Kapitel 5/ Die Last des Verbergens

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Dann zog er meine Kapuze herunter, als wüsste er genau, was ich verbirge. Panik durchzuckte mich, und ich stieß ihn hastig weg, um die Kapuze wieder hochzuziehen, bevor er meine Wunden und mein wahres Gesicht sehen konnte. Keiner in der Schule wusste, wie ich wirklich aussah.

„W-wieso sagst du niemandem, was man dir antut? Denkst du, ich habe den großen Blutfleck auf deiner Kapuze nicht bemerkt?" fragte er mit bebender Stimme.

Ich sah ihn nur an, unfähig zu sprechen. Tränen brannten hinter meinen Augen, doch ich zwang sie zurück. Schließlich brachte ich leise hervor: „Das ist nichts Schlimmes."

Sein Blick wurde noch trauriger, fast verzweifelt. Bevor er mehr sagen konnte, fragte ich schnell: „Also, warum wolltest du gestern, dass wir uns heute in der Bibliothek treffen?"

Er schwieg, seine kirschroten Lippen fest verschlossen. Schließlich murmelte er: „Weil... ich es wollte."

Verwirrt schaute ich ihn an, und nach einem Moment fügte er hinzu: „Ich beobachte dich schon eine Weile und... du tust mir leid."

Seine Worte trafen mich tief. Mitleid. Er empfand nur Mitleid für mich. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, und ich fühlte mich noch hoffnungsloser als zuvor.

„Okay, musst du aber nicht!" rief ich lauter als beabsichtigt und wandte mich zum Gehen.

Doch tief in mir wünschte ich mir, er würde mich zurückhalten, mich fest in seine Arme ziehen und mir versprechen, dass alles gut werden würde. Doch das war nur ein unerfüllbarer Wunschtraum. Eine Hoffnung, die niemals wahr werden würde.

Ich beruhigte mich und ging zum Unterricht zurück.

Schon wieder saß ich an meinem Platz und war still.

Ich hörte wieder das Geläster der Mädchen aus meiner Klasse: „Guck mal, Evelyn an, hahaha. Schon wieder mit Pullover über dem Kopf."

Ihre Worte trafen mich wie scharfe Messer, jedes Lachen schnitt tiefer in meine Seele. Doch ich ignorierte es einfach, senkte den Blick und zog die Kapuze noch tiefer ins Gesicht. Die Tränen brannten hinter meinen Augen, aber ich zwang sie zurück.

Niemand verstand, wie es war, jeden Tag diese Maske zu tragen, diesen Schmerz zu verbergen. Niemand sah die Narben, die nicht nur auf meiner Haut, sondern auch tief in meinem Herzen lagen.

Als der Lehrer kam, sah ich Theodore, wie er sich mit den anderen Jungs unterhielt.

Dann sah er mich an.

Sein Blick traf mich wie ein schweres Gewicht, beladen mit Traurigkeit und Verzweiflung. Ich spürte den Schmerz in seinen Augen, doch ich vermochte nicht, ihm entgegenzublicken. Mein Herz erdrückte mich in einem Meer aus ungesagten Worten und verlorenen Tränen.

Er ist doch wie die anderen...oder?

Nach dem Unterricht ging ich nach Hause.

Auf dem Weg nach Hause merkte ich, wie ich nach langer Zeit wieder ein Gefühl in mir hatte. Dieses Gefühl hatte ich seit Jahren nicht mehr, seitdem ich auf dieser Schule bin.

Es ist das Gefühl der Enttäuschung.

Als ich schließlich zu Hause ankam, zog ich erschöpft meine Schuhe aus und schlich leise ins Badezimmer. Jeder Schritt auf dem kühlen Boden fühlte sich wie eine Ewigkeit an, und die Stille in der Wohnung lastete schwer auf mir. Mit zitternden Händen drehte ich das heiße Wasser auf und wartete, bis Dampf die Luft erfüllte.

Langsam stieg ich in die Dusche, und das heiße Wasser traf zuerst meine Füße. Die Berührung sandte einen Schauer durch meinen Körper, doch als das Wasser schließlich meinen ganzen Körper umhüllte, zuckte ich schmerzhaft zusammen. Meine Wunden brannten höllisch, als ob das Wasser das Feuer, das in mir loderte, noch weiter entfachte.

Ich stand da, regungslos, während das Wasser über mich strömte. Meine Tränen mischten sich mit den warmen Tropfen, die mein Gesicht hinunterliefen. Die Hitze brachte keine Linderung, sie verstärkte nur den Schmerz und erinnerte mich daran, wie verletzlich ich war.

Kurz überlegte ich, Shampoo zu verwenden, doch der Gedanke daran, die scharfen Chemikalien in meine offenen Wunden einzuarbeiten, ließ mich erschauern. Überall auf meiner Haut prangten Narben und frische Wunden, stumme Zeugen des täglichen Martyriums, das ich ertrug. Das Shampoo hätte den Schmerz nur verschlimmert, als wollte es mich noch tiefer in den Abgrund ziehen.

Stattdessen stand ich einfach da, ließ das Wasser meinen Körper umspülen und kämpfte gegen die Verzweiflung, die in mir aufstieg. Jeder Tropfen schien mein Leid zu verstärken, und der Abfluss wurde zu einem Sinnbild für die Hoffnungslosigkeit, die in mir tobte. Das Wasser nahm meine Tränen mit sich, aber den Schmerz, der in mir wütete, konnte es nicht fortspülen.

Ich lehnte meinen Kopf gegen die kalten Fliesen, schloss die Augen und versuchte, den brennenden Schmerz zu ignorieren. Doch die Wunden erinnerten mich unablässig an meine Zerbrechlichkeit, an die Grausamkeit, die ich täglich erlebte. Ich fühlte mich so verloren, so allein, und der Schmerz schien nie enden zu wollen.

Es war eine bittere, hoffnungslose Nacht, die keinen Trost versprach. Jeder Moment in der Dusche war ein weiterer Schritt in die Dunkelheit, und ich konnte nur hoffen, dass der Morgen irgendwie ein wenig Licht bringen würde, selbst wenn es nur ein schwacher Schimmer war.

Als ich fertig war, ging ich aus der Dusche und nahm meinen Bademantel.

Dann zog ich meinen Pyjama an, weil ich sowieso den ganzen Tag zu Hause bleiben würde. Natürlich hatte der Pyjama eine Kapuze, damit meine Eltern meine Verletzungen nicht sehen konnten.

Es klopfte an meiner Tür, und meine Mutter kam herein.

„Schatz, Essen ist fertig. Kommst du?", fragte sie und ich nickte.

Heute waren meine Elteen früher zuhause als sonst.

Als wir am Esstisch ankamen fragte mein Vater:,, Wie war die Schule?"

Ich überlegte kurz weil ich konnte ja schlecht sagen das es scheiße war: ,,Wie immer. Es ist halt Schule." Sagte ich lachend und meine Eltern lachten ebenfalls.

Dieses Lachen von mir ist so gut gefaked das man es nicht merkt das es kein echtes ist. Ich musste für meine Eltern ja irgendwie glücklich aussehen deswegen kann ich es auch gut.

Als ich mit essen fertig war ging ich in mein Zimmer.
Ich fiel ins Bett und habe die ganze Zeit an Theodore nachgedacht.

Wieso? Wieso musste er Mitleid mit mir haben? Und warum hat er Mitleid? Keiner hat Mitleid mit mir.

Als ich das realisierte, blieb ich kurz stumm. „Er hat Mitleid mit mir..." murmelte ich vor mich hin.

Niemand hat Mitleid mit mir. Ich weiß nicht, wie ich das verstehen soll. Ein Teil von mir ist enttäuscht, doch jetzt... jetzt freue ich mich irgendwie, dass er Mitleid hat.

Oder sollte ich mich nicht freuen?

Ich weiß es nicht.

Ich bin verwirrt. Die Widersprüche in mir kämpfen gegeneinander, und ich finde keinen klaren Gedanken. Ich will keine Aufmerksamkeit. Ich will einfach für immer alleine sein, verborgen unter meiner Kapuze, wo niemand meine Wunden und meine Narben sehen kann.

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Findet ihr, dass sie sich über sein Mitleid freuen sollte?

Übrigens hat nie jemand in der Schule ihr Gesicht gesehen, weil sie immer ihre Kapuze trägt. Sie will ihr Gesicht niemandem zeigen und verbirgt es deshalb konsequent. Ich wollte das noch einmal deutlich machen, da es in den vorherigen Kapiteln vielleicht nicht ganz klar geworden ist.

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