgewicht verloren haben..."

"Das Gleichgewicht, soso..." Er macht sich einige Notizen. "Nun, ich denke das genügt fürs Erste. Wenn wir noch Fragen haben, werden wir auf Sie zurück kommen."

Geistsabwesend nickt sie und versucht nicht auf die hellen Blutspritzer zu sehen, die überall an den gekachelten Wänden zu finden sind. Außer auf der Säge, die sieht aus wie frisch geputzt. Wir haben es ihm alle gesagt! Alle haben wir ihn gewarnt! Ignoranter Stadttrampel!

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