Teil 14

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Noras POV

Durch die Stimmen auf dem Flur wachte ich wieder auf.

„Was läuft da zwischen euch?", fragte John, was mich hellhörig machte. „Wie bitte?" „Ich hab ihren traurigen Blick gesehen, als Sie vorhin weggegangen sind. Sie wissen, dass Sie viel zu alt für Nora sind?" Shit, war es so offensichtlich, dass ich Tim mag? „Sie bilden sich da etwas ein. Zwischen mir und Nora läuft nichts..." Mehr konnte ich nicht mehr hören. Vor meinen Augen verschwamm alles und ich konnte nur noch die schönen Erinnerungen sehen, die ich mit Tim teilte. All die schönen Momente, als er mich berührte oder mich ansah, bedeuteten ihm nichts? Weshalb hat er dann so viel für mich getan? Wieso hat mir Tim bloß das Gefühl gegeben, ich wäre etwas besonderes? Etwas besonderes für ihn.

Eine Träne kullerte meine Wange herunter. Ich bedeutete ihm nichts...

Jetzt wusste ich wenigstens woran ich bin.

Ich werde nie wieder mit diesem Arschloch reden. Er kann sich gern in sein hässliches Haus verkriechen und hier nie wieder auftauchen. All die Erinnerungen verschwammen, bis wieder die negativen hervorkamen. Wäre meine Mutter noch da, hätte ich sie in so einem Moment nie wieder loslassen wollen. Sie hätte meine Tränen weggewischt und mir Liebe geschenkt. Sie hätte versucht, mich zum Lachen zu bringen, damit ich wieder einschlafen konnte. Sie hätte mir nie das Herz gebrochen.

Ich konnte jetzt nicht mal zu John gehen, denn er würde mich nicht verstehen. Außerdem wollte ich nicht, dass er meinetwegen Stress mit seinem Kollegen hat. Ich war wieder alleine. Wie seit langem.

Meine Tränen hörten gar nicht erst auf, meine Wangen herunterzufließen. Jedoch machte ich keinen einzigen Ton. Ich konnte nicht schluchzen und auch nicht schreien. Ich lag nur stumm in meinem Bett und hoffe darauf, dass all meine Emotionen durch die Tränen meinen Körper verlassen.

Ich hörte, wie sich die Haustür schließt. Er war weg. Ich wollte ihn nie wieder sehen und nie wieder seine raue, tiefe, warme Stimme hören.
Zum ersten Mal seit langem war ich wieder etwas glücklich. Ich konnte nichts vergessen, aber dafür hatte ich mich gewollt gefühlt. Ich wusste, dass mich John auch liebt, ich liebe ihn schließlich auch. Nur liebt er mich, weil ich in seine Familie adoptiert wurde. Ich dachte, es gäbe jemanden, der mich für mich liebt und nicht durch andere Umstände.

Ich möchte meine Augen schließen, doch selbst das verbessert nichts. Ich wusste nicht was ich tun kann, damit ich nicht mehr leiden muss. Was habe ich bloß falsch gemacht, dass ich so ein Leben bekommen habe? Ich war doch kein schlechter Mensch.

Am nächsten Morgen schienen die Sonnenstrahlen durch meine Jalousien. Sie wärmen mein Zimmer auf. Ich möchte diese Wärme auf meiner Haut und in meinem Herzen spüren. Doch ich konnte mich nicht mal bewegen, damit sie meine Haut berühren können. Nicht mal dazu bin ich im Stande.

Ich fühlte mich taub. So als hätte man all die Energie und Emotionen aus meinem Körper ausgesaugt. Ich fühlte mich nicht mehr wie ein Mensch, sondern mehr wie eine Puppe. Ich existierte einfach nur, damit John nicht traurig wird. Das war der einzige Grund, weshalb ich noch lebe. Einen anderen Grund gab es nicht, oder?

Die Tür öffnete sich und John kommt mit einem Tablett an mein Bett. Er hatte extra für mich Pencakes gebacken. Daneben stand noch ein Nutella Glas und Kamillien Tee. Mein Lieblings Frühstück. Ich würde ihn gern umarmen, dafür, dass er sich immer so viel Mühe macht, um mich glücklich zu sehen. Doch ich konnte mich nicht bewegen. Nicht mal meine Mundwinkel konnte ich bewegen. Ich fühlte mich gefangen in einem Körper, in dem ich nicht sein möchte. Ich möchte schweben und gemeinsam mit John von hier wegfliegen. Irgendwohin, wo uns keiner stören kann und wir einfach unsere Freiheit genießen können. Ohne Sorgen und ohne Leid.

„Nora, rede mit mir", sagte John mit ernster Stimme. Ich schaute ihn an und sehe sein besorgtes Gesicht. Doch ich konnte mich nicht rühren. Ich wünschte, ich könnte mich bei ihm ausweinen und ihm alles erzählen, doch das konnte ich nicht. Ich versuchte seinen Blick zu meiden, doch er fasste mich ans Kinn und zwingt mich damit, ihn anzusehen. Ich konnte seine Trauer und seine Verzweiflung in seinen Augen erkennen, doch er konnte bei mir nichts erkennen. Ich war so gut wie tot. Durch Tim ist alles in mir zusammengebrochen. Jetzt konnte mich nicht mal mehr John retten.

Ich konnte John kaum hören, obwohl er die ganze Zeit versucht mit mir zu reden. Was war bloß los mit mir? John legt das Tablett auf meinen Nachttisch und rannte aus meinem Zimmer heraus. Ich schloss meine Augen und versuche wieder zu schlafen.

Ein Rütteln weckte mich aus meinem Albtraum auf. Selbst in meinem Albtraum hatte ich mich nicht so miserabel gefühlt, wie jetzt.
Diesmal saß nicht John an meiner Bettkante, wie erwartet, sondern Tim. Wieso ist er wieder gekommen? Ich hob meinen Brustkorb und versuchte Luft zu holen, doch meine Lunge ist wie zugeschnürt. Ich bekam keine Luft mehr und schaute panisch zu John. „Nolan, was ist mit ihr?" „I-Ich weiß es nicht, heute morgen wollte ich ihr Frühstück bringen und sie hat sich kaum geregt." „Scheiße. Nora, ...." Tim redete mit mir aber ich konnte ihn nicht hören. Langsam verschwamm meine Sicht und ich sehe meine Mutter, wie sie mir ihre Hand ausstreckte. Ich streckte meine Hand nach ihr aus. Um mich herum war eine Wiese. Die Bienen summten und die Sonnenstrahlen trafen auf meine Haut. Ich wollte gerade die Hand meiner Mutter nehmen, als ich wieder zu Bewusstsein kam.

Ich lag im Krankenhaus und John, Tim und sogar Evelyn standen um mein Bett. „Sie ist wach", sagte Evelyn. „Nora Schatz, was war los?", fragte Evelyn mich, doch die einzige Person auf die ich mich konzentrieren konnte ist Tim. Er hielt meine Hand und so besorgt habe ich ihn noch nie gesehen. Er drückte leicht meine Hand und ich tue es ebenfalls. Doch in dem Moment erinnerte ich mich wieder an das, was er zu John gesagt hat und zog meine Hand wieder weg. „Nora." „Ich will dich nie wieder sehen", schrie ich ihn schon fast an. Ich konnte meine Emotionen nicht mehr zurück halten und ließ zu, dass ich vor allen anfing, zu weinen. „Ich hasse dich! Du hättest nie in mein Leben kommen sollen. Ich will deine scheiß Visage nicht mehr sehen. Hau ab!", schrie ich mit all meiner Kraft. Der Herzmonitor neben meinem Bett piepte laut in schnellem Rhythmus. Im nächsten Moment kamen drei Krankenschwester in das Zimmer hinein und versuchten mich zu beruhigen, doch ich konnte nicht aufhören Tim anzuschreien. „Wieso gehst du nicht endlich? Du hast alles kaputt gemacht!", weinte ich weiter. Ich stützte mich an meiner Bettkante ab und versuchte aufzustehen, um ihn zu schlagen und von mir wegzuschieben. Meine Beine konnten mich für ein paar Sekunden halten, doch dann fiel ich hin. Tim versuchte mich zu stützen und mich wieder auf das Bett zu tragen, doch ich wehrte mich. Ich wollte nicht, dass er mich je wieder anfässt. John löste sich aus seiner Starre und hielt Tim von mir fern. Zusammen gingen die beiden raus und hinterließen mich mit Fremden und meiner Adoptivmutter, die kaum für mich da war. Ich konnte  kaum fassen, dass ich gerade die einzige Person angeschrien habe, die mein Gefühlschaos noch in Ordnung bringen könnte.

Doch für ihn war ich bloß Johns Adoptivschwester, deshalb wollte ich gar nicht, dass er mir hilft. Zwei Krankenschwester halfen mir hoch und mit deren Hilfe konnte ich mit meinen Beinen ein paar Schritte bis zu meinem Bett gehen. Ich konnte wieder gehen...

𝓟𝓻𝓸𝓽𝓮𝓬𝓽𝓲𝓸𝓷 - Tim BradfordWo Geschichten leben. Entdecke jetzt