Drasere begriff nicht, was passiert war, er konnte es schlichtweg nicht begreifen. Es war nicht fassbar. Seine Gefühle, seine Sinne und sein Geist waren betäubt. Er funktionierte nur noch, klammerte sich an dem fest, was er einen Plan nennen konnte und verfolgte ihn stumpf. Mit festem Griff packte er Leanords Mutter am Arm. Ihr Körper bebte unkontrolliert, wurde von markerschütternden Schluchzern erschüttert, die Drasere einen Schauer über den Rücken jagten. Doch er ließ ihren Arm nicht los, sie konnte sich noch so sehr sträuben und ihn anflehen, zurückzugehen. Er zog sie mit.
"Es gibt nichts was Ihr noch tun könnt, außer Euer Leben zu retten. Er ist tot. Ihr könnt nichts für ihn tun, außer zu überleben", versuchte er ihr klar zu machen, doch er hörte seine eigene Stimme nur ganz fern, als spräche ein Fremder diese Worte.
Thara
Es war vollbracht. Die Grenzen brannten nun lichterloh und es war, als würde sich ein strahlender schützender Ring einmal um die ganze Stadt legen. Alles war in ein warmes Licht gehüllt und die Drachen jagten mit ihrem Feuer in immer weiterer Ferne die Toten davon. Ihre Formation war durchbrochen und von hoch oben auf der Stadtmauer konnte Thara den schwarzen Gestalten zusehen, die sich in sichtlicher Furcht vor dem Feuer gegenseitig umrannten. Die Soldaten auf Ekadias Seite zogen sich ebenfalls zurück, jedoch wesentlich geordneter, als die Wiedergänger. Doch wenn Thara den Blick aus der Ferne auf die Szenerie unter ihr wandern ließ, auf das, was sich innerhalb der Feuergrenze ereignete, dann verschwand das Hochgefühl des Sieges. War es wirklich ein Sieg, wenn doch so viele auch auf der eigenen Seite ihr Leben dafür hatten lassen müssen? Thara lief eine einzelne Träne über die Wange. All diese Leute, junge Leute, die Familie und Kinder hatten, waren für die Verteidigung ihrer Heimat gestorben. Thara konnte sehen, wie damit begonnen wurde, tote Körper zu bergen. Auf Tragen wurden sie fortgebracht, man brachte sie auf eine freie Fläche auf der anderen Seite der Stadt und reihte sie auf, damit ihre Familie die Möglichkeit hatte, sich zu verabschieden. Thara zwang sich selbst, sich von dem hypnotischen Anblick der Drachenfeuer loszureißen. Sie breiteten sich nicht aus und brannten unnatürlich lange auf einer Stelle und selbst auf kahler Graslandschaft loderten die Flammen mannshoch auf.
"Thara!" Jaromir schloss sie fest in seine Arme. "Du lebst! Wir-" Er holte tief Luft, um sich zu beruhigen. "Wir dachten, ihr wärt in diesem Berg gestorben, den Göttern sei Dank." Thara erwiderte seine Umarmung und ließ ihr Gesicht gegen seine Schulter sinken.
"Geht es dir gut? Was machst du überhaupt hier?"
"Lange Geschichte, erzähle ich dir später. Was ist mit Tinnuviel?"
"Sie war bis eben noch hier, als die Bergungen anfingen, ging sie runter, um zu helfen. Hast du die anderen gesehen? Sind sie in Ordnung?" Sie löste sich von ihm, um ihn besser ansehen zu können. Er wirkte müde und hatte dunkle Ringe um die Augen. Doch auf seinem Gesicht lag ein erleichterter Ausdruck, auch wenn er nicht lächelte.
"Anori habe ich eben flüchtig gesehen, als ich hier herauf gekommen bin. Er wirkte angeschlagen, lebte aber." Thara runzelte die Stirn. "Was ist mit Drasere und Leanord?", wollte sie wissen. Jaromir zuckte die Schultern und schüttelte den Kopf. Ein mulmiges Gefühl der Ungewissheit breitete sich in ihrer Magengegend aus.
Der Weg durch die Stadt war sehr mühsam. Überall liefen Leute umher, Familien und Freunde riefen suchend nacheinander und Verletzte wurden hastig umhergetragen. Endlich entdeckte Thara Drasere, der an der Seite zweier anderer Zentauren aus der Steinernen Halle kam, in die die Toten gebracht wurden. Sie machte Jaromir auf ihn aufmerksam. Als sie sie erreicht hatten und noch bevor Drasere zu sprechen begann, ahnte Thara, dass etwas passiert war. Sie sah es in seinem Blick, tiefe Traurigkeit lag in seinen Augen. Das Gesicht der Zentaurin neben ihm war fleckig und ihre Augen gerötet vom vielen Weinen. Als Thara den Zentaur ansah, der neben ihr ging, einen Arm um ihre Schultern gelegt, glaubte sie zu wissen, um wen die Frau weinte. Es war der Zentaur, mit dem sie vor der Schlacht gesprochen hatten. Es war Leanords Vater. Mit seinen Worten und der düsteren Miene zerstörte Drasere jegliche Hoffnung darauf, dass sie sich doch irren mochte.
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Des Königs letzter Schatz
ФэнтезиEine unnatürliche Kälte lag in der Luft und die Lichter in der Stadt waren erloschen. Einzig das Licht einiger sich hektisch bewegender Fackeln schimmerte von der nebelverhangenen Straße bis zum Fenster herauf... Eine junge Prinzessin wird nach dem...