Kapitel 1

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Ein paar Tage zuvor ...

Sofia

Kaum bin ich die hölzerne Tür hinein, schon umfängt mich der mittlerweile vertraute Geruch nach Frittierfett und Gebratenem.  

Während ich den Weg zu meinem Spind einschlage, binde ich schonmal meine dicken Haare am Hinterkopf zu einem Pferdeschwanz zusammen. Aus dem Spind nehme ich eine Schürze und knote mir diese um die Taille. Den Notizblock und den Stift lasse ich in der angenähten Tasche der Schürze verschwinden. 

„Ciao cara", begrüßt mich meine Chefin, eine liebevolle füllige Italienerin, mittleren Alters.

Trotz ihrer freundlichen Art, weiß sie genau, wie man das Personal führt. Wenn sie Anweisungen gibt, werden sie auch ohne Widerrede erledigt. Es gibt keine Diskussionen. Sie ist der Big Boss. Eindeutig!

»Ciao Maria. Wie läuft's?«

»Stressati e basta oggi!«, schimpft sie. Eigentlich wie jeden Tag. Ich weiß, es ist immer stressig. Zu viele Touristen. Zu viel Getümmel.

Aber ich habe mich inzwischen daran gewöhnt. Trotz meiner kaum vorhandenen Italienischkenntnissen. Meine Mom hat mir die Sprache nie beigebracht. Vielleicht auch weil mein Dad deutscher war und wir Zuhause nur Deutsch gesprochen haben. Schade, ich hätte die Muttersprache meiner Mom gerne kennengelernt.

In den zwei Monaten, die ich in Italien lebe, habe ich mir zwar ein paar ganz einfache Sätze angeeignet, aber es ist wirklich nicht der Rede wert. Trotzdem komme ich ganz gut klar, denn das ist hier das besagte Touri-Viertel. Viele Deutsche. Und mit den anderen komme ich mit Englisch super zurecht.


Nach sechs Stunden Dauerstress, Unmengen von zu Tisch gebrachten Speisen und gekühlten Getränken, die auch fast alle unversehrt bei den Gästen ankamen - natürlich mit wenigen Ausnahmen, die ich wegen meiner Hibbeligkeit entweder beim Zusammenstoß mit jemanden verschüttet oder fallen gelassen habe, oder einfach zu unvorsichtig war - habe ich mir jetzt eine kleine Pause mehr als verdient. 

Maria und die Kolleginnen haben sich mittlerweile an meine Tollpatschigkeit gewöhnt und nehmen es mit einem Schmunzeln in Kauf, weil ich sonst sehr schnell beim Arbeiten bin, und das ist echt viel wert in dieser Branche. 

Ich laufe die Seitentür hinaus und lasse mich auf die Bank fallen, die direkt daneben steht, und strecke meine vor Schmerz brennenden Beine aus. Die Hitze umfängt meinen Körper und ich richte genüsslich mein Gesicht zur Sonne. Schließe die Augen vor der gleißenden Helligkeit an diesem wunderschönen Tag. 

Diese Ruhe hier draußen ist herrlich. Ganz anders, als auf der anderen Seite des Gebäudes. Das Stimmengewirr hört man nur von weitem. Stattdessen rauscht das Meer, das direkt hinter dem Geländer von der Sonne glänzt, umso mehr. 

Es wäre ja zu schön, wenn ich meine zehn Minuten einfach nur genauso genießen könnte. Das Rauschen des Wassers, das Singen der Vögel, die brennende Sonne in meinem Gesicht. Und dann der Geruch nach dem salzigen Meer ...

Tja, das wäre es ... Wenn nicht schon wieder das laute Geheule eines Motors in meinen Ohren dröhnen würde. Zu laut! Und es kommt immer näher. 

Was ist das?

Mühselig richte ich mich auf und spicke um die Ecke zum Parkplatz, von dem das laute Geräusch kommt.

Diese Motorräder! Wie kann man nur sowas mögen? Die sind so laut, vor allem auch so gefährlich.

Die schwarze Maschine biegt mit einem lauten Dröhnen zum Parkplatz ein. Der Typ, ganz in schwarz gekleidet, steigt ab, nachdem er das schwere Ding sicher zum Stehen gebracht hat, und läuft geradewegs zur Eingangstür des Restaurants. 

Toll! Allein seine Gangart zeigt, dass dieser Typ zu viel von sich hält. Gut, dass mir noch fünf Minuten meiner Pause bleiben. Bis ich zurück komme, hat eine meiner Kolleginnen seine Bestellung bestimmt schon aufgenommenen. Ich habe jetzt wirklich keine Kraft mehr für Möchtegern-Machos. 

Dem ist auch tatsächlich so, als ich wieder bereit zum Arbeiten bin. Ich sehe den Typen mit seiner Lederjacke auf der anderen Seite des Restaurants sitzen. Zu gerne würde ich ihm sagen, dass er sie auch ausziehen kann bei der Hitze und nicht so anzugeben braucht, weil es eh keinen beeindruckt, dass er Biker ist. Aber wie ich zu meiner Verwunderung feststellen muss, scheinen meine beiden Kolleginnen tatsächlich auf diesen Angeber zu stehen. Beide kichern wie kleine Mädchen und Alicia, die dem Mann seine Cola gebracht hat, ist sogar errötet.

‚Meine Güte, Mädels. Wie alt seid ihr?', würde ich sie zu gerne zurechtweisen. ‚Solche Typen sind doch mehr Schein als Sein.'

Diese Poser sind echt nicht meins. Vielleicht damals mit sechzehn, aber jetzt mit fünfundzwanzig ist es eindeutig nicht mehr so.

Ja, Mann! Jeder sieht, dass du gut aussiehst. Wir haben schon verstanden, dass du jeden Tag mindestens zwei Stunden vor dem Spiegel stehst und dir wahrscheinlich sogar selbst anerkennend zu zwinkerst.

Okay, ich muss zugeben, dass er schon ein wenig schnuckelig aussieht, ändert aber nichts an meiner Meinung.

»Dolce non è vero?« Eine Stimme schreckt mich aus meinen Überlegungen auf und als ich mich umdrehe, sehe ich Alicia breit grinsend hinter mir, die in die gleiche Richtung starrt.

»Ach komm, der ist doch nicht süß!«, antworte ich.

»Natürlich ...«, gibt sie mit ihrem starken italienischen Akzent von sich. »Deswegen sabberst du auch.«

»Wie bitte?« Viel zu laut kommen die empörten Worte aus meinem Mund. So laut, dass sich sogar der Lederjackentyp in unsere Richtung dreht.

Mann, verdammt ... Er sieht ja tatsächlich heiß aus.

Seine tiefblauen Augen treffen auf meine und bleiben darauf haften, bis ich mich endlich dazu zwinge, diesen Bann zu unterbrechen.

Gut, dass Maria den Moment rettet. »Al lavoro, ragazze.«

»W... was?« Ist nicht so, dass ich sie nicht verstanden hätte, aber ich brauche wohl ein paar Sekunden, um mich wieder zu sammeln. 

»An die Arbeit, Mädels. An die Arbeit«, sagt sie nochmal auf deutsch und drückt mir die nächsten Teller in die Hand.

Während ich diese zum Tisch trage, wage ich noch mal einen kurzen Blick in die Richtung des Unbekannten und stelle fest, dass auch er den Blick noch nicht abgewendet hat. Ein kleines Lächeln zeichnet sich auf seinen Lippen ab, als er meine Aufmerksamkeit bemerkt. Ich lächle freundlichkeitshalber zurück und mache mich weiter an die Arbeit. 


Ganze zwei Stunden bleibt der Biker im Restaurant sitzen. Ganz alleine, mit seinem Handy in der Hand, und bestellt nichts weiter als Cola. Zwischendrin unterhält er sich mit Maria. Sie scheinen sich zu kennen, aber ich frage nicht nach, woher. Das interessiert mich kein bisschen. Es ist nur seltsam, dass er hier so lange bleibt. 

Endlich habe ich Feierabend und kann mich etwas ausruhen. Bald kommt Marcos nach seiner Führung, die er für die Touristen anbietet, nach Hause und ich würde gerne vor ihm da sein. Also ziehe ich mich schnell um, nehme meine Umhängetasche aus dem Spind und mache mich auf den Weg.

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Herzklopfen und das rote Kleid Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt