| NINE |

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ℳ𝒾𝓉𝒸𝒽ℯ𝓁𝓁

Während des Probeessens war die Stimmung sichtlich gekippt. Nick stocherte in sämtlichen Kuchenstücken herum, während Lia die ganze Zeit über etwas in ihr Handydisplay eintippte.

Ally schien die Einzige zu sein, die gute Laune hatte. Glücklicherweise waren wir nur zu viert, denn andernfalls wäre es vermutlich eskaliert.

»Wieso isst du nichts, Lia?«, wollte Nick von seiner Schwester wissen. Dabei schlug er einen provokanten Ton an. »Hast du keinen Appetit oder nur ein schlechtes Gewissen, hm?«

Sie sah verwirrt zu ihm auf, ehe sie ihr Smartphone neben ihrem Teller ablegte. »Wieso fragst du mich das? Ich habe einfach keinen Hunger.«

»Keinen Hunger also ...«, wiederholte er. »Weißt du, nachdem mir Dad von deinem Unfall erzählt hat, ist mir ebenfalls der Appetit vergangen.«

Man konnte förmlich sehen, wie Lias Gesichtszüge ihr entglitten. »Du ... weißt davon?«

Nick klimperte mit seiner Gabel auf dem Tellerrand herum. »Allerdings ...«

»Was denn für ein Unfall?« Ally legte ihre Hand auf Nicks, doch er schien nicht in Stimmung zu sein.

»Tut mir leid, aber ich kann das gerade nicht.«

»W-was ist denn passiert?« Nun klang auch Ally besorgt. Und Lias Reaktion darauf machte es nicht gerade besser. 

Sie erhob sich schlagartig von ihrem Stuhl, sodass dessen Holzbeine in Kombination mit dem gewachsten Boden ein unangenehmes Quietschen erzeugten.

»Oh ja, genau, Lia! Renn weg, wie du es immer tust, wenn man versucht, dich mit ernsten Themen zu konfrontieren!«

»Nick, was ...?«

»Sorry, Ally. Das hat wirklich nichts mit dir zu tun, also bitte versteh' das nicht falsch, okay?« Nick strich seiner Verlobten sanft über den Kopf, ehe er sich wieder seiner Schwester zuwandte. »Wieso um alles in der Welt hast du mir das verschwiegen?«

»Ich wollte nicht ...«

»Du wolltest was nicht, Lia?!« So wütend hatte ich ihn noch nie in meinem ganzen Leben gesehen. »Dass ich mir Sorgen mache? Dass ich dich zwinge, wieder zurück in die Staaten zu ziehen?«

Lia antwortete nicht. Stattdessen drehte sie sich um und flüchtete in schnellen Schritten zum Ausgang der Patisserie. Während der zukünftige Bräutigam energisch seine Serviette auf den Teller warf, formte Ally ein stummes »Geh ihr nach!« mit ihren Lippen. Daraufhin erhob ich mich ebenfalls von meinem Stuhl.

»Ich werde mal nach ihr sehen ...«

Draußen angekommen sah ich Lia die Straße passieren und in Richtung Strand laufen. »Lia, warte!« Doch ihr nachzurufen, machte die ganze Sache nur noch schlimmer. Denn als sie mich bemerkte, legte sie einen Zahn zu.

»Hey, bleib stehen!« Ich hatte zwar eine Prothese, jedoch war ich damit ziemlich schnell. Schneller, als so manch einer, mit zwei gesunden Beinen.

Scheiße, sie achtet ja nicht einmal auf die Straße!

Bevor Lia eine große Dummheit begehen und noch in ein vorbeifahrendes Auto hineinrennen konnte, bekam ich sie am Saum ihres T-Shirts zu fassen und zog sie ruckartig zurück. Sie wirbelte herum und prallte mit ihrem Gesicht gegen meine bebende Brust.

»Bist du irre? Du hättest dich gerade ernsthaft verletzen können! Ist dir das bewusst?!«

Doch als sie mich mit ihren großen, traurigen Knopfaugen ansah, bekam ich plötzlich ein schlechtes Gewissen, sie so angegangen zu sein. Ich konnte regelrecht spüren, wie mein Herz ein oder zwei Takte lang aussetze.

Wellenschlag Momente in meinem HerzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt