2 - Zu viele Fragen

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Ich konnte nicht ganz begreifen, was meine Mutter mir gerade sagte, auch wenn ihre Worte ganz logisch klangen. Ich sollte für immer jung bleiben? Aber wie war das möglich und warum gerade ich? All diese Fragen schwirrten in meinem Kopf herum und ich wusste keine Antwort darauf. „Kann man das irgendwie verhindern?", sprach ich eine meiner Fragen aus und sah meinen Leibarzt Dr. Moritio flehend an. Ich wollte das wirklich nicht. Mutter sah mich überrascht an und wusste wohl nicht recht was sie sagen sollte. Ihr schien die ganze Sache mit der Gabe ja zu gefallen, aber mir nicht. „Tut mir leid, Segnora de Vitry, aber ich kann Ihnen leider keine Auskunft geben. Dies überschreitet meine eigenen Kenntnisse." Ein wenig ratlos sah er erst mich, dann meine Mutter an und schließlich sah er zu Fernando, als ob er eine Auskunft geben könnte. Doch anstatt einfach etwas zu sagen, nickte er nur, kam auf mich zu und nahm mich bei der Hand. Die anderen verloren kein Wort, also folgte ich Fernando hilflos nach draußen.
Unsere Gäste haben schon längst unser Anwesen verlassen. Gut so, denn ich war nicht wirklich erpicht darauf, dass sie mich so sehen. Ich muss wirklich ziemlich schlimm aussehen. Denn Fernando hatte eine sehr nachdenkliche aber auch besorgte Miene aufgesetzt. Jedoch sprach er noch immer nicht mit mir, also blieb ich stehen und verschränkte die Arme. Ich versuchte selbstbewusst auszusehen, aber insgeheim weiß ich ganz genau, dass ich erschüttert oder gar fassungslos aussah. „Kannst du mir bitte irgendwas sagen? Ich halte dieses Schweigen und das Unwissen was mit mir passiert einfach nicht aus.", bat ich ihm mit immer mehr abbrechender Stimme. Ich spürte wie verzweifelt ich wurde und kamen Tränen auf. Er kam auf mich zu und nahm mich in die Arme. „Sch-sch. Alles wird gut. Beruhige dich, ich erzähle dir alles was du wissen musst. Aber bitte hör auf zu weinen, Liebes.", mit selbst verzweifelter Stimme strich er mir eine Träne aus dem Gesicht und ließ seine Hand auf meiner Wange verweilen. Nun standen wir da. Auge zu Auge. Die Höflichkeit und Distanz war zwischen uns verschwunden und er zog mich langsam an sich. Ich fühlte mich wohl, während ich ihm so nah war. Trotzdem stieß ich ihn leicht von mir weg.
Ich wollte Antworten und zwar jetzt. Anscheinend konnte Fernando meine Gedanken lesen und ging in Richtung Garten, ich folgte ihn mal wieder wortlos. Wir setzten uns auf eine Bank. Er atmete noch mal tief bevor er anfing meine Fragen zu beantworten. „Darf ich fragen, wie lange du schon dieses Gen in dir trägst?", meine Stimme zitterte. „Nun, ich habe dieses Gen wie du bei deiner Geburt bekommen, doch lässt es sich erst ab einem bestimmten Alter feststellen. Ich war so alt wie du, als man es diagnostizierte und jetzt sind bereits 35 Jahre vergangen.", er sah mich bei dem letzten an, er wollte wahrscheinlich meine Reaktion sehen. Ich rechnete im Kopf durch und hielt seinem Blick stand, nur innerlich war es ein Schock für mich, als mir bewusst wurde, dass man mich mit einem 52-jährigen vermählen würde.
Zugegeben wusste ich nicht, was ich nun sagen sollte, sondern starrte ihn einfach nur verblüfft an. Es ist schon ziemlich unglaubwürdig, dass es einen solchen Gendefekt gibt, aber andererseits habe ich den Beweis genau neben mir sitzen. Fernando ist bereits 52 Jahre alt, sieht aber noch genauso jung aus wie ich. Bemerkenswert. Wieder schwirrten mir noch mehr Fragen im Kopf herum und ich wusste nicht so recht womit ich weiter machen sollte. Auch dies bemerkte Fernando und redete einfach weiter. „Ich sollte bereits ein paar Mal vermählt werden, mit anderen Genträgerinnen, aber sie waren nicht die richtigen für mich." Toll, jetzt ist er auch noch wählerisch, dachte ich mir und zog die Nase kraus. Ich bin also nur eine von vielen. Was für ein wunderbares Gefühl das doch ist. Leicht schmunzelte ich über meine eigenen Gedanken die vor Sarkasmus trieften.
„Was ist so amüsant, wenn ich fragen darf?", riss er mich aus meinen Gedanken und ich schaute ihn perplex an. „Nichts, nichts. Fahre fort, Fernando.", meinte ich und konzentrierte mich wieder darauf, was er sagte. „Jedoch war bis jetzt nicht die Richtige dabei, bis man mich dir vorstellte, Ketlin. Die meisten Frauen waren einfach eingebildet oder dachten sie seien etwas besonderes, wegen ihrer Krankheit." Es war das erste Mal, dass es jemand außer mir als Krankheit bezeichnete. „Bist du gerne... 'unsterblich'?", fragte ich zögerlich und schaute ihm in die dunkelbraunen Augen. Knopfaugen, wie man so gerne sagte. Jedoch sprachen sie mich nicht an. Fernando überlegte, was er wohl sagen wollte. Man sah es ihm sehr gut an, wenn er nachdachte, denn immer wenn er es tat, legte er seine Stirn in Falten. Was ihm wiederum viel älter wirken ließ. „Nun ja. Anfangs war ich genauso geschockt wie du, aber mit der Zeit habe ich gelernt es zu genießen. Dies wirst du auch tun müssen. Lernen damit umzugehen. Man kann es nicht einfach stoppen. Ich habe es selbst versucht, doch hat nichts genützt. Die besten Ärzte von Italien haben mir jegliche Medikamente verabreicht, doch das Gen hat die Medizin abgewehrt. Wie eine Art Schutzmechanismus, welcher verhindert das ich krank werde oder gar geheilt werden kann." Er verfiel in Schweigen und ich hatte Zeit es zu verdauen. Geheilt werden kann ich schon mal nicht, aber das einfach so hinnehmen werde ich auch nicht. Es muss einen Weg geben. Es gibt immer einen Fluchtweg, möge er auch noch so grausam sein. Ich will altern und nicht ewig 17 sein.
Fernando räusperte sich und ich zuckte willkürlich zusammen. „Es gibt auch bestimmte Regeln, die wir einhalten müssen. Aber diese wird dir der Rat schon noch offenbaren." - „Welcher Rat?", fragte ich verwirrt. Eine Geheimorganisation? Was gibt es denn noch alles? So langsam drohte mein Kopf zu explodieren. „Ein Rat zum Schutz. Sie verhindern, dass jeder von uns Genträgern erfährt und hat deswegen Regeln, auf die wir bauen müssen. Es ist schon mal in der Geschichte vorgekommen, dass ein Genträger außerhalb seiner Familie von seiner Krankheit erzählt hat und wurde verhaftet. Bis heute ist er deswegen im Tower vom London eingesperrt. Die Strafen sind hart, aber so wird wenigstens verhindert, dass jemand von uns leichtsinnig ist." Wieder machte er eine Redepause, damit ich verarbeiten konnte, was er gerade gesagt hatte.
„Wie viele gibt es von... uns?" Das war eine der Fragen, die mir schon seid längerem auf der Zunge lagen. Natürlich durfte niemand von seiner Gabe erzählen, wie ich soeben erfahren hatte, aber ich dachte das man deutlich sehen kann, wenn jemand nicht altert. Aber andererseits muss es ja jemanden geben, der genau weiß, wie viele es von uns gibt. „Nur der Rat weiß die genaue Zahl und die Familien die das Gen haben.", meinte Fernando unbeeindruckt und starrte auf den kleinen Teich, welcher vor uns lag. Hier und da waren kleine Luftbläschen und ein paar Fische zu sehen. Schon als Kind saß ich immer hier, wenn es mir schlecht ging und anscheinend hatte er unbewusst diesen Ort ausgewählt, welcher mir so viel bedeutete.
„Und woher wusstest du, dass ich eine Genträgerin bin?" Die Frage war berechtigt, denn es war ein Widerspruch, was er da sagte. Wenn nur der Rat wusste, welche Familien betroffen waren, woher wusste er es dann? Fernando schmunzelte bei meiner Frage und sah mich ein wenig überheblich an. „In meinen ganzen Jahren habe ich Beziehungen geknüpft und somit auch zum Rat. Ich konnte einen kurzen Blick auf die Register erhaschen und da sah ich deine Familie.", er zuckte mit den Schultern und sah wieder weg. Irgendwie wurde er mir immer unsympathischer. Seine Art und Weise wie er redete und vor allem sein Charakter gefiel mir einfach nicht. Also rückte ich unauffällig ein wenig von ihm weg und beäugte ihn weiterhin von der Seite.
„Ich glaube das sind genug Antworten für einen Tag. Ich muss das erst einmal verarbeiten, tut mir leid, Segnore." Ich wollte wieder Distanz zwischen uns bringen, weshalb ich wieder begann ihn zu siezen. Er nickte nur und wir erhoben uns von der Bank. Wir liefen wieder zurück zum Anwesen, was ein kleines Stückchen vom Teich entfernt war, sprachen aber kein Wort mehr miteinander. Das Gespräch war interessant und wenigstens wusste ich ein wenig mehr über mein Schicksal Bescheid. Leider achtete ich nicht darauf wo ich hintrat und so kam es, dass ich stolperte, über meinen eigenen Reifrock. Fernando reagierte Gott sei Dank schnell und fing mich auf, bevor ich auf dem Boden aufschlug. Erschrocken sah ich ihn an und er strich mir eine Strähne aus dem Gesicht, welche sich aus meiner Frisur gelöst hatte. Fernando kam meinem Gesicht immer näher und als wäre ich in Trance, machte ich nichts dagegen. Erst glitt sein Blick zu meinen Lippen, dann zu meinen Augen. Kurze Zeit später war die Lücke zwischen uns geschlossen und seine Lippen lagen auf meinen.

Curse or Blessing - It beginsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt