Kapitel 10

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May

Schon am nächsten Tag wurde Ryan wieder entlassen. Allerdings legten die Ärzte ihm ans Herz, einen Psychologen aufzusuchen. Komisch, als meine Großtante mal versucht hatte sich umzubringen, wurde sie gleich in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Na ja, ich konnte sie eh nie ausstehen. Trotzdem wäre vielleicht besser, sie hätten es mit Ryan genau so gemacht.
Er hatte mir zwar erzählt, wie das mit Corey abgelaufen war und auch, dass er seinen Job hingeschmissen hatte, aber deshalb gleich sowas zu machen? Ich hoffe einfach, dass ich ihm dabei helfen kann, glücklicher zu werden. Dann müsste er auch nicht mehr dieses ganze Zeug in sich rein pumpen. Und als ich so auf der Couch lag und über alles nachdachte, spürte ich plötzlich, wie sich jemand auf mich legte.
„Aua, Ryan! Du bist zu schwer.“, ich musste lachen und presste den Kopf ins Sofakissen. Auch er musste etwas lachen und begann meinen Nacken zu küssen. Ich konnte die Wärme seines Atems spüren. Mit einem Seufzen entspannte ich mich und schloss die Augen. Seine Hände glitten sanft über meinen Körper. Mit einem Ruck drehte ich mich um 180 Grad, um ihn von mir runter, auf den Boden zu werfen. Verdattert blickte er zu mir hoch: „Das war unfair, Madame!“ Ohne zu antworten, setzte ich mich grinsend auf ihn und begann ihn zu küssen. Gott, wie ich diese Küsse liebte und ihn zu spüren... wie ich ihn liebte!
Immer stärker, presste ich meinen Körper an Ryans und vergrub die Hände in seinen Haaren, während seine Hände, wie immer, an meinem Hintern kreisten. Irgendwann hielt ich inne, um ihn anzusehen. Er lächelte mich an und hauchte leise: „Zieh dich aus.“ Ohne zu zörgern, zog ich mir grinsend das Oberteil über den Kopf und beugte mich wieder zu ihm runter. „Weißt du eigentlich, dass du wirklich die schönste Frau bist, die ich je gesehen habe?“, flüsterte Ryan und spielte mit einer Haarsträhne, die mir von der Stirn hing. Ein Kribbeln durchfuhr meinen gesamten Körper. Sowas schönes hatte noch nie jemand zu mir gesagt. Wieder konnte ich mir das Grinsen nicht verkneifen: „Danke, gleichfalls!“ Nachdem wir erneut begannen uns zu Küssen, riss Ryan mich herum, sodass er wieder auf mir lag, nur dass ich mich diesmal auf dem Rücken befand. Seine Zunge drang immer weiter in meinen Mund ein und ich spürte, wie er meine Jeans öffnete. Um nicht untätig zu bleiben, streifte ich sein Shirt hoch und zog es ihm aus. Doch als Ryan sich wieder runter beugte, um fortzufahren, blieb ich regungslos liegen.
Ich war wie erstarrt. Schockstarre. Lautlos begannen die Tränen von meinen Wangen zu kullern.
„H-Hey, was ist denn?! Hab ich was falsch gemacht?“, mein Blick galt wieder seinem Gesicht, das voller Panik war. Er hatte keine Ahnung, was mit mir los war. „N-Nein, es ist nur...“, die Worte wollten einfach nicht raus. Schluchzend blickte ich hoch zur Decke.
„May, bitte hör auf zu weinen.“, Ryan schloss die Arme um mich und drückte seine Nase in mein Haar, „Du weißt doch, ich kann es nicht ertragen, wenn du weinst.“ Langsam hatte ich mich wieder gefangen. Trotzdem konnte ich es ihm nicht sagen.
Plötzlich setzte er sich langsam auf und wandte den Blick von mir ab. Ohne ein Wort zu sagen, erhob er sich und verschwand in der Küche. Ich überlegte, ob ich ihm nachgehen sollte, entschied mich jedoch, noch kurz liegen zu bleiben. Immernoch steckte ein Kloß in meinem Hals. Scheiße, wie soll ich ihn je wieder ansehen können? Soll das jetzt jedes Mal so enden? Diese riesen Schnitte an seinem Oberkörper. Ich fragte mich, was es für Schmerzen gewesen sein mussten, als er sich sie zugefügt hatte. Obwohl, nein. Er stand mit Sicherheit eh unter irgendwelchen Opioiden.
Da öffnete sich die Tür und Ryan betrat wieder den Raum, den Blick gesenkt. Er kam langsam auf mich zu und blieb neben mir stehen: „Verdammt, was ist denn dein Problem, May?“ Sein Stimme war zwar ruhig, doch seine Wortwahl gefiel mir nicht. „Kannst du dir das wirklich nicht denken? Es ist doch so offensichtlich... Für mich jedenfalls.“, ich drehte ihm den Rücken zu. Am liebsten wäre ich jetzt woanders, egal wo, hauptsache woanders. Ich wusste, dass er mich anstarrte. Es war als würde sein Blick mich durchbohren. Aber er antwortete nicht, ich nahm nur seine tiefen Armenzüge wahr.  Langsam richtete ich mich auf, knöpfte meine Jeans wieder zu, griff nach meinem Oberteil, verkniff mir immer noch das Heulen.
„Ist das jetzt dein Ernst?!“, nun wurde Ryan lauter. „Was denn?“, ich würde ebenfalls laut und riss den Kopf zu ihm herum. Erst sah ich ihm fassungslos in die Augen, doch es ging nicht lange. Es erschien mir einfach unmöglich, nicht hinzusehen. Ich sackte zusammen und lehnte mich mit dem Kopf ans Sofa. „Warum bist du jetzt wütend?“, murmelte ich, doch das Zittern in meiner Stimme war nicht zu überhören. Er stieß einen verächtlichen Laut aus: „Ach Mensch, warum sollte ich denn wütend sein? Nein, nur weil du mich nicht ran lässt... Das ist doch nicht der Rede wert. Ist ja auch nicht so, als wären wir zusammen.“ Eine schauspielerische Glanzleistung seinerseits im Sarkastisch-Sein. „Ryan, hör auf! Was ist denn plötzlich los mit dir? Wenn du mir jetzt mitteilen willst, dass ich dazu verpflichtet bin, mit dir zu schlafen, nur weil wir ein Paar sind... D-Dann weiß ich echt nicht, was gerade in deinem Kopf abgeht!“, mein Herz schlug so heftig, als würde meine Brust explodieren. Meine Lippen zitterten.
Ryan sank auf die Knie, nun waren wir auf Augenhöhe. Ich sah Schweißtropfen auf seiner Stirn. Dann kippte er nach vorn und umarmte mich. Perplex legte ich die Hände auf seinen Rücken. Ich konnte seinen schweren Atem an meinem Ohr spüren. So saßen wir eine ganze Weile im Wohnzimmer. Niemand sagte mehr etwas, wir lagen uns einfach nur in den Armen.
Irgendwann löste Ryan sich von mir und meinte er wäre müde und wolle schlafen gehen. Ich nickte nur. Mein Blick fiel auf die Uhr. Kurz nach 17 Uhr. Da ich nur erahnen konnte, was mit Ryan los gewesen war, zückte ich mein Handy und wählte Coreys Nummer. Nach dem 4. Klingeln nahm er ab: „Ja?“
„Hey, ähm ist Sarah auch bei dir?“
„Ja, wieso?“
„Würdest du sie mir bitte mal geben?“
„Ok...“
Er überreichte Sarah das Handy.
„Was gibt’s?“
„Hättest du vielleicht kurz Zeit? Ich muss dich was fragen, aber alleine.“
Sarah stimmte zu und wir verabredeten uns.

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