Kapitel 5

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Weihnachtsabend in Hogwarts war normalerweise ein Fest der Freude und des Zusammenkommens, doch für Harry Potter war es ein Abend der Einsamkeit und des Ausschlusses. Die große Halle war festlich geschmückt, lange Tische waren zu einem einzigen großen Tisch umgestellt worden, an dem Schüler und Lehrer gemeinsam speisten. Kerzen schwebten in der Luft und tauchten den Raum in ein warmes Licht, das in krassem Gegensatz zu Harrys Stimmung stand. Neben Professor Snape saßen Madame Pomfrey, Professor McGonagall, Professor Dumbledore und Professor Sprout, und etwa fünfundzwanzig Schüler füllten die verbleibenden Plätze, die meisten von ihnen aus den höheren Jahrgängen. Harry fand sich notgedrungen seinem Vater, Severus Snape, gegenüber wieder, einem Umstand, der ihn unwohl fühlen ließ und seine Isolation nur verstärkte. Um ihn herum herrschte eine Atmosphäre ausgelassener Fröhlichkeit. Lachen und angeregte Gespräche füllten die Luft, während die Schüler und Lehrer in den Genuss des festlichen Essens kamen. Doch niemand wandte sich Harry zu, niemand sprach mit ihm. Es war, als wäre er unsichtbar, ein Geist an einem Tisch voller Lebender.

»Ein wunderbarer Truthahn, nicht wahr, Minerva?«, hörte Harry Professor Dumbledore sagen, seine Augen funkelten hinter der Halbmondbrille.

»Ohne Zweifel, Albus«, erwiderte Professor McGonagall, ein Lächeln umspielte ihre Lippen.

»Hogwarts übertrifft sich jedes Jahr aufs Neue.« Madame Pomfrey fügte hinzu: »Und nicht zu vergessen die köstlichen Kürbiskuchen. Es ist wirklich ein Fest für die Sinne.«

Während der Gespräche und des Gelächters fühlte sich Harry mehr und mehr wie ein Außenseiter. Sein Blick schweifte immer wieder zu Snape, der ab und zu mit seinen Kollegen sprach, aber nie den Blick zu Harry hinüber wandte. Es gab keine Worte des Trostes, keine Geste der Zugehörigkeit. Harrys Herz wurde schwer, und das Gefühl der Einsamkeit drückte immer stärker auf ihn. Das Essen vor ihm blieb nahezu unberührt. Der Lärm um ihn herum, das Lachen und die Freude der anderen, es machte ihm nur umso deutlicher, wie allein er wirklich war. Seine Gedanken kreisten um Adam und Taylor, wie sie wohl gerade den Abend verbrachten, sicher umgeben von Wärme und Liebe, alles, was Harry in diesem Moment so sehr vermisste.

Schließlich, als das Dessert serviert wurde und die Unterhaltungen noch lauter wurden, stand Harry leise auf. Niemand bemerkte sein Fortgehen, niemand hielt ihn auf oder fragte, wo er hinging. Mit gesenktem Kopf und einem Gefühl der Niederlage schlich er sich aus der großen Halle.

Die Korridore von Hogwarts waren still und leer, ein scharfer Kontrast zu der festlichen Stimmung, die er gerade verlassen hatte. Jeder Schritt hallte in der Stille wider, ein ständiger Begleiter seiner Einsamkeit. Als er sein Zimmer erreichte, ließ er sich auf das Bett fallen, die Tränen, die er die ganze Zeit zurückgehalten hatte, begannen nun zu fließen. Es gab keinen Trost, keine freundlichen Worte, nur die erdrückende Stille und die Gewissheit, dass er an einem Ort, der sein Zuhause sein sollte, so fremd und unerwünscht war.
Am Weihnachtsmorgen wurde Harry durch das murmelnde Stimmengewirr und den süßen Geruch von Kakao sanft aus seinen unruhigen Träumen geweckt. Er lag einen Moment lang still, die Augen geöffnet, und lauschte den fröhlichen Lauten, bevor er sich schließlich aufraffte, sich anzuziehen und in den Gemeinschaftsraum der Slytherins zu gehen. Die fünf Schüler aus dem sechsten und siebten Jahr, die über die Ferien in Hogwarts geblieben waren, hatten sich um den Weihnachtsbaum versammelt und öffneten lachend und laut redend ihre Geschenke. Harry blieb einen Moment am Eingang stehen und beobachtete sie, sich der Tatsache schmerzlich bewusst, dass für ihn kein Geschenk warten würde. Es war nichts Neues für ihn, noch nie hatte er zu Weihnachten ein Geschenk erhalten. Seine Vermutung bestätigte sich, als sein Blick auf seine eigene Socke fiel, die leer neben dem Kamin auf dem Boden lag.

Während er dort stand, verloren in seinen Gedanken und dem Gefühl von Einsamkeit, sprach ihn eines der Slytherin-Mädchen an. Sie hieß Alice und war im sechsten Jahr, mehr wusste Harry nicht.

Echo der EinsamkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt