20. Kapitel (2016)

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Ungewöhnlich spät erwachte ich und gähnte. Es waren noch zwei Tage bis zu meinem ersten Turnier unter dem Training von Tom. Ich ging zur Tür, da wild geklopft worden war. Zala stand davor. „Gott, jetzt komm! Du hast total verschlafen." Wie zur Bestätigung gähnte ich abermals herzhaft und sah an mir herunter. Ich hatte bloß eine Boxershorts an. Peinlich berührt grinste ich. Genervt sah sie mich an. „Keine Zeit für peinlich berührt sein, Lilienberg!" Da war es wieder: mein Nachname oder eher ein Teil davon! Zorn und rasende Wut machte sich in mir breit. Es verletzte mich, dass sie mich so genannt hatte, und sie schien es gar nicht bemerkt zu haben. Wütend schlug ich die Tür zu, so dass es nur so knallte. Danach wirbelte ich herum und zog mir eine Reithose, Shirt sowie Schuhe an. Die Jacke ließ ich im Schrank, dafür war es zu warm gewesen. Dann ging ich aus dem Zimmer und nach unten. Avery stand wie jeden Morgen in der Küche mit Vincent. Ich rauschte an ihnen vorbei, ohne sie zu grüßen. Vincent war mit seinen beiden Schwestern 7 Tage nach ihrer plötzlichen Abreise wiedergekommen. Zala, die ebenfalls unten gestanden hatte, würdigte ich keines Blickes.

Ich fühlte mich leicht schuldig. Oh, entschuldigt, ich bin es Zala und wollte mich hier erklären. Ich war wie immer früh aufgestanden und hatte im Stall auf Kai gewartet. Ich wusste, dass er immer etwas später aufstand als ich und so wartete ich jeden Morgen auf ihn, aber an diesem Tag erschien er einfach nicht. Ich war eh schon nervös gewesen, da ich Summer auf dem Herbstturnier vorstellen sollte. Und dass er dann auch noch zwei Tage vor dem Tag nicht erschien, machte mich noch unruhiger. Es war der beginn der Ferien in Mecklenburg-Vorpommern, um genau zu sein war es der 23.10.2015. Kai und ich hatten den Tag vorher schon frei bekommen, wegen dem Turnier am Sonntag, also dem 25.10.2015. Natürlich hätte ich auch allein trainieren können, aber irgendwie war die dunkelbraune Trakehnerstute anders, wenn Kai in der Nähe war. Konzentrierter, ruhiger, fokussierter. Das Training lief dann immer besonders gut und auch wenn ich zuvor schon unzählige Pferde trainiert und vorgestellt hatte, so war ich dennoch nervös gewesen und Kai strahlte eine innere Ruhe aus, die sich auf Summer übertragen zu schien. Etwas, was mir auch guttat.

So rannte ich ins Gästehaus und stoppte vor seinem Zimmer. Wild klopfte ich an die Tür. Dabei erkannte ich zu spät, dass ich ihn nicht nur angefahren hatte, sondern auch Lilienberg genannt hatte. Ich wollte mich grade entschuldigen, da fiel die Tür auch schon krachend ins Schloss. Als er nach unten kam sah er mich nicht an. Den ganzen Tag ignorierte er mich und redete nur das Nötigste mit mir. Er nahm es mir wirklich übel.

So, ich bin's wieder Kai. Ich rauschte also durch die Tür und ging sofort zum Stall. Ohne viel nachzudenken, schnappte ich mir Dessi und machte ihn fertig. Der Hengst war derweil total unruhig, tänzelte, was mich noch mehr nervte. In der Halle angekommen sah ich bereits Tom stehen. „Wo ist Zala?" Ich zuckte die Schultern, in dem Moment war es mir herzlich egal, wo sie war. Während wir auf Zala und Summer gewartet haben, hatte ich Dessi schon warm geritten und ging über ein paar Cavalettis, als das Mädchen erschien. Wieder ignorierte ich sie und sah sie nicht an. Eine Spannung schien in der Luft zu liegen. Dessi sowie Summer wurden immer unruhiger. Beide waren zwar etwas temperamentvoll aber nie wirklich unruhig. Nie so unruhig, wie zu dem Zeitpunkt. Auch Tom merkte es, sagte vorerst jedoch nichts. „Gut du springst dich mit Dessi erstmal ein. Zala, du reitest Summer warm und danach gehst du mit ihr über die Cavalettis. Spiel dabei mit den Galoppsprüngen, verlängere und verkürze sie, parier durch. Versuch auch mal sie vom Schritt in den Galopp zu bekommen. Du machst dasselbe nur bei der Reihe da vorne." Er deutete auf eine Reihe von 3 Sprüngen bestehend aus Steilsprung, Oxer und Mauer in jeweils L bis M** Höhe. Beide nickten wir. Solche Art von Übungen kannten wir von ihm, in der ersten Stunde des zweistündigen Trainings gab es solche „Aufwärmübungen" wie Tom sie nannte. In der zweiten Stunde ging es dann meist um das Reiten im Parcours und die Reiter, während es Inder ersten Stunde eher um die Technik und die Pferde ging, also eine Vorbereitung auf den Parcours. Beide führten die Übungen aus, aber Dessi sowie auch Summer schienen abgelenkt. Immer wieder riss Dessi oder reagierte auf meine Hilfen gar nicht oder zu spät. Auch bei Summer und Zala sah es nicht besser es, Summer reagierte kaum auf die Verkürzung oder Verlängerungen, auch sie riss öfters.

„Was ist das denn?! Also so kann und will ich euch nicht trainieren. Ihr werdet den Pferden so ja gar nicht gerecht! Ab mit euch und ich will euch erst wieder sehen, wenn ihr das zwischen euch geregelt habt. Verstanden?", wir beide nickten. „Ich bin wirklich enttäuscht von euch, euch beiden." Ich setzte an, dass es Dessis schuld war, doch Tom schrie förmlich: „Es ist nie die Schuld des Pferdes, Kai. Verlasse SOFORT den Platz! Ich will dich heute nicht mehr sehen. Und du hast hiermit Teilnahmeverbot am Turnier. Verschwindet, Beide." Der sonst so ruhige Trainer war auf einmal außer sich vor Wut und er bebte richtig, so sehr in Rage war er. Erstaunt und selbst wütend riss ich grob an den Zügeln und somit den Hengst herum. Er wieherte, warf den Kopf hoch und stemmte sich gegen mich. Als ich grade die Gerte nutzen wollte, damit er gehorchte, hörte ich jemanden hinter mir zischen: „Wag es ja nicht, Lilienberg!" Verbissen und blind vor Wut heftete ich meinen Blick auf sie. Auch das Mädchen schien gereizt, ja fast schon genauso wütend wie ich. Ich trieb trotzdem stark und grob, ließ die Gerte jedoch weg.

Am Stall angekommen sattelte ich ab und ließ ihn drauf. Das Zeig schleppte ich zur Sattelkammer des naheliegender Stalltrackt. Dort ließ ich mich schlussendlich nieder und seufzte schwer. Ich weiß nicht wie viel Zeit verging, aber irgendwann erschien Avery. Sie setzte sich schweigend neben mich und legte mir eine Hand auf den Rücken. So saßen wir bestimmt eine Stunde oder so da. „Zala hat mich Lilienberg genannt, obwohl sie weiß, dass ich es hasse, bei ihr. Das Training lief total scheiße und jetzt hat mich Tom vom Turnier abgezogen, nur weil ich gesagt habe es wäre Dessis schuld", erzählte ich leise. Doch Avery hörte mich trotzdem, sie sagte nichts, nahm mich einfach schweigend in den Arm. Nach einer gefühlten Ewigkeit erhob ich mich. Ich hatte mich beruhigt und verstand nun, warum Tom es getan hatte: es war meine Schuld gewesen, wenn auch Zala etwas Mitschuld trug und Dessi hatte das einfach nur gespürt und darauf reagiert, weil ich selbst so durcheinander gewesen war.

„Kann ich dir helfen?" Das braunhaarige Mädchen mit dem Oversized Hoodie nickte. Sie gab mir Mistgabel und Schubkarre und zusammen misteten wir die Boxen aus. „Danke", war das Einzige, was ich sagte. Aus Versehen traf ich Avery mit der Mistgabel und das Stroh rieselte auf sie nieder zusammen mit den Pferdeäpfeln. Ich entschuldigte mich, aber aus Rache warf sie mich damit ebenfalls ab. Im Gegenzug nahm ich sauberes Stroh und bewarf sie damit. So entstand eine Strohschlacht und am Ende sah der gesamte Stalltrackt inklusive uns selbst aus wie ein Schlachtfeld aus Stroh und Mist. Stören tat es uns nicht. Prustend und lachend lagen wir in der Box. Den Kopf zu ihr gedreht sah ich sie an. „Wir sollten die Stallgasse fegen, sonst ist die Prinzessin noch wütender auf dich." Damit stand sie auf und half mir auf die Beine. Jeder schnappte sich einen Besen und fegten das Stroh in die Box zurück. In Windeseile säuberten wir auch noch die anderen Boxen, bevor wir fix und fertig unser Werk betrachteten. „Lust noch mitzukommen? Wir könnten an deinen Gitarrenkünsten arbeiten und morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus." Ich nickte und so holte Aves ihre Gitarre, während ich im Wohnzimmer auf sie wartete. Gemeinsam setzten wir uns auf die Couch und sie zeigte mir einen weiteren Akkord, den ich spielen sollte. „Wir trainieren morgen auf Fiesta, glaub mir ein besseres Lehrpferd gibt es nicht und was das Turnier betrifft, es wird nicht das letzte sein und du kannst dich hier nützlich machen." Nach der Gitarrenstunde kam Ivy hinzu und zusammen sangen wir ein Duett, was von Avery auf der Gitarre begleitet wurde.


Kai der SpringreiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt