Meine Augen weiteten sich vor Schock und ich wachte aus meiner Trance. Ich wollte ihn nicht küssen und ich erwiderte den Kuss auch nicht. Die anfängliche Zuneigung, welche ich empfunden hatte, war verschwunden. Die Vertrautheit fühlte ich nicht mehr und vor mir stand nicht länger mein Verlobter, sondern ein vollkommen Fremder für mich. Schnell stieß ich ihn von mir und schaute erschrocken zu ihm auf. In seinem Blick lag Verwunderung und ein Hauch von Schmerz. Ich hatte ihn verletzt, das war mir klar. Nur besser erfuhr er jetzt, dass ich nichts für ihn empfand, als erst nach unserer Vermählung. „Fernando... Ich kann das nicht. Tut mir leid.", stammelte ich und sah ihn entschuldigend an. „Bitte sag doch etwas.", ich fasste seinen Arm doch er drehte sich weg. „Jeder braucht einen Partner, Ketlin. Egal ob man es will oder nicht. Es soll das ewige Leben erträglicher machen, also finde dich besser damit ab.", waren seine letzten Worte und er ging davon.
Ich blieb noch eine Weile dort stehen, um seine Worte zu verarbeiten. Irgendwann fing es an zu regnen, doch es störte mich nicht. Dann kam Emy mit einem Schirm legte einen Umhang um meine Schultern und wir gingen in das Anwesen.
Dort angekommen, trafen wir auf meine Mutter, die mich entsetzt ansah. „Ketlin, mein Liebes, was habe ich denn da gesehen?" „Nichts was von belangen ist, Mutter.", ich wollte einfach nur auf mein Zimmer, doch sie versperrte mir den Weg. „Und ob es von belangen ist!", sie fing an zu schreien. „Was fällt dir nur ein, diesen Mann von dir zu stoßen und ihn einfach gehen zu lassen? Er ist dein Verlobter!" „Ich liebe ihn aber nicht!", sagte ich kleinlaut, denn ich traute mir nicht, meine Mutter anzuschreien, wie sie es gerade mit mir tat. Sie schnaubte abfällig. „Liebe? Denkst du ich habe deinen Vater vor unserer Vermählung geliebt? Ich kannte ihn nicht mal, doch du hattest wenigstens dieses Privileg. Doch nach all den Jahren konnte ich mir nach einer Zeit keinen anderen Mann an meiner Seite vorstellen.", ihr Ton wurde ruhiger, sanfter, als sie begann in ihren Erinnerung zu schwelgen. Aber ihr ernster Gesichtsausdruck blieb. Sie war wütend auf mich und ich verstand sie in einer Weise. In den Augen meiner Mutter war Fernando der perfekte Mann für mich, aber leider nicht in meiner Vorstellung. Nur bereitete sein letzter Satz mir Sorgen. Ich solle mich damit abfinden, dass jeder einen Partner haben muss. Aber was wenn ich keinen haben will? Oder jedenfalls nicht ihn. All die Jahre war ich immer nur alleine und hatte keine Freunde. Damit bin ich sehr gut zurecht gekommen, ich hatte ja schließlich meine Bücher und Romanhelden. Ich brauchte nie viele Sozialkontakte, außerdem habe ich Emy. Meine Zofe ist immer an meiner Seite, ob sie es nun muss oder will, tut gar nichts zur Sache. Für mich ist sie meine beste Freundin und alles was ich brauche. „Aber Mutter, mir ist es wichtig, dass ich einen Manne heirate, den ich liebe. Vor der Vermählung.", sagte ich verzweifelt und meine Mutter sah mich sanft an. Der harte Gesichtsausdruck war verschwunden. „Ich weiß, ich weiß, mein Kind. Aber wir leben in einer Zeit, wo uns diese Entscheidung nicht gegönnt ist. Aber du wirst ewig leben, mein Schatz. Irgendwann wirst auch du einen Mann finden, den du liebst. Sei es nun Fernando oder nicht. Wer weiß was in der Zukunft alles passieren kann." Bei dem letzten Satz zwinkerte sie mir zu und gab mir einen Kuss auf die Wange. Was soll denn das nun schon wieder heißen? Meinte sie damit, dass ich Fernando in der Zukunft einfach umbringen soll, damit ich meine Ziele erreichen kann?
Ich schaute sie perplex an und wusste nun wirklich nicht mehr was ich machen sollte. Ich lies sie da stehen und ging nach oben in meine Gemächer. Meine eigenen Zimmer wirken schon immer beruhigend auf mich und ich werde mir etwas überlegen müssen, damit es niemals zu dieser Hochzeit kommen wird. Es ist wirklich das Letzte, was ich mir wünschen würde. Eine Hochzeit mit einem Manne, den ich nicht liebte. Ich setzte mich auf mein Bett, sog noch mal den Geruch von meinem Zimmer ein. Den Duft von meinen alten Büchern, die von überall auf der Welt ihren Weg hier her gefunden haben. Vater brachte mir immer neue mit, wenn er auf Reisen war. Gestern Abend hat er uns wieder mal verlassen, um neue Geschäfte abzuschließen. Ich freute mich, wenn ich nachdachte welches Buch er mir diesmal mit brachte. Einen bulgarischer Roman? Ja, mein Vater war zur Zeit in Bulgarien unterwegs. Wie es dort wohl aussah? Ob man mit dem Schiff dort hin musste? Wie gerne ich doch auch ein mal verreisen würde, am liebsten über die See. Ich stellte mir es gerade vor, wie es sein musste auf so einem mächtigen Ozeanriesen einfach alles hinter sich zu lassen und die Welt zu erkunden. Ich ließ mich in mein Bett sinken und schlief ein.
Am nächsten morgen wurde ich von den grellen Sonnenstrahlen geweckt, welche Emy durch das Öffnen der Vorhänge hereinließ.
„Guten morgen, Segnora." „Morgen.", gähnte ich, während ich mich streckte und aufsetzte. „Steht heute irgendetwas besonderes an?", sie schüttelte nur den Kopf, als sie mir nebenbei meine Garderobe für heute zurecht legte. „Soll ich ihnen beim Anziehen behilflich sein?", „Das wäre sehr großzügig.", lächelte ich Emy an. Ich strahlte als ich die Kleider für heute sah. Sie kannte mich nur zu gut.
Ich betrachtete mich noch einmal kurz in dem Spiegel und trat dann mit meiner Zofe zum Frühstück. Dort saß bereits meine Mutter und nippte an ihren Tee. Sie begrüßte uns herzlich. Emy verbeugte sich noch kurz und widmete sich dann wieder ihren täglichen Aufgaben. Während des Essens sprachen wir nicht viel. Das war bei uns aber auch nicht unüblich. Danach stand ich auf, begab mich mit einen meiner Bücher in den Garten und ließ mich auf der Bank vor dem See nieder.
Ich war bestimmt Stunden in mein Buch vertieft. Nach einer Weile bemerkt ich, dass jemand vor mir stand. Emy.
„Segnora Ketlin?" „Mhm?", sie hatte einen mitleidigen Blick. Das bedeute nichts gutes. Sie trat ein paar Schritte auf mich zu. „Ihr Vater..", Emys Stimme war gebrechlich. „Was ist mit ihm?", sie wich meinen Blicken aus. „Nein. Nein, das kann nicht sein!", ich rannte aus den Garten, rein in den Salon, dort traf ich auf meine Mutter, welche einen Brief in der Hand hielt und sich mit der anderen ihren Mund zu hielt. „Mutter?", auch jetzt wurde meine Stimme schwach und gebrechlich. Ich ging schnellen Schrittes auf sie zu. „Mein Liebes.", sie stand auf und umarmte mich inniglich. „Wir müssen jetzt beide für einander da sein.", sie hob mein Kinn an und sah mir tief in die Augen. Wir haben nur noch uns."
Meine Welt zerbrach in alle Einzelteile. Mein geliebter Vater würde nicht mehr zurück kehren, aber warum? „Was ist geschehen?", war daher meine Frage. Meine Mutter stieß ein leises Wimmern aus, womit sie mir unumgänglich Tränen in die Augen brachte.
„Auf dem Weg nach Bulgarien wurde seine Kutsche überfallen. Sie wollten nur die goldenen Verzierungen und alles was einen Wert hatte."
Räuber... Immer habe ich von Räubern gehört, welche wohlhabende Reisende überfallen, aber ich hätte niemals vermutet, dass dies mal meiner Familie passieren würde. Immer schon träumte ich davon, zu verreisen, nur bin ich mir diesem Wunsch nicht mehr so sicher.
Ich wollte meiner Mutter nicht mehr weiter zu hören, so ging ich wieder in meine Gemächer. Emy folgte mir schnell, doch ich schickte sie wieder weg. Allein sein, ist alles was ich möchte.
Bis in den nächsten Morgengrauen saß ich da und dachte nach. Wenn ich hier bleibe, dann müsste ich Fernando heiraten, da wir einen Manne in der Familie brauchen. Eine Witwe und ihre Tochter ohne einen Mann sind in der Gesellschaft sehr weit unten platziert.
Wieder ließ ich meinen Blick über meine gesamten Bücher schweifen. Allesamt hat mir mein Vater mitgebracht und nun sollte ich ihn nie wieder sehen. Alles hier erinnerte mich an ihn.
Ohne das ich es verhindern konnte, traten mir die Tränen in die Augen. Ich könnte hier nicht bleiben. Nicht in dem Haus, wo mich mein über alles geliebter Vater großgezogen hat. Ich würde abhauen. Heute noch.
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Curse or Blessing - It begins
Teen FictionMein Leben war nicht immer einfach. Es hatte gute und es hatte schlechte Tage. Mir wurden Steine in den Weg gelegt und ich habe sie meist erfolgreich aus dem Weg geschafft. Ich habe gelernt zu leben und mit meinem Ich klar zu kommen, auch wenn es ni...