Kapitel 11

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16.07 L
Ein leises Klopfen riss mich aus meinem unruhigen Schlaf. „Linus?", rief eine Stimme durch die Tür. Mit zitterndem Körper richtete ich mich auf, wobei mein Blick in den Badezimmer Spiegel fiel. Ich war blass und rote Spuren zogen sich über meine Haut. Mein Blick wanderte zu meinem Finger, die Blut verkrustet zitterten. „Linus, wach bitte auf." Rief die Stimme erneut. Vorsichtig zog ich mich am Wannenrand hoch, meine Beine kribbelten, wie tausend Brausetabletten. Mit stumpfen Schritten lief ich mich an der Wand abstützend zum Bett. Mit zitternden Händen zog ich mir die Bettdecke um die Schultern. „Linus, bist du da?" Rief erneut die helle Stimme. Vorsichtig zog ich die Tür einen Spalt auf. Ley stand mit zwei jungen Mädchen vor der Tür. „Linus, gut, du bist wach. Es sind einige Fremde da. Sie kommen aus allen Richtungen. Könnten es deine Leute sind?" Kopfschüttelnd schlang ich die Decke enger um meine Schulter, was meinen Nacken zum Brennen brachte. „Sie können es nicht sein. Sie hätten sich vorher angekündigt." Sie hatte noch ihren Schlafanzug an, mit einer viel zu großen Jacke über den Schultern stand sie da. Elias' Geruch deutlich an sich tragend. „Könntest du mit in den Speisesaal kommen?" Ihre Begleitungen scharrten regelrecht mit den Füßen. „Warte kurz, ich zieh' mir was an." Die Tür schließend, wand ich mich zum Bett. Mit bleiernen Gliedern zog ich mir ein frisches Set Kleidung über, bevor zu Ley und den anderen beiden auf den Flur trat. „Elias und die anderen sind an den Grenzen." Erklärte sie mir, während wir gemeinsam zum Speisesaal liefen. „Habt ihr 'ne Ahnung, wer es sein könnte?" Kopfschüttelnd hielt sie mir die Tür auf. Lautes Gemurmel und quengelnde Kinderstimmen kamen uns entgegen. Der Saal war gefühlt mit älteren Leuten und Kindern, vereinzelt ein paar jüngere Menschen. „Nein, dies ist das erste Mal, dass so etwas passiert ist, seit ich in diesem Rudel bin." Unsicher fuhr sie mit zittrigen Händen durch ihre Haare, die wahrlich mal eine Bürste gebrauchen konnten. „Ley weißt du, wo Malte die Decken lagert? Ich hab' zwar die Heizung etwas aufgedreht, aber es ist immer noch etwas frisch für unsere Menschen." Fragte eine ältere Dame, die nicht mehr trug als ein Nachthemd. „Ich habe da eine Vermutung, lass uns schauen." Sie wand sich schon erneut zur Tür, als sie innehielt ...
„Linus, setz dich besser hin, du bist echt blass. Ich schau' mir gleich noch mal deine Wunden an, okay?" Meine Hand wanderte automatisch zu meinem Nacken. Ich wollte ihr gerade sagen, dass es schon geht, da war sie längst weggelaufen. Den anderen einigermaßen aus dem Weg gehend, trat ich zum Tresen, wo ein kleines Menü aus Kräckern, Keksen und Obst breit stand. Vorsichtig ließ ich mich auf einen der Hocker sinken und betrachtete den Trubel. Ich sollte frühste möglich verschwinden. Es wurde langsam zu gefährlich. Eine werdende Mutter saß mit einigen mehr oder weniger müden Kindern in einem Kreis, lass Geschichten vor. Beschäftigt tief einatmend strich mit dir fettigen Haare aus der Stirn. Das Waschen hatte nicht viel gebracht. Schwitzen und Stress hatte es erneut fetten lassen. „Ah, da bist du ja." Erklang eine Männliche Stimme hinter mir. „Du hast doch sicherlich 'ne gute Nase, oder?" Elias' Vater, John, hockte in einem Bademantel gewickelt und ner Mütze hinter dem Tresen. Er sah mehr als nur verpennt aus, wie er dahockte. „Ja, wieso fragen Sie?" Mit dunkel untermalten Augen schaute er zu mir auf, wie eine Katze, der man 'nen leeren Napf hinstellt. „Kannst du irgendwo Kaffee riechen, ich weiß nicht, wo Malte ihn lagert? Ich brauche einen." Tief einatmend, versuchte ich nach dem Geruch Ausschau zu halten. „Versuch es mit der hinteren Ecke, im oberen Schrank." Begeistert sprang er auf, wobei er mehr als nur leicht ins Schwanken geriet. Mit einem wie sollte man es nennen, dankbaren seufzend zog er den Kaffeepott aus dem Schrank. Den Deckel öffne, schniefte er den Geruch ein, fast befürchtete ich, er würde gleich das Kaffeepulver durch die Nase einziehen. „Danke sehr Junge. Willst du auch einen Kaffee?" Er stellte sich vor die Maschine und begann zu löffeln, ohne eine wirkliche Antwort abzuwarten. Mein Blick wanderte durch den Raum und blieb an zwei Frauen hängen. Eine trug ihr Baby in einer Trage, die andere war hochschwanger. Beide redeten miteinander, wobei die Schwangere deutlich nervöser war. Sie waren so einem Risiko und Stress ausgesetzt, wahrscheinlich nur meinetwegen, alleine. „Wir vermuten, dass sie Braxton-Hicks-Kontraktionen hat. Liegt wahrscheinlich am Stress." Murmelte John, der meinem Blick folgte. „Das wird schon, Ley wird sich gleich um sie kümmern." Der Kaffeegeruch erfüllte die Luft um mich herum. „Es ist ihr erstes Kind, daher ist sie umso nervöser." Wir beide schauten zu, wie die junge Frau zusammenzuckte und krampfhaft einatmete. Er drückte mir eine Tasse in die Hand. „Milch und Zucker." Er stellte mir beides in Reichweite, bevor er sich in seine eigene Tasse vertiefte. Die Tasse zwischen meinen eiskalten Händen drehend, beobachtete ich die beiden Frauen. „Linus, ist deine Wunde im Nacken wieder aufgegangen?" Meine Hand wanderte zu meinem Nacken, berührten den feuchten Stoff. „Nein, es ist nur Salben, die durch gesifft ist." John beugte sich erneut runter zu den Schränken und fing an zu kramen. „Ich habe hier irgendwo einen Verbandskasten gesehen. Warte kurz."

Er sollte nicht sehen, was ich getan hatte, es ging ihn nichts an. „Geht schon, ist okay." Ich stand vom Hocker auf und lief auf die zwei Frauen zu. Den Kindern und anderen ausweichend. Ley trat in den Raum, ein Haufen Decken auf dem Arm. „Linus, alles in Ordnung?" Fragte sie, als die mich auf kurz vor den beiden Frauen anhielt. „Ja, ich wollte nur kurz helfen. Ich kenne da 'nen Trick."

Gemeinsam traten wir näher an die zwei Frauen, wobei die eine sich schon beschützend vor mir aufbauen wollte. „Das ist ein Freund von uns. Er besucht uns gerade. Wir wollen uns nur einmal kurz ihren Zustand anschauen." Beruhigte Ley die Frau und trat mit ihr beiseite. „Hi." Vorsichtig ließ ich mich vor der Frau auf einen Stuhl sinken. Das Bein ausgestreckt. Unsicher schaute sie mich an, wobei ihr Blick immer wieder zu Ley und der anderen huschte. „Darf ich?" Meine Hände offen vor ihr ausbreitend, beobachtete ich ihre unregelmäßige Atmung, sah, wie ihr Schweiß ihre Haut zum Glänzen brachte. Ein erneutes Krampfen ließ sie zusammenfahren, tief schlotternd durchatmend drückte sie ihre Hände auf ihren Bauch. „Ich kann machen, dass es aufhört." Ohne noch zu zögern, umfassten ihre krampfenden Hände meine. Schwer schluckend ließ ich mich auf ihren Rhythmus ein, ihren Herzschlag, den zweiten kleinen Herzschlag. In die diesen eingreifend, spürte ich, wie ihre Umklammerung sich löste. Ihre angespannten Schultern sich senkten, ihre Atmung langsamer und tiefer wurde. Mit leichten Kreisen strich ich über ihre Handinnenflächen, bis alles im Einklang war. Leys Blick und den anderer direkt auf mich spürend, atmetet ich selber einmal tief ein, bevor ich eine letzte Welle auslöste.
„Das sollte reichen." Meine Hände von ihr lösend, bemerkte ich, dass die junge Frau eingeschlafen war. „Wie hast du das gemacht?" Fragte John, der zu uns getreten war. „So etwas hab' ich noch nie gesehen, dabei hast du nur nach ihrer Hand gegriffen."
„Das ist ein kleiner Trick, den ich gelernt habe. Aber nun brauche ich erst mal frisch Luft." Mich aufraffend wollte ich an dem drein vorbeilaufen, da fasste mich John am Arm. „Warte, wir sollten deine Wunde noch einmal versorgen." Kopfschüttelnd zog ich mich los. „Geht schon."

Das war definitiv zu viel Aufmerksamkeit, meine nun eiskalten verschwitzen Hände in die Hosentaschen stecken lief ich zur Terrassentür. „Warte, ich komme mit, du solltest nicht alleine hinausgehen. Dazu wollte ich mir doch noch mal deine Wunden anschauen."

Ihre zwei Leutchen, die ihr schon die ganze Zeit folgten, kamen auch hinter uns her. „Ley hier nimm den." Auf halber Strecke drückte ihr John einen ersten Hilfekasten in die Hände.

Durch die Terrassentür tretend, atmete ich die frische, kühle Luft ein. Die Fliesen waren kühl und rutschig unter meinen Füßen, leichter Nebel bedeckte Gartenfläche. Das Gefühl von Tau feuchtem Grass zwischen den Zehen ließ mich grinsen. "Geh nicht zu weit raus." Rief Ley, die mir voll beladen folgte. Sie hatte den ersten Hilfekoffer und zwei dicke Jacken auf dem Arm. „Hier zieh die über, sonst wirst du noch krank." Sie schmiss eine der Jacken auf mich, sodass die Kapuze sich auf meinen Kopf legte. Sofort umschloss mich ein wohliger Geruch, der Wärme in meine Glieder fließen ließ. Meine Arme, in die viel zu groß ausgefallen Jacke stülpen, stellte ich fest, dass sie mir bis zur Mitte meiner Oberschenkel ging. Ley hatte sich ihre währenddessen angezogen. Sie ließ sich auf den drei Stufen rauf zur Terrasse sinken. Ihre Haut glänzte im Schein des Mondes. Wir waren gerade so weit von der gläsernen Terrassentür entfernt, dass uns ihr Schein kaum erreichte. Ihre zwei Leutchen waren hinter der Tür geblieben und redeten. „Ist deinem Rudel so was auch schon passiert? Dass ihr so umzingelt wurdet?" Meinen Blick auf die Büsche am Ende des Gartenzaunes gerichtet, nickte ich nur. „Mehr als nur einmal. War noch nie eine besonders schöne Erfahrung ..." Sie hantierte mit dem Koffer auf dem Schoß herum. „Wieso sind sie hier?" Meine kalten Finger tief in die Jackentaschen schiebend, krallte ich mit den Zehen in die feuchte Erde. „Meinetwegen. Wahrscheinlich ..." Sie hörte auf in dem Koffer rum zuhantieren und schaute zu mir auf. Unsere Blicke trafen sich, ihre Augen hatten ein blasses Grün, durchzogen von einem gelben Kranz, der nicht ganz vollständig war. „Ich bin es, der sie hergeführt hat." Kopfschüttelnd richtete sie sich auf, den Koffer beiseitestellend. „Du bist mehr als offensichtlich vor ihnen geflüchtet. Ich bezweifle, dass du etwas so Schlimmes verbrochen hast, dass du all das verdient hättest." Sie deutete auf mein Bein und fasste sich das an ihren eigenen Nacken. Den Biss mehr als nur offensichtlich andeutend. Meine eigene Hand wanderte nach oben. Sie trat näher auf mich zu. „Du weißt nichts. Rein gar nichts." Ich trat einen humpelnden Schritt zurück. Mich von ihr abwenden. Ich brachte Unheil. Unheil, dass keiner von diesen unschuldigen Leuten je verdient hätte. Meinetwegen waren sie in Gefahr. „Ich sollte gehen ..." Zwei Schritte weit kam ich, da packte sie mich am Ärmel, wodurch ich mit meinem rechten Bein wegrutschte. Ein eiserner Schmerz ließ mich nach Luft schnappen. Hitze wellen, ließen mir schweiß über den Rücken laufen. „Ich gehe ..."

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