🌸Die Mission im Freudenviertel Teil 1🌸

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Eins zu null für die Klangsäule. Statt zwei Truppenmitglieder hatte er nun ganze drei dazu bekommen. Zwar keine weiblichen und mir auch völlig unbekannte Jäger, aber er hatte sein dickköpfiges Ziel halbwegs erreicht. Wie hätten sie wohl auf mich reagiert? Zufrieden war ich damit ganz und gar nicht und ich glaubte nochmal ein ernstes Wörtchen mit dem Proleten darüber wechseln zu müssen. Dadurch begab ich mich nur noch mehr in Gefahr. Wer war schon einem Dämon gegenüber wohl gesonnen? Gewiss niemand. Mit Ausnahme Tengen, da er mich bereits seit Jahren kannte.
Nach wie vor in meinem improvisierten Versteck hörte sowie spürte ich die Auren, wie sich die drei Helferlein, Aoi, der Jungs-Trupp und Tengen vor dem Eingang versammelt hatten. So traute ich mich doch einen schüchternen Blick ums Eck zu wagen und mir ein genaueres Bild zu machen.
Zunächst erhaschte ich nur die Rücken von all den verschonten Mädels. Aoi, in ihrer dunkelblauen Uniform, die darüber ihre weiße Krankenschwesternrobe trug, wie ebenfalls den in weiß gekleideten Helferlein Sumi, Naho und Kiyu. Die kleinen Mäuse waren in den letzten Jährchen erstaunlich gewachsen. Das schwarzhaarige Mädchen, dessen mittellanges Haar seitlich zu einem Zopf gebunden war, konnte nur Kanao gewesen sein. Alleine schon wegen des Schmetterlingsornaments, dessen einst Kanae gehört hatte. Auch sie trug eine Rockuniform, wie ich es zur selbigen Zeit auch tat, hingegen sie aber einen weißen Haori trug. Beeindruckend, was aus dem einst verwahrlosten Mädchen geworden war, welches in einem miserablen und ungepflegten Zustand von Kanae und ihrer Schwester Shinobu adoptiert wurde. Und das war nun der Tsuguko Shinobu's, wie ich eben vernehmen durfte. Es freute mich ungemein für sie, dass man sie nicht aufgegeben hatte, wie zur damaligen Zeit ihre Eltern.
Zwischen den Mädels erblickte ich den Jungs-Trupp nun zur Gänze – zumindest auch von hinten. Zwei von ihnen hatte ich bereits eben auf dem Zaun erspähen können. Und nun auch den dritten und somit letzten. Auf seinem Rücken blitzte mir eine hölzerne Kiste entgegen, in der ich augenblicklich die zusammengekauerte Aura immens stärker wahrnehmen konnte als zuvor. Sonderlich groß war diese nicht – gerade einmal halb so groß, wie der Junge selbst. Was verbarg sich bloß nur darin? Ich legte meine Stirn in Falten. So sehr ich mich auch anstrengte meine Dämonenkunst der Aura-Wahrnehmung zu benutzen, es gelang mir nichts weiter als die Vermutung darüber, was es hätte sein können. Vielleicht ein kleines Tier? Für einen Menschen war diese überaus viel zu klein, es sei denn es verbarg sich ein Kind darin.
Über seine bräunliche Uniform zierte eine grün-schwarzkarierte Haori sein Gesamtbild. Auch fielen mir seine Hanafuda Ohrringe auf, die mir auf den unscharfen Blick die rote Sonne Japans symbolisierten. Schien das einen Grund gehabt zu haben? Von ihm ging unweigerlich eine besondere Aura sowie Ausstrahlung aus. Nicht zuletzt an seinen weinroten Haaren ausmachend.
„Viel Glück, Tanjiro", wünschte Sumi schniefend als auch erleichtert.
Tanjiro? Wenn ich nun hätte raten müssen, wer Tanjiro war, hätte ich vermutlich auf den Rothaarigen mit der Holzkiste getippt, wobei es aber auch der Blondschopf hätte sein können.
„Muskelkotz", verlautete es bebend als auch unsicher vom Blonden. Er war nicht sonderlich gut auf Tengen zu sprechen, was ich in gewissermaßen nachvollziehen konnte.
Zu Beginn meiner Tsuguko Zeit bei ihm, war ich auch noch lange kein Fan von ihm.
Zitternd wackelten die Schultern des Blonden, ebenso wie seine helle Stimme, somit konnte ich ihm zumindest den Titel ehrfürchtiger Sprücheklopfer zuordnen. Aber warum war er denn derart unsicher? Das passte nicht zu einem Dämonenjäger. Natürlich führten wir Jäger ein sehr gefährliches Leben. So hätte ausnahmslos jeder Kampf mit dem Tod enden können, jedoch konnte man sich auch aus freien Stücken zum Jäger entscheiden.
„Na dann. Wohin darf die Reise gehen, Boss?", fragte der mit der Reibeisen Stimme.
„Na zum prächtigsten Ort Japans, wo Gelüste und Begierde regieren. Das von Dämonen bevölkerte Freudenviertel."
„Das Freuden... Viertel?!", fragte der Rothaarige nichtsahnend, was den Blondschopf daraufhin in Erklärungsnot rutschen ließ.
„Da-as ist ein ganz besonderes Viertel. Da gibt es äh, naja du weißt schon. Also. Ä-äh kennst du's echt nicht?!"
Innerlich schmunzelte ich. Als Erwachsene schätzte ich sie nicht ein. Entweder konnte er bloß nichts mit dem Begriff anfangen oder hatte bisweilen keine Berührungspunkte mit all dieser Thematik gehabt. Da hatte sich Tengen eine überaus grandiose Truppe zusammengebastelt. Ein klein wenig freute ich mich schon darauf, dieses Abenteuer zu bestreiten, jedoch war mir nach wie vor nicht sehr wohl dabei. Hoffentlich wollten sie mir nicht gleich den Kopf absäbeln.
„Aufgepasst!", durchbrach Tengen's Aufmerksamkeitsgebrüll die unbeholfene Erklärungsnot, „ich bin für euch ein Gott! Ihr seid bloß Staub! Das ist die erste Lektion, die ihr euch in eure Köpfe prügeln könnt. Ist das allen Klar?", vergewisserte er sich selbstbewusst gegenüber den ahnungslosen.
„Wenn ich sage, ihr werdet zu Hunde, dann werdet ihr das. Ich sage Affen – ihr werdet Affen. Ihr werdet euch unterwürfig nach meinem Befinden erkundigen und mir mit Leib und Seele huldigen! Ich sag's euch ein letztes Mal! Ich bin ein Gott!"
Amüsiert schüttelte ich den Kopf. Gedanklich ging ich jedes einzelne Wort mit ihm zeitgleich durch. Wie oft Tengen mich dazu genötigt hatte, dieses Mantra Tag für Tag aufzusagen, während ich von ihm ausgebildet wurde, hatte ich irgendwann aufgehört mitzuzählen. Bis heute hatte sich noch nicht einmal sein Tonfall dabei verändert. Die Jungs schienen seine Predigt zunächst sacken lassen zu müssen. So wie bei mir damals – ich hatte es noch für einen schlechten Witz gehalten. Aber ja, das war nun mal seine Art, seine Autorität klarzumachen.
„Der ist ja komplett durchgeknallt", zischte einer der Jungs fassungslos vor sich her, wobei ich mir sicher sein konnte, dass dies Tengen nicht unkommentiert ließ – so war es jedenfalls bei mir damals.
„Und was für ein Gott bist du?", drängte sich der Rothaarige vor meine erwartete Reaktion Tengen's, „falls die Frage angebracht ist."
„Macht er da jetzt auch noch mit?", fragte sich selbiger Junge ungläubig leise vor sich her.
„Ausgezeichnete Frage. Du scheinst mir der Klügste zu sein", merkte Tengen zufrieden an und verschränkte die Arme vor seiner muskulösen Brust.
„Die Frage ist strunzdumm. Von wegen der Klügste!", klagte wiedermal der Blondschopf, der in die Richtung zu den beiden blickte.
„Ich herrsche über Prunk und Luxus. Den Gott der Feste, nennt man mich."
„Lackaffe! Den Gott der Schwachköpfe – das ist er!"
Oh nein! Ich konnte nicht mehr gänzlich an mich halten und es entwich mir doch glatt ein lauteres auf prusten, was ich unmittelbar mit meiner Hand auf den Mund unterbrach und die Augen zukniff. Ich konnte ihn durchaus verstehen, als auch nachvollziehen. Aber wer in diesen Momenten Tengen herabstufte, war bei ihm unten durch. Mühevoll hielt ich die Luft an, um nicht weiter lachen zu müssen, wobei es mir mehr als Recht gewesen war einfach drauflos zu lachen.
„Ich bin der König der Berge! Auf gute Zusammenarbeit, edler Gott der Feste!", warf nun der mit der Reibeisen Stimme zuversichtlich ein.
Für mich wurde es deutlich schwerer, an mich zu halten. Hatte er sich gerade wirklich gedacht, mit der Klangsäule mithalten zu können?! Ich hielt mir den Bauch fest und lachte mühsam in mich hinein.
„Und du hast offensichtlich ne Macke. Machst'n unheimlichen Eindruck auf mich...", entgegnete Tengen konfus auf den Einwurf, worauf ich nun wirklich nicht mehr an mich halten konnte. Ich lachte laut aus vollstem Halse heraus und vergaß für jenen Moment, dass ich in ihren Augen einer ihrer größten Feinde war. Lachend verließ ich mein Versteck und kam ihnen wenige Schritte näher, bis ich bemerkt hatte, dass jeder einzelne vor mir in Schockstarre gefallen zu sein schien.
„E-ein Dämon!", bibberte der Blondschopf und zeigte mit zittrigem Finger auf mich.
Ich Dummkopf! Mir hätte bewusst sein müssen, dass es nun so aussah, als hätte ich mich die ganze Zeit über im Verborgenen aufgehalten, um den richtigen Moment abzupassen, um dann wie eine wahnsinnige Blutrünstige um die Ecke zu kommen, um über meine Beute herzufallen. In Windeseile zückten sie ihre Katanas und hielten sie in meine Richtung. In ihren Augen loderte nun mehr der Kampfgeist, der sich auch in ihren Haltungen widerspiegelte.
„Haha! Komm zu Papa! Ich säbel dir die Rübe ab!", forderte mich der Wildschweinjunge auf.
Ohje! Mir wurde es schlecht und ich stockte kurz. Den Klingen nun mehr derart schutzlos ausgeliefert gewesen zu sein, war merkwürdig. Ich war zwar nicht alleine und Tengen würde dies gewiss zu verhindern wissen, aber es war schockierend. Es stellten sich mir die Nackenhaare auf und ich sah sie verunsichert an. Auch wenn es die einzig richtige Reaktion auf mich war, konnte ich nicht leugnen, dass es schmerzte. Ich tat doch niemanden was...
„Ka-... Kaori?!", rief Aoi überrascht, die mich ungläubig musterte.
Sie wirkte überrumpelt, dennoch konnte ich kaum merklich sehen, dass sich ihre Mundwinkel zu einem Lächeln anhoben. Wenigstens eine, die mich nicht als Monster einstufte. Gleichermaßen sah es auch bei Kiyo, Naho und Sumi aus, die sich teilweise freudig die Hände vor den Mund hielten und mir freudig entgegen lächelten. Kanao war ebenfalls nicht gegen meine Monstererscheinung und schaute selig in meine Richtung.
Wenigstens waren nicht alle vor mir stehenden gegen mich.
„Jetzt beruhigt euch doch und nehmt eure Waffen runter!", beschwichtigte Tengen die Jungs und legte seine Hände jeweils auf die von Draufgänger Wildschweinjunge und wütend dreinblickenden Rothaarigen mit der Holzkiste auf dem Rücken und versuchte die Situation für die neuen Jäger aufzuklären.
„Ja, sie ist eine Dämonin, wie man unschwer erkennen kann. Nichtsdestotrotz ist sie eine Säule und somit eine von uns. Sie wird euch nicht ein einziges Haar krümmen."
„Tengen", ergriff ich nun behaglich das Wort und näherte mich noch weitere Schritte, „so ganz stimmt das leider nicht. Ich war einst eine Säule, die des Donners, um genau zu sein. Mein Name lautet Kaori Amakura und da ich jetzt ein Dämon bin, wurde ich als Säule entlassen. Aber was stimmt, ist, dass ich euch definitiv nichts antun werde", versicherte ich und zog die Kapuze meiner Kirschblüten-Haori ab.
Ihre Gesichtszüge wurden weicher und die erhobenen Klingen wurden nun mehr langsam zum Boden gesenkt. Die angespannte Atmosphäre hatte sich im Nu verkrochen und es schien sich wieder zu entspannen. Auch ich fühlte mich wieder deutlich wohler, wo keine Waffe mehr auf mich gerichtet war. Das war vielleicht komisch... Unbekannt war es mir nicht, denn auch Dämonen hatten bereits während meiner Säulenzeit ihre Klingen gegen mich gerichtet, aber das nun umgekehrt zu erleben, war doch sehr merkwürdig.
Ich bemerkte, dass der Rothaarige zum Wort ansetzte, der ziemlich verwundert dreinblickte.
„Du als Dämonin stehst also in der Sonne und verbrennst nicht?!"
„Ja, stimmt! Jetzt, wo du es sagst!", pflichtete der Blonde erschrocken bei.
Ich nickte zustimmend, „ich kann es selbst auch nicht richtig erklären, aber für wenige Stunden am Tage ist es mir erlaubt an der Sonne zu sein und diese zu genießen. Nicht allzu lange, weil es dann doch unangenehm wird, aber ich verbrenne nicht sofort."
„Wow", fügte Aoi freudig bei.
„Erstaunlich!", meinte der Wildschweinjunge beeindruckt, ehe er sich zu Tengen umdrehte und augenscheinlich versuchte auf diesen losgehen zu wollen, „warum hast du uns nicht schon früher davon erzählt!"
Ohne zu zögern, umgriff der Rothaarige den Draufgänger von hinten und versuchte sein Vorhaben zu stoppen, „hör schon auf Inosuke!"
„Sag mal, was soll denn das, du Arsch?!", ärgerte sich der wild zappelnde festgehaltene und versuchte sich zu befreien, „lass mich los, Donpachiro!"
Donpachiro?! Hatte man ihn nicht vorhin Tanjiro genannt? Ich grinste belustigt auf. Wollte er ihn ärgern oder konnte er seinen Namen einfach nicht richtig aussprechen?
„Echt abstoßend", bemerkte hinab schauender Tengen skeptisch, „abgesehen davon war bis eben nicht der richtige Zeitpunkt dafür!"
Derweil überbrückten Kiyo und Sumi die kurze Distanz zwischen uns. Herzlich schlangen sich ihre Arme um meine Taille und ich befand mich in eine Umarmung wider. Auch ich drückte meine Zuneigung aus und streichelte über die Köpfe der Kleinen.
„Ihr seid aber groß geworden, ihr Mäuse!", merkte ich freudig an und widmete den Mädchen meine Aufmerksamkeit zu.
„Geht es dir gut, Kaori?"
„Wirst du denn auch wieder zu uns zurückkommen und hier wieder wohnen?"
Beide fragten fast zeitgleich, schauten mich dabei aus einem schmerzerfüllten Hundeblick an, was mich erwärmte. Dennoch bereitete es mir Bauchschmerzen und ich schüttelte mitfühlend meinen Kopf.
„Mir geht es soweit gut, danke Sumi. Aber zu euch zurückkommen werde ich leider nicht. Dafür sind zu viele der anderen dagegen und das würde zu viel Aufruhr bringen. Also werde ich mich nach der Mission wieder zurückziehen. Ich passe lediglich auf die Jungs auf und dann hau ich wieder ab."
„Pah!", entgegnete Tengen lautstark, „auf uns aufpassen... Das ich nicht lache. Du meinst wohl eher, dass ich auf dich aufpassen werde!"
Grimasse schneidend erwiderte ich seine Entrüstung, ehe ich wieder zu den Mädchen herabschaute.
„Stellt mir keine dummen Sachen an und helft weiterhin allen Verletzten, ja?"
„Sehr wohl, Meisterin Kaori!", pflichteten mir beide gleichzeitig zu, was mich geschmeichelt mit der Zunge schnalzen ließ.
Ich hatte es überhaupt nicht gerne, wenn sie mich Meisterin nannten, aber ich konnte es ihnen über all die Zeit nicht abgewöhnen. Sie wollten es sich nicht nehmen lassen.
„Kommt", wendete Tengen ein, „wir haben keine Zeit für Spielchen! Ziehen wir los!"
Mit dem Rücken zu uns gerichtet, positionierte er sich und nahm die Haltung zum Lossprinten ein.
„Macht euch bereit!", war das Letzte, was man von ihm vernehmen konnte, ehe er ohne Umschweife drauflos rannte.
Durch seinen Schwung hinterließ er nichts als eine dicke Staubschicht, die die Jungs für einen Augenblick mit zugekniffenen Augen in Schach hielt. So wie wir vorhin durch all die Glyzinien-Bäume hindurch gerannt waren.
Der Blondschopf war der erste, der die Situation einzuschätzen versuchte und suchte ihn förmlich, „wo ist er denn hin? ... Da!", rief er perplex und zeigte auf Tengen, der innerhalb wenige Sekunden eine beachtliche Distanz hingelegt hatte und nur noch ein Punkt in der Ferne war.
„Worauf warten wir?! Los! Hinterher!", trieb ich die Jungs an, auch Gas zu geben und zog sogleich als Nächste an ihnen vorbei.
„Gebt gut auf euch acht!", riefen uns die Mädchen zeitgleich zu, ehe wir für sie nach und nach zu Punkten in der Ferne wurden.

„Jetzt hört mir mal zu", begann Tengen, „wir dürfen hier nicht auffallen. Abwarten, heißt die Devise. Verlasst auf keinen Fall diese Rikscha!"
Zusammen mit Tanjiro, Inosuke und Tengen sowie dem Blondschopf hatten wir nach einem längeren Lauf das Freudenviertel erreicht. Die Nacht hatte inzwischen den Tageshimmel für sich eingenommen und alles hell in einen dunklen Schleier gehüllt. Einzig und allein das Freudenviertel selbst strahlte mit seinen zahlreichen Lichtern so hell wie am Tage. Wir waren mit zwei Rikschas unterwegs. Die drei Jungs in einer und Tengen mit mir in der anderen. Was mir besonders neben all den immensen Menschenmassen auffiel, war, dass hier die unterschiedlichsten Gerüche aufeinander trafen. Der prominenteste unter ihnen war Parfum. Verschiedenste Duftnoten, die von schweren bis hin zu blumigen und leichten Nuancen reichten. Aber auch nach Speisen. Aus einigen Häusern strömte der Duft von frisch zubereiteten Gerichten. Wäre ich doch bloß nur wieder ein Mensch, dann könnte ich nun mehr eine köstliche Ramen-Suppe genießen, aber so war sie für mich leider ungenießbar.
Entgegen Tengens's Anweisung, die Rikscha keinesfalls zu verlassen, war der Blondschopf der
Erste, der mit einem Satz seinen zugewiesenen Platz verließ.
„Warte! Nein, komm zurück, Zenitsu", bat ihn Tanjiro verunsichert, woraufhin auch Inosuke die Rikscha im Nu verließ, „nicht du auch, Inosuke!"
Na toll. So viel zu – wir durften hier nicht auffallen – und wie schaffte ich es am besten, den Zorn Tengen's auf mich zu ziehen? Genau! Sich gegen seine Anweisung zu verhalten.
Auch Tanjiro verließ umgehend die Rikscha, jedoch nur, um beide ausgebüxten Jungs wieder zurückholen zu wollen, „kommt zurück!"
Derweil waren auch wir der Rikscha abgestiegen und Tengen war mehr als außer sich vor Wut.
„Diese verdammten Drecksbängel!", fluchte er schroff, während wir uns bereits in die Richtung der Entflohenen begaben.
„Beruhig dich doch, Inosuke", versuchte es Tanjiro und hielt seinen Freund an den Schultern fest, der augenscheinlich überfordert mit der Gesamtsituation zu sein schien. Auch ich fand diese furchteinflößende Menschenmasse mehr als unangenehm. Das waren wahrlich zu viele Personen auf einen Streich.
„Hier wird nicht weggerannt!", wütete Tengen neben Tanjiro und Inosuke, der zur gleichen Zeit auch den Blondschopf erspäht hatte.
„Du da, Blondschopf!", keifte er in die Richtung Zenitsu's, der den Finger auf den Umschauenden hob, „keinen Schritt weiter!"
Ich ergriff Zenitsu an der Schulter und bewegte ihn dazu, wieder unserer Kleingruppe näherzukommen. Dennoch hatte Tengen's Wuttirade alleine bewirkt, dass sich die Jungs fürs Erste nicht mehr von uns entfernten.
„Es ist hier... So hell wie am Tag", bemerkte Zenitsu erstaunt, der sich weiterhin interessiert umschaute, aber bei uns blieb.
„Das ist das Freudenviertel Yoshiwara!", erklärte Tengen nun mehr wieder entspannt und mit Stolz, „hier regieren Liebe und Hass. Eitelkeit und Begierde. Prächtig, nicht wahr?"
„Ich fass es einfach nicht", brüllte Inosuke auf, „hier ist ja alles voller Menschen!"
Erschrocken schaute ich zu Inosuke, der im wahrsten Sinne des Wortes wiedermal die Fassung verlor. Nun wurde mir auch bewusst, was er mit König der Berge ausgesagt hatte. Er konnte schlichtweg nicht mit einer derartigen Überreizung umgehen.
Er schien zum Angriff übergehen zu wollen und ballte die Fäuste fest zusammen, „immer der Schnauze nach!", grölte er, ehe er blindlings in eine Menschengruppe raste.
Geschockt und nicht realisierend, dass er das gerade wirklich getan hatte, blieb ich wie angewurzelt stehen, während Tengen ihm bereits eilig nach lief.
„Beruhige dich, du Trottel!", versuchte er selbst geschockt auf ihn einredend sein Glück.
Unterdessen hatte sich auch erneut klammheimlich Zenitsu von Tanjiro und mir entfernt, ohne dass ich es mitbekam. Dafür aber Tengen, der umgehend mit Inosuke auf den Schultern zurückkam.
„Hey! Wo ist jetzt bitte der Blondschopf hingerannt?!", fragte er aufbrausend.
Ich zuckte zusammen. Da meine Aufmerksamkeit vollends auf Tengen und Inosuke gerichtet war, war es mir völlig entgangen, dass der Nächste wiedermal ausgebüxt war.
„Da!", antwortete Tanjiro und zeigte in die Richtung Zenitsu's, der verunsichert durch die Gegend schlenderte.
Tengen befreite sich von Inosuke und drückte mir den Draufgänger wortwörtlich in die Hände, wobei ich ihn an mich zog.
„Pass auf den hier auf!", wies er mich scharf an, woraufhin ich nickte.
Tengen folgte Zenitsu, der sich geradewegs auf Exkursion durch das Freudenviertel begeben wollte. Neugierig schlenderte er an einzelne Männer vorbei und wurde geradewegs von Dirnen auf einem Balkon angesprochen. Auch wenn ich nicht gerade sehr nah an ihm dran war, konnte ich es trotz des lauten Geräuschpegels deutlich hören.
„Hey! Hallo Blondie! Warum kommst du nicht zu uns nach oben? Wir haben hier eine Menge Süßigkeiten!", kicherten sie ihn auffordernd an und winkten ihm entzückt zu.
Er schien aus Scham die Röte eines Lippenstiftes angenommen zu haben und hielt sich daraufhin die Hand vor das Gesicht.
„Worauf wartest du? Komm her!", versuchte sie ihn anzulocken, jedoch ergriff Zenitsu schnurstracks die Flucht.
„Das sind einfach zu viele schöne Mädchen! Oooah!", bedauerte er beschämt, der von Tengen augenblicklich eingeholt wurde.
„Plärr hier nicht rum!"
Und schon hatte er ihm eine auf den Hinterkopf verpasst und schnappte ihn am Schlafittchen.
„Außerdem bist du dafür noch viel zu jung!", bemerkte Tengen an, der Zenitsu hinter sich her schleifte und wieder zu uns stieß.
Ich presste derweil meine Lippen aufeinander und verkniff es mir zu Lachen. Auf Teenies aufzupassen, die nichts von einem Freudenviertel kannten, war äußerst lustig. Und ich musste zugeben, dass sich Tengen definitiv gut, als Aufpasser gemacht hatte. Er erklärte uns noch den ein oder anderen Fakt über das Etablissement, besonders über die Mädchen, die sich hier überwiegend in den Häusern aufhielten und wie sie es teilweise auch dorthin geschafft hatten. Die Jungs lauschten gespannt zu und konnten meiner Meinung nach das ein oder andere ihrem Wissen beifügen.
„So, das reicht für den Anfang. Folgt mir!"

Zu viert folgten wir der Klangsäule, wie er uns aufgetragen hatte. Er führte uns entlang der Hauptstraße, auf der eine Menge los war, zu einer eher ruhigeren Seitenstraße und bog dort in ein Haus, welches das Wappenzeichen der Glyzinie trug.
„Guten Abend", machte er freundlich auf sich aufmerksam, ehe wir ihm es gleichtaten.
Angekommen in einem Häuschen, zogen wir allesamt unsere Schuhe aus und befanden uns unverzüglich in einem Tatami-Zimmer wieder. Tengen nahm sogleich auf einem der Kissen vor uns Platz und positionierte sich genauso hin, wie er es vorhin bei mir Zuhause tat. Ein Bein aufgestützt und seinen Ellenbogen darauf gebettet. Mit seinem starren Blick gen uns gerichtet, ergriff er nun das Wort.
„Nun zu eurer Mission. Ihr werdet mir helfen, im Freudenviertel meine verschwundenen Frauen aufzuspüren. Danach erledigen wir zusammen den Dämon."
Während ich den Worten Tengen's zuhörte, hatte es sich derweil Inosuke zur Aufgabe gemacht das vorbereitete Essen, ein paar Onigiri in Beschlag zunehmen. Durch die Wildschweinmaske ließ es sich nicht gut essen, also hatte er diese ein Stück weit hochgeschoben, wobei ich nun in sein Gesicht blicken konnte. Mensch, was war er hübsch gewesen. Seine schulterlangen Haare waren zwar pechschwarz, aber in den Spitzen dunkelblau. Ein schöner Kontrast zu seinen großen smaragdgrünen Augen. Auch sein Gesicht wies sehr weibliche Züge auf, welches so gar nicht zu seiner kratzigen Stimme gepasst hatte. Wirklich süß.
Tanjiro saß brav vor mir und nippte genüsslich an seinem Becher, in dem sich frisch aufgegossener grüner Tee befand. Was hätte ich jetzt auch für eine Tasse des grünen Goldes gegeben, aber mir schmeckte das leider nicht mehr. Zenitsu hingegen lauschte reglos den Worten Tengen's, der sich aber nun das nächste Wort an sich riss.
„Ich glaub, ich hab mich grad verhört!", antwortete er aufgebracht, ballte die Hand zur Faust, ehe er mit der flachen Hand begann auf dem Boden zu schlagen.
„Hä-ä?!", erwiderte Tengen perplex, ebenso wie ich zu dem verärgerten Jungen sah, der gerade erst mit seiner Wuttirade angefangen hatte.
„Hör auf uns zu verarschen!", erklärte sich Zenitsu, der weiterhin immer wieder mit seiner flachen Hand auf den Boden haute, „du lässt deine Mitstreiter für dich schuften, nur um dir wieder eine Frau ran zu holen?"
„Was?!", ärgerte sich Tengen, „nein! Du verstehst das gerade völlig falsch!"
„Ich verstehe sehr wohl, was hier vor sich geht!", stänkerte er weiter, der umgänglich von Tanjiro an den Schultern gepackt wurde.
„Hey Zenitsu! Ganz ruhig!", sprach Tanjiro auf seinen Freund ein, was keinerlei Wirkung zeigte.
„Dass du komischer Vogel einfach keine abkriegst ist ja wohl sonnenklar! Deshalb zwingst du jetzt uns Dämonenjäger dir eine Frau einzufangen, weil sonst immer alle vor dir wegrennen!"
Ich presste, wie schon so oft an diesem Tage, meine Lippen fest aufeinander. Wie kam er denn auf so einen Blödsinn?! Zumal es Tengen überhaupt nicht notwendig gehabt hatte, sich durch andere eine Frau heranzuschaffen.
„Du hast sie wohl nicht mehr alle!", ließ er sich nicht gefallen, „meine Frauen haben sich hier eingeschmuggelt, um für mich mehr Informationen über den Dämon aufzutreiben und weil die Verbindung zu ihnen abgebrochen ist, habe ich nach Unterstützung gesucht!"
Das kam Zenitsu noch spanischer vor, sodass er seinem Misstrauen mehr Ausdruck verlieh, in dem er sich aufgestellt hatte. Immer noch ungläubig auf Tengen blickend.
„Redest du dir diese Wahnvorstellungen auch vorm Schlafengehen ein?"
Über diese Respektlosigkeiten war ich dann doch mit einem Mal entsetzt. Ich war auch schon das ein oder andere Mal ihm gegenüber unverschämt, aber es derart auf die Spitze getrieben hatte ich mich nicht getraut.
„Drecksbängel!", brummte Tengen tief, der sich im nächsten Moment mehrere braune Umschläge zur Hand nahm und diese wuchtig gegen Zenitsu schmiss.
Dieser erschreckte sich umgehend mit einem lauten Aufschrei, wobei er rücklings zu Boden fiel.
„All diese Briefe", erklärte Tengen nun mehr wieder gefasst, der noch einen Stapel Umschläge umschlossen hielt, „wurden mir von ihren Krähen übermittelt. Kapiert?"
Tanjiro hatte sich einen zusammengebundenen Stapel der Briefe zur Hand genommen. Und Inosuke? Der hielt es für Überlebensnotwendig in Ruhe weiter zu essen und sich von der Szenerie nicht einnehmen zu lassen.
„Boah, das sind ja wirklich ganz schön viele", merkte Tanjiro an, „kannst du uns auch verraten, wen genau wir suchen sollen?"
„Zuallererst, ich hab drei Frauen."
Das war wohl das Stichwort für Zenitsu aus seinem Kurzkoma wiederzuerwachen.
„Hat er drei Frauen gesagt?!", wollte er sich fassungslos vergewissern, „wirklich drei?! Drei?! DREI? Du bist doch ne Witzfigur! Warum hast ausgerechnet du drei Frauen?! Ich glaub es hackt wohl!"
Da flog dieses Mal die Faust Tengen's und traf Zenitsu mitten in den Bauch, der sich sogleich erneut auf dem Boden wiederfand. Das war wohl dann doch zu viel des Guten.
„Noch jemand was dagegen?", knurrte Tengen tief verärgert, wobei Inosuke augenblicklich aufhörte zu essen und sich seine Wildschweinmaske richtete und Tanjiro bereits in einen der Briefe fremd schämend blickte.
In jenem Moment traute sich niemand, auch nur ein Widerwort zugeben. Stattdessen hatte es sich Tanjiro zur Aufgabe gemacht, die Briefstapel zu sortieren und hatte sich einige durchgelesen.
„Gut. Also in den Briefen wird mehrfach erwähnt, dass wir auf keinen Fall die Aufmerksamkeit der Leute auf uns ziehen dürfen."
„Hab ich euch doch auch schon gesagt", erwiderte Tengen.
„Ja, aber wie hast du dir das bitte vorgestellt?"
„Ganz einfach. Wir verkleiden uns. Vielleicht nicht die beste Idee, aber sie wird funktionieren. Meine drei Frauen sind ausgezeichnete weibliche Ninja. Kunoichi genannt. Dass das Freudenviertel für einen Dämon der perfekte Rückzugsort ist, war mir bewusst. Aber als Gast konnte ich ihn nicht ohne Weiteres ausfindig machen. Die drei sind für mich tiefer eingedrungen als ein Gast es je könnte. Wir haben es nur noch mit drei verdächtigen Etablissements zu tun. Dort werdet ihr nach meinen Frauen suchen und weitere Infos beschaffen. Suma ist im Tokito-ya. Makio im Okimoto-ya und Hinatsuru ist im Kyogoku-ya."
Derweil hörten die beiden Jungs Tengen gespannt zu, ebenso wie ich. Inosuke kratzte sich an der Wildschwein-Nase und merkte an, „ach, die sind doch bestimmt eh alle schon lange Tod."
... !
Tanjiro und ich schauten entsetzt zu Inosuke, der aber bereits genauso einen Fausthieb zu spüren bekam, wie immer noch am Boden liegenden Zenitsu. Somit bekam Zenitsu ein wenig Gesellschaft... Gott, was war das bitte für ein Trupp?! Ich hoffte innig, dass sich das Blatt noch zum Guten wenden konnte. Einen Wimpernschlag später wurde eine Schiebetür von einem jungen Herren aufgeschoben.
„Bitte entschuldigen Sie die Störung. Ich habe Ihnen all die Waren, die sie verlangt haben, mitgebracht."
„Vielen Dank", ließ Tengen nicht allzu wütend verlauten und der junge Mann verschwand auch sogleich.
Ich wollte diese unangenehme Stimmung ein wenig auflockern und erhob mich von meinem Platz, um mir die Kiste zu schnappen, auf der wieder das Glyzinien-Wappen zusehen war. Ich machte diese auf und erblickte einen Haufen an Klamotten, sowie einige Utensilien zum Schminken. Was hatte er bloß vorgehabt?! Ja, er wollte, dass wir uns verkleiden, aber wozu die Schminke?! Wollte er sie zu Mädchen verkleiden? Verdient hätten es allemal Zenitsu und Inosuke. Bei Tanjiro wäre ich dagegen gewesen, jedoch, wenn es dazu gedient hatte, sie in die Freudenhäuser unterzubringen, mussten wohl alle herhalten.
Und so war es auch. Die Jungs bekamen Stoffe in die Hände gedrückt und sollten sich im Nebenzimmer umziehen gehen. Währenddessen bereitete Tengen die Schminke vor. Gespannt, wie auch belustigt, schaute ich ihm dabei über die Schulter.
„Du ziehst das wirklich durch, oder?", sprach ich neben seinem Ohr, denn ich hatte mich von hinten auf seinen breiten Schultern abgestützt. Unter meinen Händen spürte ich deutlich, dass er unter Strom stand.
„Natürlich! Ich verkaufe diese Bängel an die Zielhäuser. Koste es, was es wolle!"
Seine Stimme strotzte nur so vor Zorn. Er war derart drauf bedacht, die Jungs loswerden zu wollen.
„Wenn ich dir behilflich sein kann – ich helfe gerne", ließ ich ihn unterdrückt belustigt wissen.
„Danke, aber die verhunze ich schon alleine."
Auch wenn es unangebracht war, konnte ich mir ein Auflachen nicht mehr unterdrücken. Sein verborgenes Talent wollte ich nur allzu gerne sehen. Die Jungs kamen in ihren neuen Outfits wieder zu uns. Ohne die Schminke musste ich unverschämt zugeben, dass sie doch sehr niedlich aussahen. Sie legten lediglich ihre Uniformen ab und trugen ihre Haori zu Kimonos. Da Inosuke aber keine trug, bekam er einen blauen Kimono zum Tragen. In einer Reihe setzten sie sich vor Tengen und er begann sein Pinselwerk. Wenige Minuten und einige Pinselstriche später war er fertig. Und was sollte ich sagen? Nichts, denn ich ließ mein schadfreudigstes Lachen für sich sprechen. Schminken konnte er schon mal gar nicht. Ebenso wenig wie Frisuren herrichten.
Er verpasste den dreien ein weißes Make-up mit kreisrunden Pfirsichbäckchen. Die Lippen waren im knalligen rot übermalt und auf der Stirn hatte er jeweils zwei dunkelbraune bis schwarze Kreise gemalt. Er war stinkig auf sie – das sah man auch an ihren Frisuren. Sowohl Inosuke als auch Zenitsu hatten Schleifchen in den Haaren. Bei Zenitsu waren sie oben angebracht, während sie bei Inosuke unten die halblangen Haare zusammenhielten. Bei Tanjiro war es nur ein Schleifchen, womit er sein Pony aus seinem Gesicht frisierte. Als sei das nicht schon genug gewesen, hatte sich Tengen den Spaß erlaubt, den Jungs ordentlich die Wimpern zu tuschen. Hübsch definierte ich wahrlich anders, aber es sah unglaublich witzig aus.
„So gefallt ihr mir schon viel besser! Um das ganze abzurunden, werdet ihr auf Decknamen hören. Tanjiro heißt ab sofort Sumiko, Zenitsu Zenko und Inosuke Inoko. Und Inosuke, du mit deiner Reibeisen Stimme hältst gefälligst die Klappe, sonst fällst du nur unnötig auf!", wies ihn Tengen an.
Kommentarlos schienen sie ihre neue Aufgabe hingenommen zu haben, was vermutlich auch das einzig richtige gewesen war.
„Gut, dann begeben wir uns auf den schwierigsten Teil unserer Mission – euch in die verbliebenen Etablissements unterzubringen. Dafür werde auch ich eine Maskerade aufsetzen und mich umziehen."
Gesagt – getan. Auch Tengen nahm sich einen lilanen Stoff aus der Kiste und verschwand ins Nebenzimmer. Zurück kam er in einem schönen Kimono gekleidet. Sein weißes Haar legte sich wieder geschmeidig auf seinen Schultern ab, die er vorhin zu einem Pferdeschwanz trug und auch seine auffällige Bemalung um sein linkes Auge machte Platz für seine makellose Haut. Auch auf sein edelsteinbesetztes Stirnband verzichtete er. Bis auf seine ausgeprägte Schönheit fiel er tatsächlich nicht mehr auf. Für mich war dieser Anblick keineswegs neu, ich hatte Tengen auch schon in ganz anderen Outfits und mit weniger Bekleidung gesehen, was dem Zusammenleben geschuldet war, dennoch konnte ich nicht verleugnen, dass er verdammt gut aussah.
„Also gut", begann er, „wir sind so weit. Kaori, du hältst dich bitte im Verborgenen auf. Deine dämonische Erscheinung lässt sich leider nicht verbergen."
Er trat direkt vor mich, legte seinen Zeigefinger an mein Kinn und wies mich so an, zu ihm aufzusehen.
„Deine Augen und auch deine Fangzähne bekomme ich nicht versteckt. Ich will auf Nummer sichergehen, auch wenn ich dich gerne dabei gehabt hätte."
Ich lächelte errötet, „das ist mir bewusst und das Risiko sollten wir keineswegs eingehen. Ich halte mich verdeckt in eurer Nähe auf und greife nur ein, wenn es brenzlig wird!"
Irgendwie war ich froh drum, denn ich wollte mich zugegeben nicht wirklich verkleiden. Abgesehen davon hatte ich auch wahrlich genug von all den Menschen und ich brauchte dringend eine Rückzugsmöglichkeit.
„Ich wünsche dir viel Erfolg. Und euch Jungs", wandte ich mich von Tengen ab und ging zu ihnen, „solltet ihr in Gefahr geraten, ruft nach mir. Ich höre euch und werde die ganze Zeit über in eurer Nähe sein, ok? Wagt keine Alleingänge, denn wir wissen nicht, mit welchem Dämonen wir es zu tun haben werden. Solange wir nicht auf ihn treffen, versammeln wir uns morgens hier, wenn alle schlafen und ihr euch ungesehen rausschleichen könnt, um die Lage zu besprechen. Passt auf euch auf."
„Sehr wohl, Kaori", nahm es Tanjiro auch für die anderen beiden ernst, die zustimmend nickten.
Gemeinsam gingen wir aus dem Häuschen heraus. Tengen, der hinter mir lief, packte mich am Arm, um mir zu signalisieren, dass ich kurz innezuhalten hatte. Sogleich verspürte ich seinen warmen Atem an meinem Ohr, der mir etwas zuflüsterte. Es heimste mir eine gewaltige Gänsehaut ein, seinen warmen Atem und seine starke Brust an meinem Rücken zu spüren.
„Wir treffen uns nachher auf den Dächern."
Ich nickte verstanden. Klang ja fast nach einem Date. Dennoch trennten sich vorerst unsere Wege und Tengen fuhr mit seiner Mission fort.

Ich zog mich, wie mit Tengen noch eben vereinbart auf den Dächern des Freudenviertels zurück. Endlich Ruhe – zumindest war das ganze Wirrwarr nicht mehr so deutlich zu hören und ich atmete tief durch. Ich bemerkte förmlich, wie mir die ganze Anspannung abfiel und ich mich ein wenig erden konnte. Augen schließend, ließ ich den Kopf in den Nacken fallen, ehe ich in den Nachthimmel blickte. Wie friedlich es doch war. Tausende von Sternen schmückten den dunklen Himmel und die kühle Nachtluft lud förmlich zum Entspannen ein. Dennoch spitzte ich mein Gehör, um etwaige Gefahren wahrnehmen zu können.
Hier oben fühlte ich mich deutlich sicherer als unten, in der ganzen Menschenmasse. Die laute Umgebung und der ständig wechselnde Geruch gingen nicht spurlos an mir vorbei. Seitdem ich ein Dämon war, schienen meine Sinne eine ordentliche Schippe an Intensität gewonnen zuhaben.
Die sanfte Windbrise ließ vereinzelte Haarsträhnen meines Halbzopfes umher wehen und meinen Kirschblüten-Haori seicht tänzeln. Kaum zu glauben, dass ich nun wieder mittendrin war. Vor wenigen Stunden hätte ich niemals damit gerechnet, einem Dämon aufzulauern, um ihm später den Gar auszumachen. Nachdenklich bettete ich meine Arme auf meine angezogenen Knie und ließ meinen Blick über den südlichen Teil des Viertels streifen.
Alles ruhig. Keine Auffälligkeiten oder Vorkommnisse. Niemand, der um Hilfe schreit oder mir ein unwohliges Gefühl einbrachte. Auch die verschiedenen Auren waren allesamt hell – pastellfarben. Ich konnte somit davon ausgehen, dass sich niemand in Gefahr befand oder ängstlich war. Anders als bei Tengen und den Jungs, deren Auren intensive Farben aufwiesen. Sie strotzten nur so vor Entschlossenheit. Wobei es bei Zenitsu ein Zusammenspiel aus hell und dunkel war. Das konnte nur an seiner Ängstlichkeit gelegen hatten. In meinen ersten Stunden und Tagen des dämonischen Daseins fiel es mir gar nicht richtig auf, dass ich nun die Aurafarben sah, aber inzwischen... Es war irgendwie merkwürdig – gar surreal, aber das war mein aktuelles Wesen ja auch. Also, was war schon in dieser Welt normal?
Ich seufzte schwer aus. Meine Gedanken kreisten um jedes Erdenkliche, blieb aber dann bei den Säulen kleben. Besonders bei einer... Was jetzt wohl Giyu gemacht hatte? Wie es ihm erging? Wie aktuell seine Gefühlslage wohl gewesen sein musste? Wie gerne hätte ich ihn nun neben mir sitzen gehabt. Genau solche Abende hatten wir zusammen zuhauf genossen und waren in unseren Gesprächen vertieft. Eng umschlungen. Stunde für Stunde. Zärtlichkeit um Zärtlichkeit. Es war schon fast erstaunlich wie gesprächig die Wassersäule war, aber genau eben jenes wusste ich derart an ihm zu schätzen. Seine liebevolle und offene Art mir gegenüber. Die er nur mir zeigte.
Ich seufzte schwer aus. Der Schmerz, der sich binnen weniger Sekunden in mir breit machte, machte mich traurig. Wieso konnte es nicht wie früher gewesen sein? Dass wir zusammen in die Schlacht gezogen waren. Seite an Seite. Jeweils auf den anderen bedacht, dass ihm nichts zustieß. Wir gaben ein hervorragendes Duo ab. Wir verstanden uns blind und konnten uns auf den anderen ohne Weiteres voll und ganz verlassen. Unsere Stile harmonierten miteinander, wie kein anderer es tat. Nicht, dass ich das nicht auch mit Tengen erlebt hatte, aber gerade wünschte ich mir innig Giyu an meiner Seite gehabt zu haben.
Seine Nähe zu spüren und seinen Körper nah an meinen... Ich atmete erneut schwer aus und ließ meine Schultern hängen. Ich sehnte mich nach ihm. Nach seinem Dasein. Seine Stimme. Seine Wärme und unverkennbaren Duft, den ich über alles geliebt hatte. Die Abenteuer, die wir zusammen erlebten hatten. Auch wenn es nur jene waren, wo wir uns nachts zu der heißen Quelle geschlichen hatten, um innige Zweisamkeit genießen zu können. Ich schloss die Augen. Wenn er sich das selbst eingestanden hätte, dann wüsste er genauso wie ich, dass er ein kleiner Draufgänger war. Aber nur ein Kleiner. Gut, ich gabs ja schon zu – es war überwiegend mein Verdienst. Aber er hätte es nicht mitgemacht, wenn es nicht in ihm geschlummert hätte.
„Na? Was lässt du denn so die Schultern hängen?"
Erschrocken blickte ich zu Tengen hinauf, der auf mich herabsah. Er hatte sich ja wieder umgezogen?! In seiner ärmellosen Uniform und seinen Schwertern auf seinem Rücken gesellte er sich zu mir. Setzte sich direkt neben mich, aber in die entgegengesetzte Richtung – sodass er den nördlichen Teil des Viertels im Auge behielt. Auch sein schneeweißes Haar hatte er wieder zu einem Pferdeschwanz gebunden und sein hellgraues, mit edelsteinbesetztes Stirnband an.
„Ich?!", erwiderte ich perplex, „nichts Wichtiges. Ich habe nur kurz an Giyu gedacht."
Mitfühlend blickte er zu mir.
„Wenn ich dir doch dabei helfen könnte..."
„Ach quatsch nein. Du hast ohnehin schon sehr viel für mich getan, wenn auch nicht in Bezug auf Giyu, aber das möchte ich auch nicht... Nun denn. Warst du erfolgreich?"
Verstohlen verlor ich mich in seinem Blick. Ich mochte unheimlich gerne seine rote Augenbemalung um sein linkes Auge herum, die auch wieder ihren gewohnten Platz gefunden hatte.
„Ja, das war ich, wenn ich das so sagen kann. Der Anfang lief holprig, aber zunächst konnte ich Tanjiro im Tokito-ya unterbringen. Inosuke wurde sogar von der Hausherrin des Okimoto-ya auserwählt und Zenitsu habe ich ihm Kyogoku-ya aufnehmen lassen können."
Zufrieden lächelte ich auf. Damit waren die Rollen verteilt und die Jungs in den jeweiligen Ziel-Etablissements, als falsche Mädchen, erfolgreich untergebracht. Ein kleiner, aber dennoch wichtiger Schritt, für die große Mission. Ich lehnte meinen Kopf gegen seine starke Schulter. Gerade hatte es mir ein wenig an Zuneigung gefehlt. Nicht zuletzt, weil sich meine Gedanken eben noch um Giyu gedreht hatten. Aber eine Frage brannte mir höllisch auf den Lippen.
„Du vertraust ihnen nicht, oder?"
Mein Tonfall ließ erahnen, dass ich eine ernstgemeinte Antwort erwartet hatte.
„Nein", antwortete er aufrichtig, „dafür kenne ich sie zu wenig und das, was ich bisher sehen konnte, war bis jetzt nicht zufriedenstellend. Auch wenn sie Jäger sein mögen und schon einige Ränge erklommen haben, bin ich mehr als misstrauisch. Ich stelle mir unentwegt die Frage, ob es das Richtige war. Könnte es vielleicht sein, dass ich uns damit keinen Gefallen getan habe? Ich habe ein gemischtes Bauchgefühl, was das anbelangt."
Hatte ich also doch richtig gelegen. Sie hatten ihn aber auch auf ganzer Linie einiges abverlangt. Sicherlich lag es mitunter auch an ihrem jungen Alter, dennoch waren die Jungs auf Zack.
„Ich kann dich nachvollziehen, Tengen, aber dennoch habe ich das Gefühl, dass es nicht falsch war. Also sie mit auf diese Mission zunehmen. Sie mögen etwas kindisch wirken und vielleicht auch unerfahren, aber sie strahlen einen gewissen Kampfgeist aus, der mich zuversichtlich stimmt. Du solltest ihnen eine Chance geben, so wie du es damals bei mir getan hast."
„Das sind aber zwei sehr unterschiedliche Situationen. Mein Vertrauen in dich hat sich mit der Zeit aufgebaut, was auch mitunter daran lag, dass ich dich geschult habe und ich dich nach meinem Ermessen formen konnte. Bei denen? Das ist was vollkommen anders. Sie haben ihren eigenen Dickkopf und das bereit mir Sorge dazu, dass sie uns in eventuelle Schwierigkeiten bringen könnten. Und das beunruhigt mich enorm."
„Ernsthaft? Solltest du nicht lieber davor Angst haben, dass ich diejenige bin, die uns in Schwierigkeiten bringen könnte?", bezog ich mich auf meine aufmüpfige sowie kopflose Art und versuchte ihn ein wenig aus der Reserve zu locken.
„Zugegeben nein. Denn du weißt dich am besten zur Wehr zusetzen. Du bist erfahren und ausgeklügelt. Bei dir mache ich mir keine Sorgen."
„Na, das sind ja ganz neue Worte von dir", schmunzelte ich, ehe ich wieder auf die Jungs schwenkte, „ich habe jedenfalls ein gutes Gefühl mit ihnen. Sieh es mal positiv, Tengen. Sie sind noch jung, müssen noch das ein oder andere lernen und beachten. Wir sind schon alte Hasen in diesem Geschäft. Wir sind eingespielt und haben unseren gewissen Ablauf, den wir uns all die Jahre über angeeignet haben. Sie sind jung und ziemlich frisch dabei. Vielleicht lehren sie uns noch Erfahrungen zu sammeln oder besser gesagt aufzufrischen, die wir durch all die Zeit längst vergessen haben oder ins tiefe Unterbewusstsein geschoben haben. Ich sehe die Jungs auf jeden Fall als eine Bereicherung an. Zumal ich immer noch diese Unsicherheit an mir kleben habe, die ich als Säule längstens abgelegt hatte."
Er schaute mich schnurstracks an, wobei seine hängenden Edelsteine neben seinem Gesicht melodisch klirrten. Das hatte ihm jetzt bestimmt nicht gefallen, das erahnte ich auch an seinem scharf eingezogenen Luftstrom, um etwas darauf erwidern zu wollen.
„Versteh mich nicht falsch, Tengen", kam ich ihm schnell zuvor, „ich möchte uns damit nicht schlecht reden. Aber in all der ganzen Zeit ist es nur mehr als möglich, dass wir längst vergessene und doch effektive Aspekte für uns beiseite geschoben haben, weil wir eben so routiniert darin sind, was wir tun. Besonders, wenn es jetzt ein hochrangiger Dämonenmond zu sein scheint."
Er haderte und erwiderte zunächst nichts darauf. Er schien förmlich in seine Gedanken abgetaucht zu sein. So schaute ich nun mehr zu ihm auf, wobei unsere Gesichter nur noch für wenige Zentimeter voneinander getrennt waren. Sein ruhiger Atem streifte meine Nasenspitze, während wir uns erneut eindringlich einander anschauten. Ich konnte nicht anders als seicht zu grinsen. Ich mochte diese Art Tengen. Jener, der mal unsicher war.
„Und wenn alle Stricke reißen sollten", durchbrach ich die Stille zwischen uns, „dann schnappe ich mir die Jungs, bring sie in Sicherheit und komme alleine wieder zurück und wir bekämpfen den Dämon. Oder eben umgekehrt."
„Und welcher Plan ist das von dir?"
„Lass mal überlegen... Plan I wie Improvisieren."
Konnte ich ihm doch tatsächlich ein Lachen entlocken.
„Du bist wirklich eigenartig."
„Nein, nicht eigenartig, sondern einzigartig."
„Ja, mein ich doch", lachte er auf, ehe er wieder ernst wurde, „auch wenn du vielleicht recht haben magst, bin ich trotzdem vorsichtig, Kaori."
„Das darfst und solltest du auch sein, Tengen. Das bin ich auch, aber hab ein wenig mehr vertrauen darin. Ich habe im Gefühl, dass sie ihre Aufgabe bestens erledigen werden."
Ich hörte, wie er laut ein und aus schnaufte. Er haderte immer noch mit sich selbst. Natürlich konnte ich das nicht in Luft auflösen – was auch nicht mein Ziel war, aber zumindest konnte ich ihn ein wenig darin lockern, die Mission nicht schlichtweg verbissen oder zum Scheitern verurteilt anzusehen.


🌸Kaori, die dämonische Säule // Demon Slayer FF🌸Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt