19. Kapitel (2016)

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„So ich nehme Kai jetzt an die Longe, du Zala reitest jetzt erstmal über den Hügel, mach dabei Trab- und Galoppübergänge." Es war ein herrlich warmer Tag und deswegen hatten wir draußen im Gelände trainiert. Zorn flammte in mir auf, doch ich schluckte ihn herunter. Stattdessen ritt ich Dessi zu Tom und blieb vor ihm stehen. „Muss ich jetzt wieder das Traben üben?" Meine Stimme war schärfer als beabsichtigt, korrigieren tat es jedoch dennoch nicht. „Aber nicht doch. Ich will sehen, wie dein leichter Sitz ist. Du willst doch sicher nächste Woche mit ihm dein erstes Springen unter unserer Führung gehen, oder?" Ich nickte bloß und widersprach nicht, es hätte sowieso keinen Sinn gehabt. So gut kannte ich Tom damals schon. Derweil sah ich Zala immer wieder den Hügel hoch reiten und in der Mitte oder beim Ab- oder Raufreiten des Hügels die Gangart wechselte. Bei ihr sah dies so leicht und spielerisch aus. Ich spürte einen Stich in meinem Herzen.

Tom hatte derweil die Longe an der Trense von Dessi eingehackt. Erst lief der braune Hengst ein paar Runden Schritt, dann trabte er an und wie von selbst ging ich in den leichten Sitz. Die zwei Wochen intensives Trabtraining hatten ihr übliches getan, sodass ich viel besser saß und auch besser im Takt war. Tom nickte zufrieden. „Knie mehr dran, nur mit den Zehnspitzen in den Steigbügeln." Wie von selbst korrigierte ich automatisch. Sofort spürte ich die ganz leichte Veränderung von Dessi. Ich hatte gehörte, wie Tom Zala Anweisungen gab, doch achtete nicht darauf. „Beine mehr vor, federn Kai, viel mehr federn mit den Fersen, sonst pariert er dir wieder durch, so ist gut, weiter so." Ich hörte förmlich sein Grinsen. Das ging der Rest der Stunde so, immer wieder in den leichten Sitz, treiben, durchparieren. Zala derweil sprang irgendwann mit meiner Summer L Hindernisse. Sehnsuchtsvoll sah ich ihr zu. Tom rief Zala zu: „Gut, wir tauschen. Du kommst an die Longe und Kai reitet Trab- und Galoppübergänge." Gesagt, getan.

So ritt ich den Hügel rauf und runter. Dabei hatte ich viel Spielraum. Immer wieder trabte ich an, parierte durch, ließ ihn auch mal entspannt Schritt gehen oder ganz im Trab laufen. Auch stoppte ich ihn ab und an und gab Dessi das Signal aus dem Stand heraus anzugaloppieren oder anzutraben. Tom war voll und ganz auf Zala konzentriert. „Kai, gib ihm mehr Zügel, beim Parieren, er soll sich schön dehnen im Schritt und schön mit gehen im Trab und Galopp." Seufzend tat ich, was er sagte und je öfter ich es Wiederholte umso besser wurde ich und bekam ein Gefühl für Dessi. Am Ende der Stunde dürfte ich ebenfalls, zum ersten Mal nach zwei Wochen, den Parcours springen. Sofort spürte ich meinen eigenen Eifer und Freude, die sich auf Dessi übertrug. Die zwei Wochen hatte ich bloß Grundlagen durchgenommen, nur vereinzelt eine Reihe gesprungen und der Parcours hatte auf einmal eine ganz andere Bedeutung und einen anderen Wert für mich gehabt. Ich ritt flüssiger, gekonnter im Großen und Ganzen einfach besser. Perfekter, ich hatte mich verbessert, innerhalb von 2 Wochen.

Ohne Probleme und voller Stolz sprang ich den letzten Sprung an. Ich sah Toms stolzen und auch leicht überraschten Blick. Noch mehr Freude und Glücksgefühle hatten sich in mir breit gemacht, ein vollkommen neues Gefühl für mich. „Du lernst schnell, Kai." Damit war der Unterricht wohl beendet und Tom ging. Als ich grade verschwinden wollte, erklang Zalas Stimme: „Nochmal, ihr kamt etwas dicht bei Sprung 5." Sie sagte es bestimmt, aber dennoch freundlich. Verdutzt, aber auch erfreut ritt ich ein zweites Mal an. Diesmal funktionierte es wirklich perfekt, das hatte ich beim ersten Mal gar nicht bemerkt. „Gut, nimm du Summer und Versuch es erneut." Wirklich überrascht sah ich sie an, doch tat, was sie von mir verlangte. Ich stieg von Dessi und übernahm Summer. Gekonnt hatte ich die Steigbügel auf meine Größe gestellt und schwang mich in den Sattel, ritt eine Runde Schritt, trabte kurz an, bevor ich den Parcours anritt. Sofort hatte ich mich wieder an sie gewöhnt, an ihren kraftvollen Gang, die Schnelligkeit, ihre Freude, ihr Feuer unterm Sattel. Und doch merkte ich eine Veränderung, nur leicht, aber sie war da. Ich konnte es nicht beschreiben, aber sie lief noch durchlässiger an den Hilfen und reagierte noch feiner. Summer sprang anders wirkte losgelassener und es erschien mir so, dass das Springen ihr so noch mehr Spaß machte. Wir flogen nur so über die Hindernisse, die Stute sprang höher als es nötig gewesen wäre.

Es war perfekt und nach der Runde musste ich einfach strahlen. Zala sah zu mir. Ich stieg ab und übergab ihr Summer wieder. „Was hältst du von einem Ausritt?", fragte ich und sie nickte. Wir stiegen auf unsere Pferde. Langsam ritten wir nebeneinander vom Gelände des Gestüts. „Das war echt eine Glanzleistung von euch. Unter mir springt sie nie so flüssig oder willig. Ihr scheint füreinander geboren worden zu sein, ihr ergänzt euch perfekt, harmoniert zusammen. Es ist echt Goldwert so etwas zu haben und selten, dass Reiter und Pferd so verbunden miteinander sind. Summer ist ein besonderes Pferd." Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, damit hatte ich nicht gerechnet. Verlegen sah ich weg. Ein Reitweg erschien, denn wir, noch immer im Schritt, nahmen. Mein Handy klingelte, ich ignorierte es einfach. Ich wusste, wer es war, aber Lust auf diese Person hatte ich nicht. Der Tag neigte sich dem Ende zu und die Sonne sengte sich bereits, war fast verschwunden, als wir zurück zum Gestüt geritten waren.

Dort hatten wir die Pferde abgespritzt, trockengerieben und dann in die Boxen gestellt.

„Kommst du noch mit zum Lagerfeuer?"

„Aber sicher doch." Erwiderte ich sofort und so machten wir uns auf den Weg zum Waldrand. Es saßen bereits Avery mit Mark und Claudia am Feuer. Die zwei waren noch am Abend meines Strandausrittes wieder da gewesen. Die drei lachten und nur Avery sah auf, als Zala und ich uns genähert hatten. „Na?" Sie grinste, wie immer. Ich nickte ihr schweigend zu und setzte mich dann neben das Mädchen mit den langen braunen Haaren, Zala neben mir. „Wie war euer Training? Und warum seid ihr erst jetzt gekommen? Wir warten schon seit einer Stunde auf euch!" Es war Mark der sprach. Ich setzte zu einer Antwort an, aber Zala kam mir zuvor: „Entschuldigt die Verspätung. Wir waren nach dem Training noch etwas ausreiten. Wir haben wohl die Zeit vergessen." Beide lächelten wir verlegen. Die anderen sahen uns misstrauisch an, so als würden sie uns nicht ganz glauben. Sagen tat aber keiner was.

Ich hörte dem Feuer beim Knistern zu und merkte gar nicht, wie ich mich an Avery anlehnte. Sie selbst grinste bloß und ließ es geschehen. Wieder spielte sie Gitarre, dieses Mal einen anderen Song, denn ich nicht kannte. Er war schön. Ich selbst war in Gedanken ganz woanders, bei Livia die mich auf dem Ausritt angerufen hatte und mir danach mehrere Textnachrichten geschickt hatte. Leise, wie aus weiter Ferne, nahm ich wahr, wie die anderen sich unterhielten, aber es interessierte mich nicht. Ich sah mir Livias Textnachrichten an und seufzte, wohl etwas zu laut, auf. Zala fragte was los sei. „Nur Livia, sie hat mir unzählige Nachrichten geschickt und angerufen. Sie macht sich Sorgen, da ich kaum noch antworte, auf ihre Nachrichten." Ich sah in verständnislose Gesichter, aber all das ihnen zu erklären wollte ich nicht. Dafür kannte ich sie nicht gut genug und vertraute ihnen nicht genug. Sie fragten aber auch nicht länger nach, sondern widmeten sich wieder ihrem Gespräch. Wo es wohl um irgendein Fußballspiel ging. Schnell waren meine Gedanken wieder abgedriftet. Am Ende des Abends gingen alle rein. Zala war der Weg zu ihrem Haus wohl zu weit und so kam sie mit ins Gästehaus.

Anscheint tat sie dies öfters, da sie zielstrebig die Wendeltreppe hochlief und das Zimmer von mir ansteuerte. Bevor ich auch nur was sagen konnte, hatte sie bereits die Tür geöffnet und stand mitten im Raum. Ich räusperte mich. Erschrocken drehte sie sich zu mir um. „Ist das hier dein Zimmer, Kai?" verlegen bestätigte ich es. Es war mir unangenehm gewesen, das sie dastand. Sie hatte meinen aufgeschlagenen Zeichenblock gesehen. Dort war eine unvollständige Zeichnung zu sehen, die im Verlaufe dieser Geschichte noch eine Rolle spielen wird. „Hast du das gezeichnet?" Noch verlegen bestätigte ich es wieder und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich rot geworden war. „Wow, du hast echt Talent, Kai." Darauf konnte ich nichts erwidern. Niemand hatte jemals meine Zeichnungen zuvor gesehen und auch jetzt noch zeige ich sie niemanden. „Schläfst du öfters hier, im Zimmer?", meine Stimme klang gefasster als ich zu Anfang vermutet hatte. Als sie nickte lächelte ich. „Du darfst gerne auch wieder hier schlafen." Ich erwartete, dass sie ablehnte, doch sie tat es nicht. Stattdessen sagte sie: „Danke", und damit legte sie sich in mein Bett. Ich zeigte meine Verwunderung nicht, sondern zog mir mein Shirt aus und legte mich auf das gegenüberliegende Bett. Ihre Anwesenheit nahm ich schon bald nicht mehr wahr. Und als ich am nächsten Morgen aufwachte war das Bett gegenüber von mir bereits leer. Nur das ich in einem anderen Bett erwacht war bewies, dass ich nicht geträumt hatte.

Kai der SpringreiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt