Als er die Quintessentia dieses Mal aufschlug, redete das Buch nicht mit ihm. Doch das Schweigen beruhigte Kilian nicht - eher im Gegenteil. Die vier Lichter waren nicht zurückgekehrt und der Kreis hatte einen Riss, den er hinein gekratzt hatte. Hastig blätterte er auf der Suche nach Antworten um und stockte, als er vier prägnante Worte sah, die fast vorwurfsvoll groß auf der nächsten Seite standen:
"Feuer, Wasser, Erde, Luft", las er vor. Vier Lichter. Vier Farben.
Er hatte die vier Elemente frei gelassen.
"Ohh", stieß er gedehnt hervor. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Allerdings konnte er es auch nicht herausfinden, denn sein Vater nahm das Studierzimmer in Anspruch und wirkte dabei sehr durcheinander.
"Wer ist an der Tür gewesen?", wollte Kilian wissen.
"Nur drei Fremde, die sich verirrt haben", wich er seiner Frage aus und tigerte umher. "Mach dir keine Gedanken. Und nun geh nach draußen und nimm Enya mit. Frische Luft ist gesund und hilft bei allem. Außer bei Irrlichtern ... Aber es muss noch eine andere Variante geben, als den Vorschlag, die sie hatten ..."
Kilian hatte fast den Eindruck, sein Vater wollte, dass sie so schnell wie möglich weggingen. Aber er stellte keine weiteren Fragen. Während Enya und Daria mit den Elfen spielten, nahm er die Quintessentia mit in die hinteren Bereiche des Apothekergartens, wo selbst Käfer sich selten hin verirrten. Hier stand ein kleiner Brunnen, der längst zugewachsen und vergessen war, doch einst hatten hier schöne Blumen geblüht und Vögel im Wasser gebadet, und seine Mutter ihm Geschichten vorgelesen ...
Nun spendeten die hohen Farne nur noch eines: Schatten und Schutz vor den Augen der Welt, weil Kilian selbst noch nicht genau wusste, was er von dem Buch halten sollte.
Er schluckte. Das Buch war definitiv magisch. Normalerweise hielt er sich von den meisten magischen Dingen wie Elixieren und Kräutern fern. Magie war für den Tod seiner Mutter verantwortlich und nun dabei, seine Schwester zu töten.
Doch hatte er noch eine andere Chance, als zumindest auf Magie zu hoffen?
Kilian atmete tief durch und schlug das Buch auf. "Feuer, Wasser, Erde, Luft", murmelte er. Dann wurden seine Augen magnetisch von einem fünften Wort angezogen, das in der Mitte stand und vorher mit Sicherheit noch nicht dort gewesen war. "Quintessenz? Was soll das sein?"
Das Buch antwortete - aber nicht in Worten. Die Seiten verselbständigten sich und blätterten rasant weiter. Kilians kurzes, dunkles Haar wurde nach hinten gepustet und er musste sich am Brunnenrand festhalten. Der Wind pustete ihn in eine andere Realität - oder tauchte er ins Buch ein? Oder geschah nichts von dem, sondern die Infos flogen einfach in seinen Kopf? Der Garten war plötzlich weg. Nur noch vier Lichter waren da - die vier Elemente.
Sie schwebten über einer gesichtslosen Gestalt, die mit wehendem Umhang auf einer Plattform in einer Höhle stand. Die Person hob die Arme, als würde sie gegen unsichtbare Kräfte kämpfen. Die Elemente gehorchten und flogen näher zusammen. Als sie sich berührten, gab es einen Knall.
Goldenes Licht erstrahlte. Die Quintessenz wurde geboren. Das fünfte Element, entstanden aus den anderen vier.
Die goldene Lichtkugel schimmerte. Sie war ein Heilmittel gegen alle Leiden dieser Welt - auch gegen den Biss eines Irrlichts. Die Erkenntnis überwältigte Kilian und ließ jede seiner Zellen kribbeln.
So schnell wie es begonnen hatte, war es wieder vorbei. Kilian spürte kaltes Gestein unter sich. Er saß immer noch auf dem Brunnen im Apothekergarten.
"Huch?" Seine Gedanken drehten sich, genauso wie sein Kopf. Das Buch lag auf seinem Schoß. Die erste Seite, wo die Elemente verwahrt worden waren, war vorwurfsvoll aufgeschlagen, als wollte sie ihm zeigen, was hätte sein können. Er hätte die Elemente vereinen können, wie die Gestalt es getan hatte, und Enya heilen können.
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Quintessentia - Das fünfte Element (ONC 2024)
Fantasía𝟒 𝐄𝐥𝐞𝐦𝐞𝐧𝐭𝐞. 𝟑 𝐅𝐫𝐞𝐦𝐝𝐞. 𝟐 𝐒𝐜𝐡𝐥ü𝐬𝐬𝐞𝐥. 𝐔𝐧𝐝 𝟏 𝐆𝐞𝐡𝐞𝐢𝐦𝐧𝐢𝐬, 𝐝𝐚𝐬 𝐚𝐥𝐥𝐞𝐬 𝐯𝐞𝐫𝐞𝐢𝐧𝐭: 𝐃𝐚𝐬 𝟓. 𝐄𝐥𝐞𝐦𝐞𝐧𝐭. ★★★★ Kilian und Enya sind die Kinder des berüchtigten Apothekers von Jelera. Als dieser plötzlich...