So sehr der Herrscher Ookuninuschi auch bedacht gewesen war, die Erde mit allem zu beglücken, was ihr nach seinem Ermessen Noth that, und so sehr er auch selbst überzeugt war, daß alles zweckmäßig und gut sei, so hatte er doch den Beifall des großen Himmelsgeistes und der Sonnengöttin Amaterasu nicht erworben. Als diese vom Himmel auf die Erde hinunter blickten, sahen sie, daß alles unruhig und rebellisch war. Die Pflanzen redeten laut, und bei Tag und Nacht summte und schwirrte es in den Lüften. Böse Geister zogen wie die Fliegen einher, und bei Nacht glänzten sie wie die Glühwürmer. »Das muß anders werden,« sprachen der große Himmelsgeist und Amaterasu zu einander, und als sie nun alle Himmelsgötter zu einer Berathung beriefen, da wurde einmüthiglich beschlossen, einen Herrscher vom Himmel herab auf die Erde zu senden, der Ordnung schaffte und umständlichen Bericht über alles, was auf Erden webt und lebt, geben sollte.
Oschihomi, der älteste der Söhne, welche Sosanoo aus dem Diamantenhalsband der Sonnengöttin erschaffen hatte, war der erste, der auserkoren wurde, hinunter auf die Erde zu steigen und dieselbe zu regieren. Er empfing den Befehl und machte sich auf den Weg; doch kaum hatte er die Himmelsbrücke betreten und auf das unruhige Treiben hinabgeblickt, das in Japan, dem schönen Lande der Schilfebenen, herrschte, da ging er eilends zurück und bat, einen Andern an seiner Statt zu senden. Der große Himmelsgeist und Amaterasu fügten sich zwar seiner Weigerung, doch bestimmten sie nun seinen Sohn Ninigi, den sie zu diesem Zwecke mit großer Sorgfalt erzogen, künftig der Beherrscher der Erde zu werden.
Um ihm indessen die schwere Aufgabe nach Möglichkeit zu erleichtern, schickten sie zuvor den zweiten Sohn, der einstmals aus den Edelsteinen der Amaterasu erschaffen war, den Amenohohi, auf die Erde hinab, damit er dem Ninigi ein wenig vorarbeiten möchte. Dieser Amenohohi aber, als er zur Erde hinuntergestiegen war und das Leben auf derselben erst kennen gelernt hatte, vergaß bald seinen Auftrag; es gefiel ihm so herrlich im Lande Japan, daß er Freundschaft mit den Landesgöttern schloß und nur dem Ookuninuschi zu Gefallen lebte.
Drei Jahre wartete man vergebens auf eine Nachricht von Amenohohi, und als Amaterasu immer nichts von ihm hörte, da war sie allerdings ungehalten, doch wollte sie ihn noch in aller Güte an seine Pflicht mahnen und deshalb schickte sie ihm seinen Sohn nach, der die Weisung bekam, seinen Vater an die ihm ertheilten Aufträge zu erinnern. Der Sohn suchte auch seinen Vater auf; aber auch er fand gleichwie dieser so viel Vergnügen an dem Leben auf der Erde, daß er den Zweck seiner Sendung völlig vergaß, sich mit den Landesgöttern belustigte und ebenso wenig wie Amenohohi eine Nachricht in den Himmel sandte.
Jetzt wählten die Himmelsgötter den Amewakahiko, einen stattlichen, herrlichen Gott aus, um ihn auf die Erde zu senden. Derselbe war gleichfalls ein Nachkomme Isanagi's, und der große Himmelsgeist schenkte ihm zu seinem Auszuge einen prachtvollen Bogen, den großen Himmelsbogen, mit den dazu gehörigen höchst wunderbaren Pfeilen, welche nie und nimmer ihr Ziel verfehlen. Damit sollte er die bösartigen Götter bekämpfen, und Amaterasu ermahnte ihn eindringlich, tapfer gegen dieselben vorzugehen und das Land, das ihr geliebter Enkel Ninigi nun bald beherrschen solle, in Ordnung zu bringen. Aber so viel Vertrauen auch Amaterasu und mit ihr alle Himmelsgötter in den herrlichen Gott Amewakahiko setzten, er ward ebenfalls ungetreu und wich vom Pfade Rechtens ab. Er heiratete mehrere Landesgöttinnen, darunter die schöne Schitateru; dann schloß er Freundschaft mit ihrem Bruder, Ajischiki, lebte in Saus und Braus, und acht Jahre verstrichen, ohne daß er die geringste Botschaft in den Himmel schickte. Doch nicht allein sein lustiges Leben war es, das ihn seinen Auftrag vergessen machte, nein, er hatte noch ganz andere Pläne, und dies waren keine geringeren, als sich selbst der Herrschaft der Erde zu bemächtigen. Er dachte allen Ernstes daran, die Regierung Japans zu übernehmen, sich auf die Seite der Landesgötter zu stellen und den Himmelsmächten zu trotzen.
Der große Himmelsgeist aber und Amaterasu waren allerdings erstaunt, daß sie auch von diesem Gesandten, auf den sie ihr volles Vertrauen gesetzt, keine Nachrichten bekamen; doch mißtrauten sie ihm selbst jetzt noch nicht und beschlossen nur, Kundschafter auszuschicken, welche ihnen Nachricht darüber bringen sollten, was Amewakahiko veranlassen könnte, nichts von sich hören zu lassen. Zuerst schickten sie zu diesem Zwecke den Fasanen ab, welcher auch alsobald lustig davon flog. Als er aber auf die Erde kam, da sah er schon von weitem mit vieler Freude ein schönes großes Hirsefeld. Geschwind flog er zu diesem Felde hin und sah nun, daß auch noch ein ebenso großes Bohnenfeld daneben lag. Und über den Anblick der beiden Felder und über die Aussicht auf die köstlichen Mahlzeiten, die sie versprachen, vergaß der Schelm seinen Auftrag und ließ gerade so wie die anderen Abgesandten nichts wieder von sich hören. Nun schickte Amaterasu eine Fasanenhenne ab mit dem gleichen Auftrage, wie ihn der Fasanenhahn erhalten, und diese Henne war so brav und treu, daß sie an weiter nichts als an ihren Auftrag dachte. Ungefährdet kam sie auf der Erde an und flog schnurstracks vor Amewakahikos Haus. Hier setzte sie sich auf einen großen Baum und sang unaufhörlich: »Amewakahiko, warum hast du acht Jahre nichts von dir hören lassen?« Amewakahiko jedoch hörte den Gesang der Fasanenhenne nicht; desto besser aber hörte ihn eine boshafte Göttin, welche Amanosugame hieß. Diese lief zu Amewakahiko hin und sagte ihm, vor seiner Thür säße ein Vogel, der unverschämtes Zeug sänge. »Du mußt das Thier tödten!« sprach sie. Amewakahiko, von Zorn entbrannt, nahm sofort seinen großen Bogen und einen der Himmelspfeile und schoß damit die Fasanenhenne mitten durchs Herz. Der Pfeil aber, der mit dem starken Himmelsbogen abgeschossen war, flog durch den Vogel fort und fort, immer weiter, bis in den Himmel hinein, so daß er vor Amaterasu's Füßen niederfiel.