26 | BOB

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Beide zucken bei meinen Worten heftig zusammen und stieben auseinander. Wie zwei aufgescheuchte Rehe schauen sie mich an. Meine Freundin und mein bester Freund. Die eben noch dicht beieinander saßen, im Dunkeln, als teilten sie ein Geheimnis. Man muss kein Detektiv sein, um diese Situation zu deuten.

»Was genau wollt ihr mir sagen?«, wiederhole ich meine Frage, meine Stimme klingt fremd und distanziert, als würde sie nicht mir gehören.

Sie tauschen einen Blick aus, ein kurzer, intensiver Moment, geprägt von stummer Verständigung und unausgesprochenen Worten. Kaum vorstellbar, dass sich die beiden, die jetzt einträchtig nebeneinander sitzen, gestern Abend in einer hitzigen Diskussion beinahe die Köpfe eingeschlagen hätten.

Es ist Ivete, die schließlich den Mut aufbringt, die bedrückende Stille zu durchbrechen. »Wir müssen dir etwas sagen, Bob. Bitte setz dich, es ist wichtig.«

Die Worte verheißen nichts Gutes. Ich spüre, wie mir der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Langsam schüttle ich den Kopf. Wenn ich mich jetzt bewege, verliere ich nur das Gleichgewicht. Ich habe ohnehin das Gefühl, mitten in einem Hurrikan zu stehen.

»Ich bleibe lieber stehen«, antworte ich tonlos.

Sie werfen sich erneut einen bedeutungsschweren Blick zu, der mehr sagt als tausend Worte.

»Wir haben uns geküsst«, sagt Ivete leise.

Die Wahrheit bricht über mich herein, unerbittlich, unaufhaltsam. Für einen kurzen, endlosen Moment fühle ich wirklich, wie mein Gleichgewicht ins Wanken gerät, als wäre der Boden unter meinen Füßen nichts weiter als dünnes Eis. Die Stille zwischen uns ist ohrenbetäubend. Ich blinzle einmal, zweimal. Mein Gehirn weigert sich, diese Information zu verarbeiten.

Dann bricht ein ungläubiges Lachen aus meiner Kehle und die Erkenntnis breitet sich wie ein dunkler Schatten in mir aus. Ich hatte schon seit einiger Zeit einen Verdacht, dass zwischen Peter und Ivete etwas passiert sein musste. Vor allem nach Peters emotionalem Ausbruch gestern Abend und Ivetes zurückhaltender Reaktion, als sie in die WG zurückgekehrt war. Ich hätte auf so vieles getippt, auf so viele mögliche Szenarien. Aber das ... Peter und Ivete? Ein Kuss?

»Ihr habt euch geküsst?«, wiederhole ich langsam. »Warum? Wann?«

Peter holt tief Luft, als wolle er ins kalte Wasser springen. »Nach der Gala. Ich ... es war nicht geplant, es ist einfach ... passiert.«

Ungläubig starre ich ihn an. »Einfach passiert? Willst du mir jetzt ernsthaft erzählen, dass du mit meiner Freundin rumgeknutscht hast, während sie K.-o.-Tropfen intus hatte?«

Kaum sind mir diese Worte über die Lippen gekommen, wird mir bewusst, welchen Verdacht ich da andeute. Doch es ist zu spät, sie zurückzunehmen oder ungesagt zu machen.

Ivete holt scharf Luft, springt auf und stellt sich zwischen Peter und mich. Als wolle sie ihn vor mir beschützen. »Bei allem Respekt, aber sei nicht so unfair!«, fährt sie mich an. »Du weißt doch ganz genau, dass Peter so etwas nie und nimmer tun würde! Offensichtlich war ich in der Situation noch wach genug, um mitzumachen. Aber er hat das bestimmt nicht ausgenutzt!«

Ich starre Ivete und Peter an, während meine Welt gerade aus den Fugen gerät. Wut brodelt in mir, begleitet von einem seltsamen Schmerz, der sich wie eiskaltes Wasser durch meine Adern zieht. Ein Teil von mir möchte schreien, Dinge werfen, die beiden für das, was sie getan haben, anschreien. Der andere versucht krampfhaft, einen logischen Schluss aus dem gehörten zu ziehen.

Ivete und Peter haben sich geküsst. Nach der Gala. Wie kam es zu dazu? Und ist vielleicht noch mehr passiert, von dem ich nichts weiß? Tief in mir spüre ich eine tiefe Reue, weil ich Peter etwas unterstellt habe, was er tatsächlich niemals tun würde. Das weiß ich. Und ich sehe ihm an, wie sehr ihn meine Worte verletzt haben. Aber zu einer Entschuldigung oder irgendetwas, was meine Worte relativiert, bin ich gerade nicht in der Lage. Nicht jetzt, wo die Wut in mir tobt.

»Warum?«, frage ich noch einmal, meine Stimme ein scharfes Flüstern. »Die Gala war vor 14 Tagen! Warum erzählt ihr mir das erst jetzt? Warum wartet ihr so lange darauf?«

Ich drehe mich zu Peter um und schaue ihn direkt an. Auch er steht jetzt neben dem Sofa und sieht aus wie ein Häufchen Elend.

»Du hattest so viele Gelegenheiten, mir die Wahrheit zu sagen, Peter! Immer und immer wieder habe ich dich darauf angesprochen. Stattdessen hast du mir immer wieder versichert, dass 'nichts' wäre. Willst du mich eigentlich verarschen?«

»Es tut mir leid, Bob. Es war ein Fehler.«

Ein Fehler. Das Wort hallt wie ein Spottgesang in meinem Kopf wider. Ich atme tief durch und versuche, mich zu beruhigen, aber es ist zwecklos. Jedes Mal, wenn ich blinzle, sehe ich sie vor mir, wie sie sich küssen. Wie konnte das passieren? Wie konnte ich so blind sein?

»Bitte, Bob, es ist nicht so, wie du denkst!«

Mir entweicht ein ungläubiges Lachen. »Ach ja? Was soll ich denn denken?« Die Worte schmecken bitter auf meiner Zunge. »Dir ist schon klar, dass ein Spruch in der Regel immer genau das bedeutet, was er aussagt?«

Peter lässt die Schultern hängen. »Lass es mich bitte erklären ...«

»Versuch es gar nicht erst«, fahre ich ihn an und merke selbst, wie hart meine Worte sind.

Er zuckt zusammen, als hätte ich ihm ins Gesicht geschlagen. Seine Reaktion verschafft mir eine merkwürdige Genugtuung. Es tut weh, dass er mich so hintergangen hat. Was auch immer zwischen den beiden vorgefallen ist, Peter bleibt mein bester Freund. Mein bester Freund, dem ich so oft mein Leben anvertraut habe. Derjenige, dem ich nie zugetraut hätte, so eine Tour zu machen, weil er der ehrlichste und loyalste Mensch ist, den ich kenne. Alles fühlt sich falsch an. Die beiden Personen, denen ich am meisten traute, haben mich betrogen.

»Bob ...«, beginnt er und macht einen Schritt auf mich zu. Aber ich hebe eine Hand und weiche zurück.

»Nein«, sage ich leise. »Ich kann das jetzt nicht.«

Er hält inne, und ich sehe den Schmerz in seinen Augen – ein Spiegelbild meines eigenen inneren Aufruhrs.

»Ich muss hier raus«, sage ich und meine Stimme klingt fremd in meinen Ohren.

»Bob ...«, beginnt nun auch Ivete.

Aber ich achte nicht mehr auf sie - auf keinen von beiden. Meinen besten Freund und meine Freundin, die mir jetzt wie Fremde vorkommen. Mit festen Schritten gehe ich in mein Zimmer zurück und schließe die Tür hinter mir. In Windeseile ziehe ich mich an, schlüpfe in die bequemsten Sachen, die ich finden kann, und greife nach meiner Umhängetasche. Als ich mein Zimmer wieder verlasse, stehen die beiden immer noch da, wie ich sie zurückgelassen habe, regungslos und stumm, wie zwei Statuen, die von ihrer eigenen Hilflosigkeit zeugen.

»Bob, warte!«, ruft Ivete und es klingt verzweifelt. »Wo willst du hin?«

»Weg! Ich muss hier einfach weg.«

Die Worte hallen noch nach, als ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen lasse und mit schweren Schritten in den kalten, dunklen Flur trete.


Unbekannter Gegner (Drei Fragezeichen Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt