Bruder

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Den Rest des Wochenendes verbrachten wir mehr oder weniger auf Lenny's Bett.
Tatsächlich sogar nüchtern, da Lenny am Samstag Morgen ein heftiges Down hatte.
Das ist bei ihm manchmal so.
Vermutlich gibt es einen Namen dafür aber der Rosahaarige tut immer so, als wäre das völlig normal. "Etwas, das halt ab und zu passiert. Meine Energy ist dann einfach etwas low, keine große Sache." sagt er. Ich glaube ihm nicht.

Jedenfalls kam er dann für die nächsten zwei Tage nicht aus dem Bett, also hab ich ihm Essen gebracht, ihm den Arm gekrault und jede Schwulen Serie auf Netflix angesehen.
Heart Stopper sogar zwei mal.

Jetzt ist Sonntag und ich muss wieder nach Hause, was weder ich noch er besonders toll finden.
»Packst du's?« frage ich ihn, der es nicht mal schafft aufzustehen, und fühle mich dabei unfassbar dumm.
»Klar. Tu ich doch immer.«
Da hat er Recht, was es nicht weniger traurig macht.

»Kommst du morgen?«
Er schweigt kurz, scheint zu überlegen.
»Sicher...ich muss nur noch etwas mehr schlafen.«
Eigentlich wäre es wohl besser, mal 1-2 Tage Schule auszusetzen aber das kommt für ihn eigentlich nicht in Frage.
Wo ich versuche so oft wie möglich nicht da zu sein, will er, immer da sein und hasst sich selbst, wenn er es dann nicht schafft.
Ihm sind seine Noten wichtiger als alles andere.

»Okay. Ruf an, wenn was ist.« sage ich, wohl wissend, dass er es nicht tun wird - Weil er ja so tut, als wäre nichts.

Er nickt und wir umarmen uns zum Abschied kurz.
Dann gehe ich, fahre mit dem Bus nach Hause und denke erneut an Freitag.
Genauer gesagt an den Kerl mit den stechend grünen Augen.
Ich werde ihn nie wieder sehen, weshalb ich mir die kleine Tagträumerei erlaube.

Anschließend wandern meine Gedanken zum Essen beziehungsweise nicht essen.
Natürlich hat es mir das Herz gebrochen Lenny so zu sehen aber dadurch, dass er so fertig war und immer noch ist, ist ihm nicht aufgefallen, wie wenig ich gegessen habe.

Kurz bin ich stolz auf mich, bevor mich eine Welle von Schuldgefühlen überrollt.
Mein bester Freund hat offensichtliche Probleme und ich denke an sowas?! Ich bin so ein Arsch.

Dann beginnt eine kleine Selbsthass-Tirade und ihm Nu stehe ich vor meiner Haustür.
Ich will nicht rein aber ich habe keine Wahl.
Leise - um nicht versehentlich meine Schwester zu wecken - schließe ich die Tür auf und bin erleichtert, dass es so ruhig ist.

Im Flur streife ich meine Schuhe ab, bevor ich ins Wohnzimmer lunsche, wo meine Eltern sitzen und einen Film sehen.

»Hallo.« sage ich und die beiden sehen von Bildschirm auf.
Mein Vater antwortet zuerst: "Na sieh mal an, wer auch mal nach Hause kommt." brummt er.
"Lass es gut sein." sagt meine Mutter und sieht ihn mahnend an, was meinen Vater noch nie zuvor beeindruckt hat.

»Schläft sie?« frage ich, was meine Mutter seufzen lässt. »Ja, endlich.« antwortet sie und klopft anschließend auf den noch freien Platz neben sich. »Wir können den Film noch mal neu starten.« schlägt sie vor.
»Fuck, nein. Morgen ist Schule, sie geht schlafen.« brummt der mittelalte Mann.
»Schatz-« ich unterbreche den Protest meiner Mutter. »Ich bin eh müde. Nacht.«

Ich stoße mich vom Türrahmen ab und laufe zu meinem Zimmer, höre noch wie mein Vater irgendwas völlig zusammenhangloses, homophobes über Lenny labbert aber ich bin zu müde, um zu diskutieren.
Weder er, noch sie, sind es wert.

Völlig erschöpft lasse ich mich auf mein Bett fallen. Bevor ich meine Augen schließe, checke ich noch, ob er mir vielleicht geantwortet hat, aber auch heute werde ich enttäuscht.
Und mit dem Gefühl, ihn verloren zu haben, schlafe ich ein.

-

Am nächsten Morgen werde ich nicht um 6:30 von meinem Wecker, sondern um 5:47 von meiner Schwester und ihrem Geschrei geweckt.
Als ich in die Küche gehe, sitzen dort nur meine Schwester und meine Mutter. Mein Vater hat sich wieder noch vor ihrem Aufwachen aus dem Staub gemacht - kluger Mann.
Eigentlich beginnt seine Arbeit erst um 8 Uhr, aber er verlässt immer das Haus, bevor irgendwer sonst aufwacht.
Eigentlich ist das gut, früher habe ich immer gebetet, ihn möglichst wenig zu sehen.

»Gott, was stimmt mit dem Teil nicht? Hat es Schmerzen?« murmel ich und schlürfe zur Kaffeemaschine.
»Es ist ein Baby.«
»Nein, ein Kleinkind. Und dass es 24/7 schreit ist nicht normal. Vielleicht hat es ja gecheckt, in was für eine Familie es geboren wurde.«
Vermutlich bin ich an diesem Morgen so mies gelaunt, weil ich Angst habe, dass Lennox kommt und weil er immer noch nicht geantwortet hat.
Wer weiß, vielleicht ist er schon tot und wir wurden einfach nicht informiert.

Meine Mutter seufzt nur. »Du bist auch nicht gerade eine Hilfe.«
Nicht mehr, denke ich.
Als meine Schwester frisch geboren war hab ich sie geliebt und wollte sie beschützen.
Aber dann habe ich realisiert, dass es nichts gibt, wovor ich sie beschützen muss. Nicht mehr.
Und meine Liebe verwandelte sich in Eifersucht.
Weil sie behütet und geliebt aufwächst.

Ich ignoriere ihren Vorwurf. »Hat er sich mal bei dir gemeldet?« Frage ich beiläufig, während ich mir die heiße Flüssigkeit in meine Lieblingstasse - mit Hello Kitty Aufdruck - gieße.

»Wer?« fragt sie mit nonchalanter Stimme, was mich den Griff um die Tasse verstärken lässt.
»Wie wer?!« blaffe ich.
»Ich kann nicht hellsehen.« murmelt sie und beißt von dem ihren leicht angebrachten Toast ab. Das Knustern gemischt mit dem Gequängel meiner Schwester und dem Desinteresse meiner Mutter, bringt mich zum kochen und ich muss mich so unfassbar zusammenreißen, ihr nicht die Tasse an den Kopf zu werfen.

»Mein Bruder und dein Sohn, verflucht!«
»Oh.« antwortete sie und starrt den Toast an, als könnte sie darin eine Antwort finden.
»Was nun? Hast du von Levi gehört oder nicht?«
Sie seufzt, als wäre meine Frage und ich generell - nein Wir - eine fürchterliche Last.
»Hab ich nicht. Aber du kennst ihn doch. Wenn er so drauf ist, ist er nicht viel am Handy.«

»Die würden uns aber schon anrufen, wenn er wieder abhaut, oder?«
»Vermutlich schon.« wieder beißt sie uninteressiert vom Toast ab.
Die meiste Zeit versuche ich ja auch, dass alles zu vergessen oder nicht daran zu denken, aber anders als meine Eltern, interessiere ich mich für ihn.

»Hör auf so viel zu grübeln. Wärst du ihm wichtig oder würde er an dich denken, dann würde er sich melden.« nuschelt sie mit vollem Mund.
»Du hast offensichtlich keine Ahnung wie mentale Krankheiten funktionieren, Mutter. Und das gönne ich dir wirklich so überhaupt nicht. Levi ist krank, okay? Da ist man manchmal-«
»-Ein Arschloch zu seiner Familie?« beendet sie den Satz und zieht die Augenbrauen in die Höhe.

»Nein, man hat einfach andere Sorgen.« In ein paar Schlücken kippe ich die zum Glück nur noch lauwarme Brühe runter und murmle ein "Tschau."
»Kein Frühstück?« fragt sie.
Ich bin ihr zu egal, um lügen zu müssen also antworte ich bloß "Nope" und sie sagt daraufhin auch nichts mehr.

So schnell ich kann schlüpfe ich in meine Schuhe, ziehe mir eine Jacke über und flüchte halb aus der Wohnung.
Flink die Treppen herunter und dann hinaus in die Freiheit. Obwohl - Mist - ich hab nachher Schule, nichts mit Freiheit.

Aber dank meiner Schwester und der Art meiner Mutter habe ich noch etwas Zeit, weshalb ich beschließe ihn oder besser gesagt seinen Aufenthaltsort anzurufen.
Auf diese Art ist er quasi gezwungen mit mir zu reden oder meine Existenz zumindest zu bemerken.

Es klingelt ein paar mal, bevor jemand abnimmt und fröhlich die Worte: "Guten Morgen. Psychiatrische Klinik Valus hier. Wie kann ich ihnen helfen?"

Firefly | Eren x Reader [Pausiert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt