1. Kapitel - Honigduft & Magie in der Luft

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"Wenn die Sonnenstrahlen auf ihre Blätter fallen, öffnet die Kaplusara ihre Knospen und riecht nach Honig! Stell dir vor, Kilian, du kannst einen Tee brühen, der gegen Halsschmerzen hilft und gut schmeckt! Ist das nicht toll?"

Enya blickte mit großen Augen, die vor Begeisterung genauso wie sonniger Honig leuchteten, von ihrem Buch auf. Kilian musste die Äste der Weide beiseite biegen, um ihr freien Durchgang durch den Wald zu ermöglichen. "Hmm", brummte er mäßig erfreut darüber, dass seine Schwester nicht konzentriert bei der Sache war. Sie blickte zwar nach vorne auf den Weg, doch er hatte den Eindruck, dass sie in ihrer eigenen Welt war - wie immer.

Dabei war sie es, die der Aufgabe ihres Vaters erfreut zugestimmt hatte. Für seine Arbeit als Apotheker brauchte er regelmäßig Kräuter, die Kilian nicht aussprechen konnte, geschweige denn kannte. Trotzdem musste er jedes Mal losziehen, weil Enya sich freiwillig zum Pflücken meldete. Und als großer Bruder musste er sie natürlich begleiten.

Eine wichtige Mission - wichtiger, als seinen wohlverdienten Schlaf zu genießen.

Kilian gähnte und schob weitere Äste auseinander. Das schreckte einen Tapalo auf - ein reh-ähnliches Wesen mit kleinen Flügeln - und es hüpfte davon. Kilian sah ihm hinterher. "Wie heißt das Kraut nochmal, das wir heute suchen?"

"Wofbrigoe", kam die Antwort sofort. "Ein silbernes Heidekraut, das in feuchten Gebieten wächst. Damit kann man eine Salbe herstellen, welche blaue Flecken in wenigen Sekunden verschwinden lässt."

"Hast du das Buch auswendig gelernt?"

Enya hüpfte fröhlich über Stock und Stein. "Wenn ich groß bin, werde ich Apothekerin, wie Vater!"

Kilians Mundwinkeln zuckten nach oben, doch er konnte nicht anders, als einen Stich im Herzen zu verspüren. Wenn ihr Vater doch zwei Kinder haben könnte, auf die er so stolz sein könnte ...

Enya hielt das Buch über Heilkräuter wie ein Vermächtnis fest, während Killian die Hände tief in seinen Taschen vergrub. Seine Finger schlossen sich automatisch um einen alten Kompass, den er immer bei sich trug, auch wenn er ihn wahrscheinlich niemals brauchen würde.

"Wenn du groß bist ...", neckte er seine Schwester, damit sie sein plötzliches Unwohlsein nicht bemerkte. "Da musst du erst noch mindestens einen Meter wachsen."

"Hey!"

Er wich lachend ihrem Seitenhieb aus. "Ich glaube, ich habe ein Lüftchen auf Bauchhöhe gespürt. Leben hier im Wald auch Zwerge?"

Enya zog einen Schmollmund und stemmte die Hände in die Seite. Sie war vier Jahre jünger als er, aber selbst für eine Elfjährige war sie klein - und die Haltung ließ sie nicht größer wirken.

"Nur ein Scherz", versuchte er, sie zu besänftigen. "Wo bliebe sonst der Spaß auf so einem langen Weg? Wie lange müssen wir eigentlich noch gehen?"

Enya gab ein Brummen von sich, das vermutlich sauer klingen sollte. "Bis zum Wasserfall", meinte sie stumpf.

Mit ihren blonden Zöpfen, honigbraunen Augen und dem verträumten Blick sah sie aus wie ein kleiner Engel, was vermutlich auch der Grund war, warum alle Bewohner in Jelera das kleine Mädchen gern hatten.

Anders Kilian. Wenn sie nicht dieselben Augen hätten, würde er sich manchmal fragen, ob sie wirklich verwandt waren. Mit seinen dunklen Haaren und Sommersprossen passte Kilian in das Familienbild wie Brombeere zwischen Kamille - was aber nichts daran änderte, dass er seine Familie liebte.

Er biss sich auf die Zunge. "Hey, tut mir leid", entschuldigte er sich, als Enya drei Meter vor ihm durch die glitzernden Farne stampfte.

Enya blieb stehen und drehte sich mit einem strahlenden Lächeln um. "Schon vergessen! Wenn ...", begann sie und sah ihn erwartungsvoll an.

Quintessentia - Das fünfte Element (ONC 2024)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt