20. Kapitel - Von Schatten und Licht

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"Fiona?", fragte Kilian mit gedämpfter Stimme, aus der hundert Fragen und Hoffnungen klangen.

Augustus trat einen Schritt vor und strich seinen dunklen Mantel glatt. "Vielleicht war ich nicht ganz ehrlich, was sie anging. Es stimmt, sie ist freiwillig zu uns gekommen - aber nicht, um sich einschlüsseln zu lassen. Sondern weil sie erkannt hat, welche Seite heute Nacht die Quintessenz vereinen wird. Wer die wahre Hoffnung auf Heilung verspricht. Sie hat sich uns angeschlossen."

Jegliche Zuversicht, die Kilian bis gerade noch verspürt hatte, begann zu wanken. "Ist das wahr?", flüsterte er ungläubig.

Möglich wäre es. Er wusste nicht, was sie sich gedacht hatte, nachdem sie auseinander gegangen waren. Vielleicht hatte sie sich wirklich den drei Fremden angeschlossen.

Vielleicht aber war sie einfach nur unvorhersehbar.

Vertrauen. Die Worte des Geistes des Wassers kamen ihm in den Sinn, die sie extra betont hatte. Hatte sie bereits etwas gewusst?

Wasser ist wechselhaft. Es kann viele Gesichter annehmen. Aber es ist immer klar, immer ehrlich. Merk dir das.

Bisher hatte Fiona noch nichts gesagt, sondern nur still neben Augustus gestanden. Er sah sie mit ihrer Maske an. Ein anderes Gesicht. Sie hatte damals bei ihrem ersten Versuch die Prüfungen von Feuer und Wasser bestanden. Sie trug, genauso wie er, die entsprechenden Werte in sich. Und Wasser war immer klar und ehrlich.

"Egal was Augustus sagt - ich vertraue dir", sagte Kilian und hoffte tief im Inneren, dass er richtig lag.

Fiona trat langsam vor. Er hielt ihrem Blick stand, bis sie endlich die Maske abnahm und ihr wahres Gesicht offenbarte. So, wie sie stand, hatte sie Augustus den Rücken zugewandt. Deshalb konnte der Mann auch nicht das erleichterte Lächeln sehen, das sich auf ihren Lippen ausbreitete.

"Ich habe zwar jahrelang Masken getragen, aber irgendwie fühlt es sich trotzdem ungewohnt an, wieder eine aufzusetzen, nachdem ich eine Weile ohne war."

Kilian neigte den Kopf. "Heißt das ...?"

Fiona verdrehte die Augen, als wäre alles offensichtlich. Vielleicht war es das auch für sie. "Ich bin mit ihnen gegangen, um sie aufzuhalten! Leider konnte ich sie nicht einmal verlangsamen."

"Dann bist du doch auf unserer Seite?" Enyas Augen leuchteten auf.

"Natürlich! Was dachtest du denn?"

"Augustus hat gesagt, du hast dich von ihm einschlüsseln lassen."

"Pff! Eher habe ich einen Schlüssel!"

Damit überraschte Fiona alle: Sie griff in ihre Tasche und zog stolz einen leuchtend roten Schlüssel hervor.

Enya stieß einen Jubelschrei aus und griff nach dem Schlüssel-Gefängnis. Kilian wollte Fiona am liebsten umarmen. Doch da sie nicht allein waren, beließ er es bei einem dankbaren Blick. Auch Fionas Augen glänzten und sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.

Der Moment genügte, um die Verbundenheit wiederherzustellen und alle Zweifel davonzuwehen.

Fiona trat zu ihnen in die Reihe. Damit waren sie wieder zu viert, vereint gegen das Böse.

Augustus wirkte erstaunlich unbeeindruckt. Als Enya den Schlüssel zerbrechen und ihren Vater befreien wollte, schnaubte er. Er ließ seine Hand nach vorne schnellen. Der Schlüssel zischte aus ihrer Hand zurück in seine, als hätte er einen Supermagneten.

Enya schrie und starrte ihre leeren Finger an, aus denen soeben das Schicksal ihres Vaters geglitten war.

"Nur um das klarzustellen", sagte Augustus und musterte Fiona. "Wir haben dich von Anfang an durchschaut. Wir wussten, dass du alles nur vorspielst. Für jemanden, der stets Gesichter vortäuscht, hast du das nicht besonders gut gemacht. Wobei, ich muss zugeben, mit dem Schlüssel gerade hast du mich überrascht. Das war wirklich unvorhersehbar."

Quintessentia - Das fünfte Element (ONC 2024)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt