12. Austauschtreffen

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Woche drei und ich fühlte mich schon wie eine echte Norwegerin. Tag für Tag lebte ich mich besser ein und genoss jede Sekunde, die ich hier war. Jede Sekunde, in der Noah mich nicht nervte jedenfalls. Aber ich arrangierte mich mit ihm. Er war da, er war nervig aber eben wie eine lästige kleine Fliege. Kaum von Bedeutung. Ein schlechtes Gewissen, ihn mit der flachen Hand zu zerschlagen, hätte ich allerdings auch nicht.

Trotzdem verpasste das meiner Vorfreude auf das anstehende Wochenende nur einen kleinen Dämpfer. Wir würden einen Ausflug nach Oslo machen! Mit den anderen Austauschschülern hatten wir im Gruppenchat ein Treffen geplant und es hatten fast alle zugesagt.

Zu meinem Leidwesen bedeutete das allerdings, dass ich mit Noah mit dem Bus nach Oslo fahren musste. Alleine. Vier volle Stunden lang. Das machte ganz schnell aus der kleinen Fliege eine Mücke. Und wenn einem vier Stunden lang eine Mücke ins Ohr surrte, würde jeder durchdrehen. Aber ich musste mich aufs Wesentliche fokussieren. Oslo. Dafür tat ich das.

Gerade rollte ich mit meinem kleinen Rollkoffer Richtung Busbahnhof. Auf dem Weg lief ich bei Eriks Haus vorbei und würde Noah einsammeln. Ich konnte es kaum erwarten. Nicht. Andererseits war es ein ziemlicher Krampf, den Koffer über den Schneebedeckten Boden zu schleifen. Wenn ich also vielleicht ein bisschen lieb sein würde...

"Na endlich. Ich dachte schon, du hast dich verlaufen." Noah wartete schon vor dem Haus auf mich. Eingepackt in eine dicke Winterjacke und nur mit einem Rucksack auf dem Rücken. Jackpot.

"Hi, Noah-Herz. Es ist wie immer schön, dich zu sehen", grüßte ich ihn heuchlerisch. Er brummte bloß.

"Wir müssen uns beeilen, sonst verpassen wir den Bus", erklärte er mir das Offensichtliche. "Danke für die Info."

"Ich meine ja nur, weil du hier wie so eine Schnecke vorankriechst." Nett. "Vielleicht weil es echt anstrengend ist, den Koffer zu ziehen. Die Bodenbedingungen sind miserabel. Und ich bin schwach."

Noah stoppte abrupt. Ich tat es ihm gleich. Mit zusammen gekniffenen Augen sah er mich an. Ich sah unschuldig zurück. "Willst du mir etwas sagen?", fragte er. Ich verzog die Lippen zu einem kleinen süßen Schmollmund. "Nur, dass ich schon immer bewundert habe, wie stark du bist", schmeichelte ich ihm. "Du hättest bestimmt keine Schwierigkeiten, den Koffer zu ziehen", fügte ich beiläufig hinzu.

Er zögerte einen Moment und seufzte dann. "Gib her." Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Dankbar drückte ich ihm meinen Koffer in die Hand. "Du bist der Beste!", freute ich mich, als wir wieder weiterliefen. Ohne das Gewicht, das mich stetig nach hinten gezogen hatte, war das gleich viel angenehmer. "Du bekommst auch immer deinen Willen, oder?", stellte Noah fest. "Ach, ich würde genauso viel für dich tun", wiegelte ich ab.

Noah schwieg aber sein prüfender Blick genügte, um mich ob meiner offensichtlichen Lüge zum Kichern zu bringen. "Wenn du es dir verdienst", schob ich deshalb noch nach.

"Wie kann ich es mir verdienen?", fragte er so ernsthaftig, dass es mich überraschte. "Es gibt viele Wege, aber die verrate ich dir doch jetzt nicht", meinte ich keck.

Ich war froh, als wir endlich beim Bus ankamen und uns ins warme Innere setzen konnten.

Wir hatten Sitzplätze nebeneinander und leider war der Bus entgegen meinen Hoffnungen so voll, dass es keine freie Sitzreihe mehr gab. Zwar waren einzelne Plätze noch frei, aber bevor ich das Risiko einging, mich neben jemand Fremdes zu setzen, der womöglich vier Stunden lang nach Rauch stinken oder Käse-Zwiebelbrote essen würde, blieb ich doch neben Noah. Ich erlaubte ihm, am Fenster zu sitzen und machte es mir dann bequem.

"Und freust du dich schon?", betrieb ich kurz höfliche Konversation, bevor ich gleich meine Ohrstöpsel ins Ohr stecken und für den Rest der Fahrt kein Wort mehr mit Noah wechseln würde.

Katzenbegräbnisse, Polarlichterjagd und andere SchwierigkeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt