8 - Der Schwarze Tod

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„Frankreich ist gar nicht so schlimm wie ich dachte. Man könnte es hier wirklich eine Weile aushalten. Meinst du nicht, Emy?"

Begeistert sah ich meine beste Freundin fragend an, bis ich mich wieder aus der Kutsche lehnte und die wunderschöne Natur genoss. Wir waren bereits seit einigen Wochen unterwegs und hielten nur zum Schlafen an oder wenn die Pferde gewechselt werden mussten. Stets darauf vorbereitet Fernando könnte uns finden. Die Reise bis hier her, war schon spektakulär gewesen, aber auch ermüdend. Die Kutschfahrten haben mir schon einige blaue Flecke und Kopfschmerzen  bereitet. Diese ganzen holprigen Straßen machen es mir nicht leicht, immer wieder einzusteigen. Doch meine Laune hielt sich doch sehr positiv. Ob es nur an dem wunderschönen kleinen Dörfchen lag, durch welches wir gefahren sind und Emy wieder einen neuen Schwarm gefunden hatte, oder vielleicht doch an der wunderschönen Natur hier in Frankreich, konnte ich nicht genau sagen. Auf jeden Fall kann ich meine anfängliche Abneigung definitiv nicht mehr verstehen. Was war es nochmal, dass mich dieses Land so hassen ließ? Ich weiß es nicht mehr. Doch was ich weiß ist, dass ich gerne auf Reisen war. 

Alles in mir war grenzenlos begeistert und freute sich schon auf die kommenden Monate, die wir hier verbringen wollten. Vielleicht überzeugt mich Frankreich noch länger zu weilen.

***

Schon bald darauf hatten wir uns ein kleines Häuschen in der Nähe vom Hafen gekauft. Liebevoll richteten wir es nach unseren Wünschen ein, kauften Gemälde, Bücher und Vasen, damit alles viel mehr nach uns aussah. Und es sich wieder ein Stück nach zu Hause anfühlte. All die Zeit, die wir schon geflohen waren, habe ich mein altes Leben versucht in meinen Gedanken zu verhüllen. Manchmal ertappte ich mich leider selbst, wie ich zurück an meine Eltern dachte. Stets bemerkte dies Emy und gab ihr Bestes mich wieder aufzuheitern und umso mehr schätze ich ihre Anwesenheit. 

Wir hatten Freunde gefunden, gute Freunde, die uns auch halfen wo sie konnten. Wir trafen uns zum Tee oder zu einem Spaziergang. Spielten alte Kartenspiele und verbrachten die Abende zusammen. Niemals hätte ich gedacht, dass es mir so viel Spaß machen würde, hier in Calais zu leben, aber wahrscheinlich hätte ich auch niemals gedacht, dass ich irgendwann mal in Frankreich leben würde.

Während der Anreise haben wir beide unsere sprachlichen Fähigkeiten verbessert und konnten nun mit ruhigen Gewissen behaupten, dass wir der französischen Sprache mächtig waren. Für mich gab es sowieso keine großen Schwierigkeiten, da mein Vater früher schon einen großen Wert auf sprachliche Fähigkeiten gelegt hat, also konnte ich schon immer ein wenig Französisch.

Bei Emy hingegen... Sie ist eine einfache Zofe, so gemein das auch klingen mag, aber da wird nie viel Wert auf so etwas gelegt. Dafür ging sie immer zu einen unserer Freunde, welcher ihr netter Weise noch Nachhilfe gab. Ob es wirklich nur dabei geblieben ist? Sie kommt danach meist ziemlich spät nach der Dämmerung nach Hause und wenn es so wäre, wie ich es denke, dann würde es mich freuen.

***

Unser neues Heim war mit ein wenig Hilfe bereits nach fünf Wochen komplett eingerichtet und bezugsbereit. Meine neuen, extra angefertigten Kleider waren verstaut, genau wie meine unzähligen Bücher. Im großen Garten, hinter dem Haus, befanden sich zwei kleine Bäume, die in ein paar Jahren mit sehr viel Pflege und Liebe groß erstrahlen würden. Viele bunte Blumen blühten in ihren schönsten Farben, so dass man sich bei einer schönen Tasse Tee und einem guten Buch in den Garten setzen und die Natur genießen konnte. Ich hatte mich durchgesetzt, als es um den Platz des Hauses ging und wir bekamen eine wunderschöne Stelle nahe des Hafens. So konnten wir jederzeit an das Meer gehen und die Schiffe beobachten, wie sie kamen und die Stadt wieder verließen. Des Öfteren träume ich davon mit einen dieser Schiffe raus auf den Ozean und die weite Welt zu befahren. Es war unsere eigene kleine Welt und so schnell wollten wir sie auch nicht wieder verlassen.

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Doch bereits ein paar Jahre darauf, um 1503, holte uns die Vergangenheit wieder ein. Ich trauerte, denn es war der Todestag meiner Mutter, also befand ich mich in meinen Gemächern und las meine alten Bücher, so dass ich nichts davon mitbekam, was sich im unteren Stockwerk abspielte.

Emy wurde krank, schlimmer als erwartet. Sie konnte sich nicht mehr erheben oder gerade sitzen. Ihre Hände zitterten unentwegt und ihr war so kalt, dass bereits ihre sonst so rosafarbenen Lippen blau anliefen.

Ich machte mir große Sorgen um meine Freundin, weswegen ich den einzigen Arzt rufen lies, dem ich vertraute. Meinen Arzt aus Italien. Brief war schnell geschrieben und versendet mit Hilfe eines vertrauenswürdigen Boten.

Ungeduldig wartete ich zwei Wochen, bis er endlich anreiste und sich um Emy kümmerte. Ich hoffte so sehr, dass es ihr bald besser gehen würde.

„Können Sie ihr etwas verschreiben? Wir wollten in zwei Tagen verreisen."

Ich sprach mit Absicht nicht davon, wo wir geplant hatten hinzuziehen, denn die Gefahr bestand noch immer, dass uns jemand folgte.

„Ich kann Ihnen davon nur abraten, Segnora Ketlin. Ihre Zofe -" Ich unterbrach ihn.

„Freundin. Sie ist meine Freundin", sprach ich harsch und sah ihn mit einem ermahnenden Blick an. Sie war viel mehr als meine Zofe.

„Aber natürlich... Ihre Freundin ist sehr schwach und die Anzeichen sind deutlich, Segnora. Der Schwarze Tod hat Ihre Freundin befallen und ich sehe leider keine Hoffnung mehr für sie." Etwas zog sich wie ein Stich in mein Herz, doch ich musste mich zusammenreißen. Für Emilia. Voller Mitleid sah er mich an, bis ihm etwas in den Sinn zu kommen schien. „Ich bin überrascht, dass Ihnen nicht das gleiche Schicksal zu drohen scheint. Aber sicherlich hat es was mit Ihrer besonderen Gabe zu tun nicht war? Sie sehen noch genauso jung und erholt aus wie vor vier Jahren."

„Ich denke nicht, dass es ein passender Zeitpunkt ist um über mich, geschweige denn über meine Gabe zu sprechen. Tuen Sie, was Sie tuen können, damit es meiner Freundin wenigstens ein bisschen besser geht", etwas leiser fügte ich hinzu, „Ihre letzten Tage sollen die schönsten ihres Lebens sein."

***

Bereits eine Woche später, hat mir der Tod erneut eine geliebte Seele genommen. Emy ist an einem Dienstag im Winter gestorben. Ich habe ihre letzten Tage versucht so schön wie möglich zu gestalten, doch hatte es nichts gebracht. Der Schwarze Tod hatte ihren gesamten Lebenswillen genommen, so dass sie nicht einmal mit mir gesprochen hatte. Essen hatte sie verweigert und auch die Bücher, die ich ihr vorgelesen hatte, hatte sie ignoriert.

Emy ist nun an einem besseren Ort, da bin ich mir sicher. Meine Mutter und mein Vater warten bereits dort auf sie und vielleicht sogar ihre eigene Familie. Ihr ganzes Leben lang, hat sie für meine Familie gearbeitet. Ich hoffe, dass zumindest ihre letzten vier Jahre, hier mit mir in Frankreich, ihr ein wenig gefallen hatten. Ich würde es ihr wünschen.

***

„Und das Grab soll erhalten bleiben? Was ist wenn die neuen Käufer dies nicht akzeptieren?", fragte der Mann vor mir erschüttert, doch ich blieb hartnäckig.

„Das Grab bleibt da wo es ist und falls es den neuen Herren des Hauses nicht gefallen sollte, dann können sie auch hier nicht wohnen bleiben. Es ist noch immer mein Anwesen und ich entscheide wer hier begraben liegt und wer nicht."

Ich würde es niemals zu lassen, dass jemand Hand an das Grab meiner besten Freundin legt. Ich habe sie unter unseren zwei Bäumen begraben lassen, genau in der Mitte. Sie würden Emy Schatten spenden und Kraft geben, wenn sie dort, wo sie jetzt war, nicht zurecht kommen sollte.

„Nun, Segnora, es ist gewiss Ihr Haus. Ich werde es dem Herren del Alba ausrichten." Der Mann verneigte sich vor mir und wollte schon wieder weggehen, bis ich ihn aufhielt.

„Meinen Sie Fernando del Alba?" Bei seinem Namen lief es mir kalt den Rücken runter.

Der Mann wirkte erstaunt. „Sie kennen den Segnore?"

„Ja. Wir.. Wir sind alte Bekannte." Sollte ich zulassen, dass er das Haus bekommt? Was wenn er alles zerstört?

„Richten Sie ihm bitte aus, dass alles so bleiben soll wie es ist. Er kann das Haus haben. Ich verkaufe es ihm, wenn er mir nur dieses Versprechen gibt, alles so zu lassen, wie es ist."

***

Nur einige Stunden später, befand ich mich auf einem Schiff in Richtung England und meine Reise würde weiter gehen.

Curse or Blessing - It beginsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt