8- Die Sturheit des Moorkönigs

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Anori

Der Himmel wurde innerhalb nur einer Stunde immer dunkler und die Gewitterwolken sammelten sich um den Berg herum. Ein tiefes Grollen erklang und wenige Wimpernschläge später öffnete der Himmel seine Schleusen. Die Regentropfen waren groß und schwer und Anori konnte sehen, wie die Flammen schwächer wurden. Er hörte das empörte Fauchen, das vom Wind bis zum Gipfel getragen wurde. Noch bevor er den Mund aufmachen konnte, um etwas zu Drasere zu sagen, sah er, wie die mächtigen Gestalten sich in die Höhe erhoben und mit kräftigen Flügelschlägen den Berg ansteuerten. Hastig erhob er sich, um zum Krater zu eilen. Jaromir blickte fragend zwischen Drasere und ihm hin und her.

"Sie kommen zurück." Drasere nickte bekräftigend. Jaromir fluchte und lehnte sich soweit hinab zum Krater, wie es möglich war, ohne abzurutschen. Er rief Tharas Namen. Schrie, dass sie herauskommen sollten. Versuchte, so laut er konnte, sie zu warnen, auch Leanord beugte sich hinab und rief so laut wie er konnte, doch es kam keine Antwort.

"Verdammt! Wie lange bleibt uns?" Jaromir wandte sich an Drasere, das Gesicht angespannt. Dieser drehte sich zum Wald um. Er kniff die Augen zusammen und schirmte sie mit der Hand ab.

"In diesem Tempo sollten sie in ungefähr einer knappen halben Stunde den Gipfel erreichen. Aber die Höhlen der meisten Drachen sind verzweigt und ein einziges Labyrinth, wenn man sich nicht auskennt, wir würden sie niemals rechtzeitig finden." Jaromir fluchte erneut und schrie den Krater hinab, bis er heiser war. Die Drachen kamen immer näher und das Gewitter wurde inzwischen heftiger. Es donnerte laut und ein Blitz schlug nicht weit von ihnen entfernt in einen großen Baum ein. Der Stamm war tiefschwarz und verkohlt und der Baum in zwei Hälften gespalten. Die Pferde begannen zu scheuen und versuchten, sich loszureißen.

"Es nützt nichts, wir müssen runter, bevor die Drachen kommen!", rief Drasere durch den heulenden Wind.

"Ich habe weiter unten einen kleineren Eingang gesehen, vielleicht führt er zur Höhle und wir können sie dort treffen. Komm, los!" Leanord nahm Jaromir am Arm und zog ihn auf die Füße. Anori konnte nichts sagen, er schaute von einem zum anderen. Das passierte doch gerade nicht wirklich. Es konnte nicht Wirklichkeit seien. Er gab sich einen Ruck und half Drasere, die drei Pferde loszubinden. Sie entschieden sich dazu, Ehrwald und Cielo mitzuführen und Jaromir zog Anori schließlich hinter sich auf sein Pferd. Er merkte, wie angespannt jeder einzelne Muskel in Jaromirs Körper war und auch er hoffte inständig, dass Thara und Tinnuviel es irgendwie schaffen würden. Doch ihm war ebenso wie jedem von ihnen bewusst, dass Leanord den Vorschlag mit dem kleinen Eingang nur gemacht hatte, um ein Ziel zu haben und den Gipfel zu verlassen. Niemand von ihnen sprach ein weiteres Wort, als sie im eiligen Trab vorsichtig den mittlerweile rutschigen Hang hinunterstolperten. Nur einmal hielten sie inne, um die riesigen Echsen beim Erreichen des Gipfels genau mit den letzten Sonnenstrahlen zu beobachten. Sie waren nur einige zehn Meter unterhalb von Ona und dem anderen Drachen und Anori bemerkte, wie er unterbewusst die Luft anhielt, bis auch die schuppenbesetzten Schwänze im Höhleneingang verschwunden waren. Der Weg bis nach unten gestaltete sich sehr beschwerlich. Der starke Regen hatte den Boden aufgeweicht und die Hufen der Pferde und Zentauren rutschten immer häufiger weg. Sie mussten in Schlangenlinien langsam hinab gehen, um genug Halt zwischen den Wurzeln zu finden. Durch das Donnern und den prasselnden Regen konnte Anori trotzdem noch die Schreie, das Brüllen und das Fauchen ausmachen, die wie durch eine dicke Mauer gedämpft bis zu ihnen gelangten. Er nahm keine menschlichen Stimmen war, doch die Laute der Drachen und das Poltern von Gestein und Fels übertönten wahrscheinlich jedes noch so laute andere Geräusch. Niemand sprach es an, doch Anori sah in ihren Gesichtern, dass sie alle dasselbe dachten, warum der Drache so tobte. Doch, hatte er die Eindringlinge bereits entdeckt, oder nur bemerkt, dass jemand dort war? War sein Ei unbeschädigt? Drasere hatte ihm erzählt, dass jeder Drache in seinem Leben ein einziges Ei legte, welches er bereit war, mit seinem Leben zu verteidigen. Deshalb verließen sie ihr Nest auch nicht, denn das Ei sicherte ihre Unsterblichkeit. Wenn sie nach mehreren tausend Jahren starben, weil sie zu alt wurden oder getötet wurden, dann würden sie aus diesem Ei wieder schlüpfen. Sie paarten sich, wenn sie es taten, außerdem auf Lebenszeit, um zusammen ihr Nest zu beschützen. Wenn Onas Ei also beschädigt sein sollte, müsste sie um ihr Leben fürchten. Und einem Drachen, der in den Eindringlingen in seiner Höhle eine ernstzunehmende Gefahr für sich selbst sah, wollte Anori wirklich unter gar keinen Umständen über den Weg laufen.

Des Königs letzter SchatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt