Im Urbeginn aller Zeiten, welcher im Grunde noch keine Zeit genannt werden kann, damals, als es vor Erschaffung der Welt nur ein wirres Chaos gab, als der Himmel noch nicht von der Erde getrennt war, als noch keine Kreatur existirte und alle Dinge vermengt, gestaltlos und planlos umherschwammen wie Wolken auf der Meeresfläche, da erstanden bereits – so erzählen die Japaner – die uranfänglichen Gottheiten. Und die allererste derselben entstammte einer riesigen Schilfknospe, die gleich einem emporstrebenden Horne inmitten des grenzenlosen Wirrwarrs aufsproßte. Aus dieser ersten Gottheit folgten andere, und so vergingen drei Geschlechter, bevor die richtige Sonderung der feinen, flüchtigen Theile nach oben und der schweren, gröberen nach unten hin vor sich ging. Selbst als endlich durch die dritte Gottheit, welche man den großen Himmelsgeist nennt, Götterpaare entstanden und am obern Ende, wo sich jene aufstrebende Knospe einer Pflanze ähnlich ausbreitete, der Himmel sich bildete und von der unteren Welt schied, blieb auf Erden noch alles verworren, und hier war der Unterschied gegen ehedem noch gering.
So folgten – wie lange Zeit darüber verging, das kann man unmöglich angeben, ja nicht einmal ahnen – im ganzen vier Götterpaare auf einander, und erst durch das letzte derselben ward die Erde erschaffen, wie wir sie kennen.
Dies vierte Götterpaar waren der gewaltige Urgott der Luft, Isanagi, und die Urgöttin der Wogen. Isanami; diesen beiden war es vorbehalten, die Erde zu bilden, und von ihnen stammen alle Menschen ab und alles, was da lebt und webt.
Einstmals lustwandelten beide auf der schwebenden, in sieben Farben schillernden Brücke des Himmels, einem wunderbaren Gebilde, das ohne irgend welche Stütze fest dastand. Und da sprach plötzlich der Urgott der Luft, Isanagi, zu der Urgöttin der Wogen, Isanami: »Es giebt doch auch noch unter uns ein Reich; warum sollen wir nicht einmal auf dasselbe hinunter steigen?« Und wie er also gesprochen, stieß er seine kostbare Lanze, die mit Edelsteinen und Korallen besetzt war, in die gährende Masse dort unten. Und wie er sie anrührte, da gerann es um die Spitze der Lanze herum, und das erste Eiland, die Insel Onogoro, entstand. Auf diese Insel nun stiegen die beiden Gottheiten hernieder und errichteten darauf einen hohen Pfosten, einen riesenhaft aufstrebenden Bergzacken, auf dessen Spitze sie die Himmelsbrücke legen konnten, und diesen Pfosten, diese steile Klippe machten sie zum Mittelpunkte der Erde, auf der sie nun wohnen wollten.
Nun war aber durch die Weisheit des großen Himmelsgeistes der Urgott Isanagi ein männliches Wesen und die Urgöttin Isanami ein weibliches, und so beschlossen sie, sich zu vermählen und künftig als Mann und Frau auf der Erde zu leben. Mit diesem Entschlusse aber kam auch sofort der Gedanke in ihre Seele, daß sie feierlich und förmlich um einander zu werben hätten, und zu dem Zwecke beschlossen sie, daß Isanagi von links her, Isanami von rechts her den hohen Berg umwandeln sollte, und wenn sie sich träfen, sollte die Werbung vor sich gehen. Und so geschah es; sie gingen der eine links, die andere rechts um den Bergpfosten, und sowie sie einander ansichtig wurden, rief Isanami, die Göttin der Wogen, begeistert aus: »O, welch ein schöner Mann!« Dabei ergriff sie zuerst die Hand des Gemahls und die Vermählung ward vollbracht. Nun aber geschah es, daß sie keine so glückliche Nachkommenschaft hatten, als sie geglaubt, und das war nicht allein der Fall bei einem Sohne, den sie bekamen, sondern auch in allen anderen Dingen; denn diesen höchst wunderbaren Gottheiten war es beschieden, daß sie auch Länder zur Welt bringen mußten. Nun war das Eiland, das sie erzeugten, kein großes, herrliches Reich, wie sie gehofft, sondern nur eine öde, armselige Insel, das Eiland Awaji. Und der Knabe, den sie bekamen, war kein stattlicher Herrschersohn, sondern nur ein lahmes, krüppelhaftes Kind. Er hieß Hiruko, und da er noch nach drei Jahren nicht zu stehen vermochte, so flochten die Eltern aus Schilf einen Kahn; in diesen setzten sie das Kind und ließen das Fahrzeug von Wind und Wellen ins weite treiben.
Dann aber stiegen der Urgott Isanagi und die Urgöttin Isanami wieder zum Himmel empor und fragten den großen Himmelsgeist, wie es wohl zugehe, daß sie so viel Mißgeschick hätten, und wie sie es anfangen müßten, glücklicher zu werden. Und da belehrte sie der erhabene und weise große Himmelsgeist, daß stets und immerdar der Mann den Vorrang haben müsse. Es sei nicht wohlgethan gewesen, daß Isanami, das Weib, die Werbung begonnen habe; das sei Sache ihres Herrn und Gebieters Isanagi gewesen, und aus dieser Ursache sei all ihr Mißerfolg hervorgegangen.