Vertrauen

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Ich kann nicht anders, meine Augen starren dich an. Wie du neben ihr stehst, sie berührst, ihr zulächelst und doch wirfst du mir verstohlene Blicke zu. Ich sehe es, Dante und möchte am liebsten augenblicklich sterben. Ein riesiger Teil in mir wollte dich am liebsten nie wieder sehen, diesen Schmerz nie wieder spüren...doch dieser winzige Teil, der mein Herz weiterhin am Leben hält, schreit nach dir. Ist dankbar, dich, auch wenn es nur aus der Ferne ist, betrachten zu dürfen, selbst wenn diese Schlange an deinem Arm hängt.

Das Buffet ist schon seit langem eröffnet, die Gäste feiern ausgelassen, sind in Gespräche vertieft, einige tanzen auf der freien großen Fläche, während die kleinen Pinguine, die Nik extra einbestellt hat, geschäftig mit ihren Tabletts durch die Menge huschen und Bestellungen servieren. Im Grunde ist es eine perfekte Feier, wenn DU nicht da wärst!

Erneut blicke ich in deine Richtung, während du dich zu ihr beugst und etwas in ihr Ohr flüsterst. Sie lächelt...verdammt wieso grinst sie jetzt so bescheuert?! Zum ersten Mal würde ich gern an Niks Rücken greifen, die Waffe nehmen und auf jemanden schießen. Der Gedanke allein lässt mich hart zusammenzucken. Nikolajs Einfluss war wirklich nicht gut für mich, dass mir auch ohne Hilfe bereits solche Gedanken kommen, erschreckt mich selbst. Hilfesuchend drehe ich mich von diesem Bild weg und suche das Buffet mit meinen Augen ab. Beim Gebäck bleibt mein Blick hängen. Ohne auf jemanden zu achten, schnappe ich mir einen wundervoll dekorierten Muffin und beginne damit, das Topping herunter zu schlecken. Die Creme ist einfach göttlich, weshalb ich mir ein leises Stöhnen nicht verkneifen kann. Und da haben wir es wieder. Zucker beruhigt alle Gemüter. Vielleicht sollte ich Nik das nächste Mal, wenn er im Begriff ist, jemanden abzuknallen, einfach mal einen Keks in den Mund stopfen?

Bei dem Kopfkino, das da entsteht, muss ich leise kichern. Als ich wieder halbwegs bei mir bin und meinen Blick endlich vom Muffin löse, blicken mir zwei schwarze Iriden amüsiert entgegen, was die Röte in mein Gesicht treibt.

„Hi", nuschle ich mit vollem Mund. Er drückt mir eine Champagnerflöte entgegen, die ich dankend annehme und benutze, um das Stück Gebäck runterzuspülen.

„Du magst Kuchen?"

Verwirrt sehe ich zu ihm auf und beäuge die Reste des Muffins in meiner Hand. „Welche Frau nicht?"

Nun grinst er offen und sieht in die Runde, als wenn er seine kommende Aussage unterstreichen möchte. „Nicht eine, die ich kenne. Die halten sich nur an Salatblättern fest. Sie nehmen sich nicht einen Moment zum Genießen, obwohl sie damit so viel verpassen."

Meinen Kopf zur Seite kippend, mustere ich ihn einen Moment. „Du stehst wohl auch auf Kuchen, hm? Sieht man dir gar nicht an", scherze ich, während ich ihm den Rest meines Muffins hinhalte.

Seine Braue zuckt hinauf, doch anstatt nach dem Stück zu greifen, umfasst er mein Handgelenk, führt es hinauf an seine Lippen und isst es aus meiner Hand. Stockend starre ich ihn an. Doch ohne auch nur einen Funken Unsicherheit stiehlt er nun auch noch das Glas in meiner Hand und spült das Gebäck ebenfalls herunter. „Ich liebe alle süße Sünden", antwortet er schnurrend zu mir gebeugt, bevor er sich plötzlich abwendet und aus meinem Blickfeld verschwindet.

Was war das denn?! Hat Viktor mich eben angeflirtet? Auf meiner eigenen Verlobungsfeier? Unmöglich! Wahrscheinlich interpretierte ich einfach etwas hinein, das mich bloß von meinen Gefühlen ablenken solle. Viktor machte so etwas nicht und falls er doch Interesse gehabt hätte, hätte er ja schon längst aktiv werden können. Da er dies nicht hat, untermauerte es nur meine eingebildete Erklärung.

„Worüber habt ihr geredet?", ertönt ein tiefes Knurren hinter mir, was dazu führt, dass ich beinahe quieckend zusammenfahre. „Kuchen!", entfleucht es mir, was Nik jedoch nur mit einer hochgezogenen Braue quittiert.

„Ahja...", mit einer Hand an meinem Arm zieht er mich an den Rand des Raumes und sieht eindringlich auf mich hinab. „Könntest du mir erklären, weshalb meine Verlobte Viktor Markov mit Kuchen füttert, anstatt an meiner Seite zu sein und die Gäste zu unterhalten?"

Er hält seine Wut wirklich unglaublich gut im Zaum, dennoch spüre ich das Zittern um meinen Arm. „Nik, es tut mir leid. Ich hatte plötzlich nur Hunger und dann fingen wir ein Gespräch an. Es war ganz unschuldig. Du weißt doch, dass ich zu dir gehöre, nicht wahr?" Einen zaghaften Schritt trete ich näher, um seine Wangen zu umfassen und meine Lippen vorsichtig auf seine zu legen. Bei Nikolaj weiß man nie ganz sicher, was passieren wird. Er könnte den Kuss jetzt entweder erwidern oder mich zu Boden schlagen. Beide Szenarien sind absolut möglich.

Doch zu meinem Glück entscheidet sich Nik für die erste Variante und zieht mich fester an sich. Er vertieft den Kuss, hart und stürmisch. „Du wirst jetzt mit mir tanzen", haucht er an meinen Lippen und lässt damit keinen Zweifel daran, ob das ein Befehl oder eine Frage war.

Daher zögere ich nicht eine Sekunde und folge Nik in die Mitte der Tanzfläche. Seine Hand hält meine eisern umklammert, während die andere sich beinahe schmerzhaft in meine Hüfte bohrt. Um ihn zu besänftigen, schmiege ich mich an ihn und lege meine Wange an seine Brust. Tatsächlich entspannt er sich zunehmend und seine Griffe werden sanft. Langsam dreht er sich mit mir und eine Gestalt rückt in mein Blickfeld. Eisern an einer Wand lehnend, seine grauen Augen starr auf mich gerichtet, während ich in den Armen eines anderen tanze. Ich wollte meine Augen schließen, mir das nicht weiter antun. Doch wie schon zuvor starrte ich in seine Richtung. Mir war gar nichts Anderes möglich. Dante bewegte sich nur, um eine Zigarette in seinen Mundwinkel zu stecken und sie anzuzünden. Durch den aufkommenden Rauch hindurch starrt er uns weiter an und mir wird speiübel. Mein Herz schmerzt auf bestialische Art und Weise, lässt mich kaum noch atmen und gerade, als ich mir krampfhaft anfange, zu überlegen, wie ich von Nikolaj loskommen kann, streift mich eine Hand an der Schulter. Ich drehe mich zur anderen Seite und sehe wieder Viktor vor mir, wie er sowohl Nikolaj als auch mir eine Hand aufgelegt hat.

„Was kann ich für dich tun, Viktor?" Auch wenn Nik vollkommen ruhig klingt, spüre ich seine Angespanntheit. Ihm passt diese Unterbrechung überhaupt nicht.

„Du kannst mir einen Tanz mit deiner Verlobten anbieten."

Überrumpelt trete ich einen Schritt zurück, doch Nikolaj zieht mich nur noch fester an sich und knurrt leise ein Bedrohliches: „Даже и не думай!" (Denk nicht mal dran!)

„Что?!" (Wie bitte?!) Der bedrohliche Ton ist allein in einem Wort deutlich zu hören und selbst ich schlucke leise. Man hört diesen Ton selten von Viktor, aber wenn, dann verfehlt dieser nicht seine Wirkung.

Vor sich hin fluchend lässt Nik von mir ab, jedoch nicht ohne Viktor noch einmal wütend anzusehen. Ohne ein weiteres Wort dreht er sich um und geht zu einer kleinen Männerrunde nicht weit von uns. Bevor ich auch nur ansatzweise reagieren kann, werde ich wieder von der rauchigen Vanille umhüllt und an eine harte Männerbrust gedrückt.

„Wer ist das?", fragt er an meinem Haar und ich versteife mich. Er kann nur Dante meinen und doch bekomme ich kein Wort heraus. Stattdessen sehe ich weiter in dieses Grau, das unverändert von der Wand in meine Richtung starrt.

Plötzlich packen mich weiche Finger an meinem Kinn und führen meinen Kopf hinauf, damit ich in diese tiefschwarzen blicken muss. „Was sehe ich hier in deinen Augen, Alexandra?"

„Nichts...", krächze ich leise.

„Auf mich wirkt es eher wie...Alles", antwortet er ruhig und erneut zieht sich meine Brust schmerzhaft zusammen. Ich erkenne in seinen Augen, dass er meinen Schmerz sieht und es ihn nicht kalt lässt. Sein Blick wird warm, als er mich wieder an seine Brust drückt. „Hör mir genau zu Alexandra", flüstert er wieder an meinem Haar, „wenn der Song vorbei ist, wirst du nach hinten in die Waschräume gehen."

„Ich darf mich nicht ohne Niks Zustimmung von der Feier entfernen."

„Um ihn kümmere ich mich." Das ist das Letzte, was er zu mir sagt, bevor der Song endet und er von mir ablässt.

Augenblicklich drehe ich mich um und laufe nach hinten in den abgelegenen Bereich der Villa.

Ich weiß nicht, wieso ich Viktor blind vertraue, doch es fällt mir nicht schwer, seinen Anweisungen zu folgen.

Aufgewühlt gelange ich ins hinterste Badezimmer, lasse die Tür offen, stütze mich aufs Waschbecken und ziehe meine Maske ab, die mich zu erdrücken scheint. Es dauert nicht lange, bis Schritte hinter mir ertönen und die Tür ins Schloss fällt.

Mute (Band 2 der Chaise Reihe) (Pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt