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Wie sich herausstellt, ist es viel schwieriger, ein uraltes Buch über Blutrituale aufzustöbern, als Hermine gedacht hat. Tag für Tag stecken sie und Draco ihre Nasen in irgendwelche Bücher, fordern per Brief stapelweise Nachschub bei Dean an und finden letztendlich in keinem davon etwas. Jede Woche arbeiten sie hunderte von dicken Wälzern durch und übersetzen fremde Dialekte, bis die Buchstaben und Symbole auf den Pergamentseiten verschwimmen und die Vokale und Konsonanten vor ihren müden Augen tanzen.

Falls das Ritual, das die Peverell-Brüder angewandt hatten, wirklich schwarzmagisch gewesen sein sollte, wird das Buch ungeheuer schwer zu finden sein, das weiß Hermine.

Für die breite Öffentlichkeit gibt es kaum Möglichkeiten, auf verbotene Zauberbücher zuzugreifen. Ihre Aufbewahrungsorte werden nicht an die große Glocke gehangen und Besitzwechsel so gut wie nie dokumentiert. Oft sind sie Teil der privaten Sammlung irgendeiner reichen Zaubererfamilie mit einer Vorliebe für illustre Objekte. Das Buch, das sie suchen, könnte also überall auf der Welt sein. Oder schlimmer: es könnte bereits vor Jahrhunderten verloren gegangen oder zerstört worden sein. Hermine kann nur spekulieren, ob Harry das Ritual längst gefunden hat oder ob er, so wie sie, immer noch auf der Suche ist.

Sie kann außerdem nicht aufhören, an den Vorfall mit Macnair Junior zu denken und sich zu fragen, was er wohl in Dänemark gemacht hat. Sein Auftauchen hat eine Menge neue Fragen aufgeworfen — zum Beispiel, ob er derselben Fährte gefolgt ist wie sie oder ob es sich nur um einen seltsamen Zufall gehandelt hat. Es ist beunruhigend, aber daran kann Hermine zurzeit nichts ändern, also schiebt sie das Thema gedanklich beiseite.

Der Juni vergeht schnell und das Wetter in Polen wird von Tag zu Tag wärmer, sodass Hermine irgendwann einen Kühlzauber auf das Arbeitszimmer legen muss.

Zudem hat sie sich angewöhnt, ihre Locken zu einem Dutt aufzutürmen, damit sie ihr beim Lesen nicht ins Gesicht fallen und ihr Nacken und ihre Schultern keiner zusätzlichen Hitze durch einen dichten Vorhang aus Haaren ausgesetzt sind.

Ganze Tage verbringen sie mit Nachforschungen. Sie fangen nach dem Frühstück an, pausieren nur fürs Mittagessen und legen ihre Freizeit in die Abendstunden. Draco wehrt sich nicht einmal mehr dagegen, dass Hermine für ihn mitkocht. (Vermutlich dank der Erschöpfung, weil er jeden Tag von morgens bis abends Bücher wälzt.) Ihre anfängliche Energie ist mittlerweile verflogen und sie sind jeden Abend so müde, dass sie nach dem Abwasch sofort die Einsamkeit ihrer Schlafzimmer aufsuchen.

Ihre Erschöpfung führt allerdings nicht dazu, dass sie weniger zanken. (Und das, obwohl sie sich eigenartigerweise an die dauerhafte Präsenz des jeweils anderen gewöhnt haben.) Ganz im Gegenteil. Fast rund um die Uhr Seite an Seite zu arbeiten, macht sie beide ruhelos.

Hermine sehnt sich nach Gesellschaft und nach anregenden Unterhaltungen, weshalb sie versucht, Draco so oft wie möglich in eine zu verwickeln. Dabei wählt sie gern Themen, bei denen sie sicher ist, dass sie nicht derselben Meinung sind, weil das die Chancen erhöht, dass er in das Gespräch einsteigt, um ihr zu widersprechen. Es gibt jedoch Tage, an denen das nicht ausreicht und ihr 'unaufhörliches Gelaber' ihn dermaßen frustriert, dass er einen Spaziergang vorzieht.

Hin und wieder apparieren sie abwechselnd in die Stadt, um mal etwas Anderes zu sehen, wenn auch nur für ein oder zwei Stunden. Hermine verbringt diese Zeit in Cafés und Buchhandlungen oder erkundet Warschau und seine historischen Stätten. Danach kehrt sie stets erfrischt ins Hauptquartier zurück und fährt sogleich mit ihren Recherchen fort.

Draco hingegen geht lieber nachts aus. Wohin, weiß Hermine nicht, und sie bezweifelt, dass es ihr zusteht, ihn danach zu fragen. Er kommt immer nach derselben Anzahl an Stunden zurück — wie ein Uhrwerk. Meistens schläft sie dann schon. Die letzten paar Male, als die Geräusche seiner Rückkehr sie geweckt hatten, war es kurz nach Mitternacht gewesen.

Soft As It Began (Deutsch)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt