Tage des Vermissens

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Für November war es überraschend warm, angenehme 18 Grad. Trotzdem fror ich, aufgrund des Fahrtwinds, der mir entgegenschlug, als ich mit dem Fahrrad nach Hause radelte.

Meine Schule lag etwas außerhalb unseres Ortes, etwa zwanzig Minuten mit dem Fahrrad. Hinter dem Ortsschild reihten sich eine Handvoll kleiner, schnuckeliger Hotels an den Rand einer steilen Straße, die im Zickzack einen Hang hinaufführte.

Hinter diesem Hang lagen die von hohen Wellen umspülten Klippen und das unendlich weite, türkisblaue Meer. Das war mein Zuhause, zumindest für den größten Teil des Jahres.

Ich bog in eine kleine Seitenstraße ein, fuhr zwischen im Wind rauschenden Kiefern hindurch und hielt vor einem Zaun.

„Filomena!"

Eine wohlvertraute Stimme erklang aus der geöffneten Haustür. Sekunden später schoss mein Halbbruder heraus, das Gesicht gerötet vor Zorn. Ich nahm mir die Zeit, eine Grimasse zu ziehen, dann streckte ich ihm die Zunge raus, lehnte das Fahrrad an den Zaun und sprang darüber hinweg.

„Bleib stehen", rief er wutentbrannt.

Aber ich hörte nicht auf ihn, sauste durch das Gemüsebeet und den Rasen hinauf, auf den schlichten Unterstand mit dem Grill zu. Blitzschnell umrundete ich die Terrasse mit den Campingstühlen und rannte in Richtung des kleinen Waldstücks, unterhalb unseres Hauses.

„Filomena!"

Eine andere Stimme erklang von links, aus der kleinen Hütte neben dem Unterstand. Unsere Mutter trat nach draußen, wischte sich die Hände an der Schürze ab und warf mir einen drohenden Blick zu.

Ich bremste ab und kam rutschend zum Stehen, das Keuchen meines Halbbruders im Nacken.

„Fernando, an die Arbeit!" Sie streckte ihren rechten Arm aus und deutete auf unser Haus. „Schluss mit dem Kinderquatsch."

„Aber Ma!" Fernando war neben mich getreten, die Arme vor der Brust verschränkt. „Sie soll mir gefälligst helfen, wegen ihr bin ich den ganzen Vormittag durchs Dorf gejagt." Sein Gesicht wies unzählige rote Flecken auf.

Ich streckte ihm wieder die Zunge heraus.

„Hör auf, Filomena!", bestimmte Mutter resolut. „Fernando, geh!" Unter ihrem strengen Blick zog er davon.

„So ein blöder Sack", grummelte ich. „Immerzu ist er am Meckern. Kann er sich nicht mal freuen, wenn ich nach Hause komme?" Wie konnte man nur so verkniffen und unausstehlich sein?

Mutter seufzte leise. „Wie soll er das? Er ist den ganzen Vormittag durch das Dorf gerannt, um die Hühner wieder einzufangen, die du heute Morgen freigelassen hast. Ich bin sicher, im Grunde liebt Fernando dich und das würde er auch zeigen, wenn du ein bisschen guten Willen zeigen würdest."

„Aber er wollte sie töten!", protestierte ich. „Trixi, Fixi, Huhni und Claudi!"

„Dafür halten wir sie", wandte Mutter ein. „Und ich habe dir schon hundertmal gesagt, du sollst ihnen keine Namen geben. Wenn das das Einzige wäre. Gestern hast du sein Mofa genommen und bist damit zur Schule. Fernando musste mit dem Fahrrad zum Hafen, um die Touristen raus zu den Delfinen zu bringen."

„Aber das könnte ich doch auch machen", schlug ich hoffnungsvoll vor. „Ich kann mit dem Boot umgehen!"

„Du sollst zur Schule gehen und lernen", erklärte sie streng.

Innerlich schnitt ich eine Grimasse. Bei Mutter traute ich mich das meistens nicht, obwohl mir ihre Argumente oft genauso blöd vorkamen wie die von Fernando. „Schon klar. Bei Fernando hätte das mit der Schule sowieso keinen Zweck. Der hat ja nur Brei im Hirn."

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⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 15 ⏰

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