𝟎𝟓

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Alenia

Wenn es eine Sache gibt die ich bereue, dann ist es definitiv den Englisch Leistungskurs gewählt zu haben. Aus welchem Grund habe ich mich ausgerechnet für diesen und nicht für Deutsch entschieden? Dieser wäre mit Sicherheit um einiges Leichter gewesen. Während ich mich vor genau einer Woche noch darüber beschwert habe, dass wir das Simple Present wiederholen, wünsche ich mir dieses einfache Thema genau jetzt wieder zurück.

Es reicht ja nicht schon, dass wir eine Gedichtanalyse in Deutsch schreiben mussten, jetzt müssen wir auch noch eine Textanalyse in Englisch aufs Papier bringen. Wenn es eins gibt was ich hasse, dann definitiv solche ewig langen Texte zu schreiben. Natürlich wäre das im Deutsch Leistungskurs nicht anders, doch solche Texte auf Deutsch zu schreiben ist um einiges leichter. Leider werde ich die nächsten zwei Jahre damit leben müssen, denn nun ist es sowieso zu spät etwas daran zu ändern.

Die ganze Stunde haben wir gebraucht, um die Textanalyse zu schreiben. Am Ende mussten wir sie sogar zur Bewertung abgeben, weshalb ich in einen ziemlichen Zeitdruck geraten bin. Ich hatte nichtmal mehr die Möglichkeit, sie am Ende durchzulesen und mögliche Fehler zu korrigieren. Trotz dessen denke ich, dass mir die Analyse gut gelungen ist und garnicht so schlecht ausfallen wird. Ich hoffe es jedenfalls, denn schlechte Noten kann ich mir im Abitur nicht erlauben.

Dafür kann ich mich auf die jetzige Pause freuen. Zwar habe ich danach wieder Mathe, doch dadurch dass ich diesen Kurs mit Kayla zusammen habe, ist er etwas erträglicher. Denn egal wie sehr ich Mathe hasse, mit einer guten Freundin ist alles besser.

Ja, mittlerweile bezeichne ich Kayla als eine Freundin. Wir kennen uns zwar gerade mal seit genau einer Woche, doch wir verbringen jede Pause miteinander und haben uns letzten Samstag getroffen. Zudem schreiben wir uns regelmäßig. Ich denke das kann man auch nach kurzer Zeit als eine Freundschaft bezeichnen.

Ich begrüße Kayla und Kian während ich mich zu ihnen an den Tisch setze, was sie erwidern. Sobald die Temperaturen draußen kälter werden, verbringen wir die meisten Pausen drinnen in der Mensa. Aus diesem Grund sind wir auch in letzter Zeit immer hier.

„Alsoo...", setzt Kian an. „Ab nächster Woche sind ja Ferien, was bedeutet, dass bald Halloween ist. Das wiederum bedeutet, dass wir an diesem Tag unbedingt etwas zusammen unternehmen müssen." „Ja!", ruft Kayla euphorisch aus. Auch ich stimme zu. Ich liebe Halloween, das ist mit Abstand einer der besten Feiertage.

„Und an was hast du da gedacht?", frage ich. Wenn Kian schon sagt, dass wir an diesem Tag etwas unternehmen müssen, bin ich mir sicher, dass er auch einen Plan hat. „Es gibt so einen Club, der eine Halloween Party veranstaltet. Mehrere aus unserer Stufe und wahrscheinlich auch aus der zwölften werden dort hingehen. Da es schon ab Sechszehn ist, sollten wir problemlos reinkommen." Kurzerhand beschließen wir uns dazu, die Details ein paar Tage davor zu besprechen.

Als auch die grausame Mathestunde vorüber ist, atme ich erleichtert auf. Die Erleichterung ist aber auch schnell verschwunden, als unser Lehrer noch zu seinem letzten Satz ansetzt. „Nächste Stunde schreiben wir über das ganze letzte Thema einen Test." Genervt stöhne ich auf. „Das kann doch nicht wahr sein", sage ich beim herausgehen durch die Tür.

„Ich habe überhaupt nichts verstanden, ich weiß garnicht wie ich das schaffen soll." „Ich auch nicht. Aber ich frage einfach meinen Bruder, ob er mir das Thema erklärt." „Ist er gut in Mathe?" „Ja, er ist sogar im Mathe Leistungskurs." Der Gedanke daran Mathe als Leistungskurs zu haben, ist wirklich eine grauenhafte Vorstellung für mich.

„Wenn du möchtest können wir zusammen für den Test lernen. Ich lasse es mir einfach von meinem Bruder erklären und helfe dir, oder er hilft direkt uns beiden." „Ich denke es wäre mir etwas unangenehm mir von deinem Bruder helfen zu lassen, aber wir können gerne zusammen lernen." Wenn ich ihn besser kennen würde, hätte ich wahrscheinlich kein Problem damit, aber so fände ich es etwas komisch. Ich weiß auch nicht warum.

„Kein Problem. Du kannst diese Woche gerne zu mir kommen wenn du möchtest." Da wir erst am Freitag wieder Mathe haben, haben wir die ganze Woche Zeit um zu lernen. „Gerne." Ich würde mich wirklich sehr freuen zu Kayla nachhause zu gehen. So kann ich meinem erdrückend stillen Zuhause entkommen. Meine Tante und mein Onkel haben mit Sicherheit nichts dagegen, wenn ich etwas unternehme. Das haben sie nämlich nie. Ich habe unfassbar viele Freiheiten, wofür ich sehr dankbar bin, doch manchmal merkt man genau daran, dass ich für sie nicht mehr als ihre Nichte bin. Ich werde nie eine Tochter für sie sein, auch wenn sie mich mein ganzes Leben lang großgezogen haben.

Als ich nach der Schule nachhause komme ist niemand zuhause. Auch als die Sonne langsam untergeht, taucht noch immer niemand auf. Erst als es bereits dunkel draußen ist, höre ich die Haustür unten zufallen.

Diesmal laufe ich die Treppen herunter, um die beiden mit einer Umarmung zu begrüßen. „In einer halben Stunde gibt es Essen", lächelt meine Tante. Ich nicke und verschwinde wieder auf mein Zimmer, wo ich mich für diese kurze Zeit mit meinem Handy beschäftige.

Nach ungefähr 25 Minuten gehe ich wieder nach unten in unsere Küche, um unseren Esstisch zu decken. Tante Ilona steht am Herd und kocht Nudeln, was man schon von der Treppe aus riechen konnte.

„Wie wars in der Schule?", fragt mich mein Onkel, als wir am Tisch sitzen und unsere Teller häufen. „Ganz okay. Wir schreiben am Freitag einen Mathetest, wofür ich diese Woche mit Kayla lernen werde. Sie ist neu auf unserer Schule." Aufmerksam hören sie mir zu. Wenn wir mal Zeit miteinander verbringen, sowie gerade eben, interessieren sie sich wirklich für mich. Doch das kommt nicht oft vor.

„Dann macht das. Wie geht es Kian eigentlich? Wir haben ihn lange nicht mehr gesehen." Wie sollten sie auch, wenn sie kaum zuhause sind. „Gut. Wir hatten vor Halloween zusammen zu verbringen, wenn ihr nichts dagegen habt." „Natürlich nicht. Wir freuen uns wenn ihr Spaß habt." Ein schwaches Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht.

Manchmal frage ich mich, wie es wäre, würden meine leiblichen Eltern hier an ihrer Stelle sitzen.

Be liedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt