„Mama! Mama! Sieh mal, was ich gefunden habe! Jemand hat einen Geldschein verloren!"
„Das ist toll Schätzchen. Mit dem Zehneuroschein werden wir uns ein schönes Abendessen besorgen." Sie lächelte mich warm an und strich mir sanft durchs Haar.
Ich war gerade mal sieben Jahre alt. Ich hatte eine paar Jahre ältere Schwester und einen Baby Bruder. Meine Mutter, meine Geschwister und ich lebten in sehr armen Verhältnissen seitdem unser Vater verstorben war. Davor lebten wir in einem großen Haus und hatten sogar einen kleinen Garten. Unser Vater starb noch vor der Geburt meines Bruders. Danach verlief alles schnell. Meine Mutter war arbeitslos und die Miete war teuer. So kamen wir in dieses kleine Häuschen. Jeder Cent kam uns zugute. Immer wieder gab es Nächte, an denen wir hungrig zu Bett gingen. Unsere Mutter sicher noch öfter als wir, da sie uns immer den Vorrang gab. Tag für Tag wurde sie verzweifelter, man sah ihr die Sorgen am Gesicht an. Ich sprach sie aber nie darauf an, weil ich sie nicht in eine unangenehme Situation bringen wollte. Ich schätze sie hatte Angst, dass wir das Haus auch noch verlieren könnten und dass jemand von uns verhungern könnte. Ich machte mir Sorgen um meine Mutter und schlief nur unter Stress ein. Immerhin wollte ich niemanden aus meiner Familie verlieren, ich liebe sie alle unglaublich sehr.
Eines Tages, als ich frisch sieben Jahre alt war, kamen eine junge Frau und ein Mann zu uns zu Besuch. Er trug einen schicken Anzug und Krawatte, sie ein gelbes wunderschönes Kleid. Beide waren vielleicht Mitte dreißig und lächelten die ganze Zeit über. Sie waren zwar nett, aber wirkten auch irgendwie seltsam. Meine Mutter schickte meine Geschwister und mich daraufhin nach draußen, um ungestört mit ihnen zu reden.
Nach einer Weile kamen sie heraus und verabschiedeten sich von uns. Ich spürte die Blicke der beiden Erwachsenen auf mir, aber ich drehte mich nicht um. Meine Augen waren auf den mitleidsvollen Blick meiner Mutter fixiert, der direkt meinen traf. Ihre Augen waren rot, sie hat bestimmt geweint. Aber wieso starrt sie mich so an? Damals verstand ich es noch nicht.
Während meine Geschwister zu Abend aßen, rief mich meine Mutter zu ihr. Sie sah mir in die Augen und lächelte zart. „Neko mein Schatz, du weißt doch, dass wir ein paar finanzielle Probleme haben, derzeit. Ich gebe mir viel Mühe, um euch zu ernähren und euch einen sicheren Schlafplatz zu sichern, aber es reicht leider nicht aus." Sie griff mir an meine Schultern und sah mich dann nur mehr besorgt an. Sie konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten, ihre Stimme zitterte. „Die netten Leute, die vorhin hier waren, arbeiten für eine Organisation, die sich um Kinder kümmert, die in schlechten Verhältnissen aufwachsen. Sie gaben mir eine Broschüre und zeigten mir auch ihre Internetseite." Sie öffnete die Broschüre und deutete auf die bunten Bilder. Auf jeder Seite standen rechts im Eck dieselben Buchstaben groß und fettgedruckt. „NLBV?" „Das ist eine sichere Organisation, die unter anderem dieses Projekt fördert." Auf den meisten Bildern sah man viele Kinder, die glücklich miteinander spielten. Auf anderen sah man ihre riesige Unterkunft und das leckere Essen. „Die Wahrheit ist, ich kann nicht mehr für euch drei sorgen. Deine Schwester wird schon bald arbeiten dürfen und dein Bruder ist noch zu klein. Ich dachte, vielleicht, wenn du möchtest, könntest du für eine kurze Zeit dortbleiben. Nur bis wir wieder auf festen Beinen stehen. Dort bekommst du gesunden und leckeres Essen und findest bestimmt viele neue Freunde! Sie unterrichten dort auch. Und wir würden dich auch besuchen kommen und sobald wie möglich abholen."
Ich wollte nicht gehen. Ich wollte bei meiner Familie bleiben. Bei meiner Schwester. Bei meinem Bruder. Bei meiner Mutter. Ich wollte nicht allein weg, egal wie viel besser es dort auch ist.
Und trotzdem willigte ich ein. Ich tat so, als würde ich mir freuen. Als könnte ich es kaum abwarten. Schließlich wollte ich sie nicht im Stich lassen. Irgendwie fühlte ich mich sogar verpflichtet dazu, zu gehen. Nach allem, was meine Mutter für uns tat, ist das doch das mindeste. Und sie werden doch wiederkommen und mich abholen. Sie werden kommen und wir werden wieder zusammen sein. Sie werden kommen und wir werden wieder eine Familie sein.
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Rache bis zum Tod
Paranormal„ Mach schon. Bettle um die Gnade, die du nicht geben wolltest"