03 Tres

51 6 6
                                    

                                       Julia

Doch irgendwann las ich, in einem meiner unzähligen Bücher, einen Spruch, der mich daran erinnerte, dass ich ein wertvolles Leben habe. Dass ich draußen Menschen habe, die ich liebe und die mich liebten. Die Welt ist zu wertvoll, mein Leben ist zu wertvoll, um es einfach weg zu schmeißen, ohne dass ich je versucht habe alles aus diesem Leben raus zu holen. Ich konnte so viel erleben.

Diese Worte haben mich mehr oder weniger wieder auf die Lebensstraße gestoßen, wo ganz vorne noch so viele Sachen stehen, die ich irgendwann erleben werde.

Durch diese Worte habe ich mich zusammen gerafft. Ich wollte mein Leben wieder ändern. Ich wollte wieder gesund werden. Ich wollte wieder lächeln. Lachen, als wäre kein Morgen da. Ich wollte Lebensfreude in mir Spüren. Keine Sorgen, Trauer und Enttäuschung. Enttäuschung von mir selbst. Enttäuschung von den Menschen, die mich verletzt haben oder immer noch verletzten.

Ich suchte mir einen Therapeuten, dem ich mich anvertrauen konnte. Dem ich alles erzählen konnte. Wo ich meine ganze Frust und Wut und Enttäuschung aussprechen konnte.

Den hatte ich gefunden. Und Dr. Main ist einer der wichtigen Personen in meinem Leben geworden, denen ich dankbar bin, dass ich sie habe. Er hat mir geholfen. Ich bin zwar immer noch nicht geheilt und die Situation zu Hause wurde auch nicht besser. Aber mir ging es besser. Ich aß wieder. Lächelte ab und zu. Besuche häufig das Grab von Papá, um ihm alles zu erzählen.

Emilie konnte ich natürlich auch alles erzählen und sie ist und war eine sehr große Hilfe, aber Dr. Main hat Gedanken in mir ausgelöst, die mich aufgemuntert haben, weiter zu leben.

Jeden Abend schrieb ich auf, wofür ich dankbar war und was ich heute alles gutes gemacht habe. Das hilft mir, um klare Gedanken zu fassen, mit einem guten Gefühl schlafen zu gehen und ich kann mir das jeder Zeit angucken und sehen was man im Leben alles gutes machen kann.

Ich gehe immer noch jeden Dienstag nach dem College zu Dr. Main, um ihn auf dem Laufenden zu halten. Trotzdem kann ich jederzeit bei ihm vorbei kommen, wenn ich seine Hilfe benötige oder mir irgendetwas auf dem Herzen liegt.

Heute war so ein Dienstag, was bedeutet, dass ich erst später zu Hause sein werde. Was den Umständen entsprechend nicht schlimm war, aber ich konnte mein Anliegen endlich loswerden.

Aber erst einmal Schule überleben.
Eine sehr schwierige Aufgabe, bei unseren Lehrern, die dich zum einschlafen bringen.

Der Stundenplan ist auch nicht sehr prickelnd, aber naja was soll man machen. Business, Englisch, Psychologie...

Nachdem ich also beim Spind war, um die nötigen Bücher für heute rauszuholen, ging ich in den Englischsaal. Schnell lege ich alles auf meinem Platz bereit und begrüße, mit den anderen, meine Lehrerin.

Ich merkte, wie mir langsam meine Augen zufielen, doch versuchte es mehrmals zu unterlassen. Doch irgendwann schlief ich dann ein.

Erschrocken schrecke ich auf. Das Licht war jedoch so hell, dass ich erstmal meine Augen zusammenkneife. Nachdem sie sich an das Licht gewöhnt hatten, erkannte ich einen jungen Mann vorne stehen, der versucht sich bei Mrs. Chester zu entschuldigen. Mit einem grinsenden Gesicht schaue ich dem Ganzen zu, verschwindet recht schnell als er sich umdreht und auf mich und meinem leeren Sitzplatz zuläuft.

Kurz mustere ich ihn. Sein Körper ist breit und muskulös. Ein Gesicht, wie ein Gott. Wunderschöne blaue Augen und seidige Haare.

Wir halten Augenkontakt bis er sich neben mir niederlässt. Mrs. Chester gibt ihm noch einen letzten missbilligenden Blick zu, weil sie es überhaupt nicht ausstehen konnte, wenn jemand zu spät in ihren Unterricht kam, und wendet sich dann an den Rest des Kurses

Da ich dem Unterricht sowieso nicht folge überlege ich über den Jungen neben mir nach. Er sieht älter aus als ich und muss neu sein, da ich ihn noch nie hier gesehen habe.

Dann plötzlich drehte er sich um und schaute mir direkt in die Augen. Sofort werde ich in den Bann des blauen Meeres, in seinen Augen, gezogen.

Lächelnd sieht er mich an und streckt seine Hand aus. Skeptisch schaue ich auf seine Hand. Wer streckt denn in dieser Jugend noch die Hand aus?! Schließlich nehme ich sie dann doch, um nicht unhöflich zu sein. „Ich bin Léon und du?", fragt er und setzte ein freundliches Lächeln auf. „Julia. Freut mich dich kennen zu lernen", antworte ich und lächle zurück.

Den Rest der Stunde folgen wir einfach dem Unterricht und blieben leise.

Vertieft in meine Gedanken packe ich nach Stundenschluss meine Sachen ein. Noch ein letztes Mal drehe ich mich um, damit ich sicherstellen kann dass ich alles habe. Danach gehe ich noch schnell zu Mrs. Chester.

Plötzlich tippt mich jemand von hinten auf die Schulter und ich bleibe in Türrahmen stehen, um mich umzudrehen.

Hinter mir steht Léon, der mich mit seinen wunderschönen und irgendwie bekannten, Augen anschaut. Er lächelt mich an und ich erwidere es sofort. Es fühlt sich so an als würden wir uns schon ewig kennen.

Er wollte gerade sprechen, doch jemand kam ihm zuvor. „Heyyyyy, ich bin Samanthaaaa", spricht sie mit ihrer piepsigen Stimme und klimpert wild mit ihren Fake Lashes. Mit einem Finger dreht sie eine ihrer braunen Locken ein und guckt Léon auffordernd an.

Mir schenkt sie natürlich keine Aufmerksamkeit, aber darüber bin ich ehrlich gesagt auch froh.

Léon verdreht seine Augen und guckt mich an. Auch ich schaue ihm in die Augen und bin wie gefesselt von dem Ozean. Je länger ich hineinschaue desto tiefer verliere ich mich.

Samantha, neben mir, schnaubt laut auf und versucht wieder die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Sie tritt einen Schritt auf Léon zu und schnippst mit ihren langen Krallen direkt vor sein Gesicht.

Dieser scheint das aber gar nicht mitzukriegen und schaut mir lediglich in meine Augen. Einfach so. Als ob es Samantha nicht gebe. Nur er und ich.

Ich weiß nicht wie lange wir hier schon stehen, aber es fühlt sich an wie eine Ewigkeit. Immer wieder hab ich das Gefühl diese Augen zu kennen, doch im nächsten Moment sind sie mir wieder so fremd, wie Sonne und Mond. Als ob Léon eine Mauer vor seinem Inneren und seinen Gefühlen errichtet hat. Ich kenne das nur zu gut. Ich hab sie auch.

Seit Dad gestorben ist, lasse ich niemanden mehr an mich dran, außer Emilie und mein Bruder. Meine Mutter ist versunken in ihrer Trauerwelt und ist die ganze Zeit betrunken. Mich haben schon zu viele verletzt, dass ich mich nicht einfach öffne. Es braucht viel Zeit bis ich mich jemandem anvertraue.

Doch bei Léon fühle ich mich irgendwie wohl. Ich kenne zwar nur seinen Namen, aber irgendwas in mir sagt, dass ich ihm vertrauen kann.

 Ich kenne zwar nur seinen Namen, aber irgendwas in mir sagt, dass ich ihm vertrauen kann

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.
It's youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt