Kapitel 1

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Sie wussten nicht mal mehr wie viele Tage vergangen waren. Thadchaini und Jessica waren zu Fae geworden. High Fae...was auch immer das bedeuten mag. Jessica saß seit Tagen auf den ein und den selben Stuhl. Man könnte schwören es habe sich dort eine Kuhle gebildet. Sie schaute regungslos aus dem Fenster in den Garten raus. Thadchaini ging es genau so. Keiner von beiden sagte ein Wort. Sie blieben stumm und unansprechbar.
Feyre versuchte es immer wieder. Jeden Tag. Jede Stunde schaute sie nach ihren Schwestern. Aber immer wieder sah sie das selbe. Jessica saß auf den Stuhl und schaute aus dem Fenster in ihren Gedanken verloren und Thadchaini saß auf einen anderen Stuhl auf der anderen Seite des großen Raumes und blickte gedankenverloren auf den Boden.
Beide verließen nie ihre Positionen, außer wenn sie es mussten, wie zum Beispiel um zu Bett zugehen. Essen taten die beiden Schwestern auch kaum mehr. Beide sahen zu dünn aus. Zu blass. Zu traurig.
„Ich habe dir einen Tee gemacht", sagte Feyre zu Jessica bestimmt und stellte die heiße, dampfende Tasse neben ihr auf den kleinen Beistelltisch ab. Hoffnungsvoll schaute sie ihre Schwester an. Feyre starrte sie an. Bewunderte ihr Gesicht. Ihre grünen Augen, die leer und glasig wirkten. Jessica antwortete nicht. Gab kein Zeichen, dass sie Feyre überhaupt gehört hatte, beziehungsweise wahrgenommen hätte.
Rhysand und Cassian betraten das Wohnzimmer und schauten zu Feyre. Feyre schüttelte den Kopf und schaute nach unten. Damit signalisierte sie den beiden Illyrianern, dass sich nichts verändert hatte. Rhys ging auf sie zu und schaute runter zu Jessica. Er streichelte Feyres Handrücken und lächelte sie hoffnungsvoll und liebevoll an. In Gedanken kommunizierten sie miteinander. Cassian gesellte sich neben ihn und bot Feyre seine Hand an, um sie rauszubegleiten. Feyre drehte sich zu ihren beiden Schwestern um „Ich komme später nochmal wieder", versicherte sie und drehte sich dann um und ging mit Rhys und Cassian aus dem Raum.
~
Jessica wusste nichts mehr. Weder wie sie aussah. Wer sie war. Wer sie gewesen ist. Was mit ihr genau passiert ist... Sie wusste es nicht mehr. Sie starrte und starrte den ganzen Tag nur aus dem Fenster. Sie hörte zu viel und sah zu viel. Sie bekam Kopfschmerzen. Sie hörte die Regenwürmer in der Erde. Sah über weitere Kilometer hinweg. Das war jetzt ihr Leben. Und das für immer. Sie war wütend, so wütend, dass sie nicht anfing zu sprechen. Denn die Wörter die aus ihr herauskommen würden wären zu heftig. Zu viel. Genau so wie ihre Existenz zu viel war für sie. Sie wollte dieses Leben nicht. Sie wollte niemals so ein Leben führen. Jessica liebte es ein Mensch zu sein. Sterblich zu sein. Altern zu können. Jeden Moment zu genießen in dem Wissen, dass es ihr letzter sein könnte. Und jetzt? Was hat jetzt noch eine Bedeutung?
Immer wieder hörte sie den König von Hybern sagen, sie solle in den Kessel. Beweisen, dass es funktioniert. Und jedesmal erschauderte sie, wenn sie daran dachte. Das kalte, schwarze, dampfende Wasser im Kessel, was sie fast zum ertrinken gebracht hat. Wie ihre menschlichen Knochen durch nicht menschliche, nicht schnell brechende Knochen, ersetzt wurden...
Sie lebte in diesen zu großem Haus. Mit dem noch viel größerem Garten. Früher hätte ihr das gefallen. Ein großes Haus mit einem großen Garten. Aber jetzt? Sie wollte weder in diesem Haus sein, noch auf dieser anderen Seite von der Mauer. Sie wollte nicht in Prythian sein, sondern in der Menschenwelt. Auf der anderen Seite der Mauer, da war ihr Zuhause. Nicht hier.
Als sie auf den Beistelltisch blickte sah sie die Tasse Tee, die noch immer dampfte. Sie wunderte sich gar nicht mehr, dass sie kaum mehr erwas mitbekam, so wie sie in Gedanken ist und versucht alles zu verarbeiten. Ihre Sinne, alles war schärfer und besser geworden. Aber es war zu viel.
Jessica schaute zu Thadchaini rüber und sah wie sie auf den selben Platz wie immer saß. Einen Holzstuhl wie ihr eigener. Aber Thadchaini hatte sich nicht ans Fenster gesetzt. Sie schaute einfach auf den Boden. Mit einem leeren und ausdruckslosen Blick. Sie war blasser als sonst bemerkte sie. Thad war noch schöner geworden, als vorher.
Deren Mutter hatte kaum Interesse an ihr. Nur Thads Schönheit zählte für sie. Thadchaini würde einen reichen Mann finden und dann gut leben können. Jessica war das erste Kind und somit musste sie perfekt sein. Gute Manieren und Talent haben.
Jessica dachte nicht gerne an die Zeit zurück wo ihre Mutter noch gelebt hatte. Eigentlich dachte sie nie daran. Wollte es auch nicht.
Als sie die Tasse Tee zu sich nahm und einen Schluck trinken wollte sah sie jemanden in den Raum kommen. Sie hätte schwören können ihn vorher nie gesehen zu haben. Aber er kam ihr bekannt vor, sie wusste nur nicht wieso.
Sie musste geschockt oder nachdenklich ausgesehen haben denn der Mann stoppte und sah sie entschuldigend an.
„Entschuldige", sagte er höflich und verbeugte sich. Jessica drehte sich wieder zum Fenster, die Tasse mit dem dampfenden Tee in ihrer Hand. Sie hörte seinen Herzschlag. Sie hörte von jedem den Herzschlag. Sie hörte einfach zu viel.
~
Lucien hatte nicht damit gerechnet die beiden anzutreffen. Er wollte sich nur ein Buch nehmen. Er hatte schon lange nicht mehr aus puren vergnügen ein Buch gelesen ohne Hintergedanken. Er wollte sich erklären, sagen warum er in diesen Raum gekommen ist, aber da hat sie sich weggedreht. Er schaute ihr nach. Er fragte sich, ob es nicht auf Dauer langweilig zu werden schien, immer nur das selbe anzugucken. Er ging rüber zu dem großen Bücherregal und schaute sich die Bücher in Ruhe an. Er hörte wie sich Jessica auf dem Stuhl bewegt. „Ich höre dein Herz schlagen", sagte sie zu ihm gewandt. Er drehte sich zu ihr um. „Kannst du auch meins hören?". Er schaute sie an und schüttelte den Kopf. „Nein. Das kann ich nicht", gab er ihr zu verstehen. Sie sah ihn neutral an. Und auf einmal begann sie weiter zu sprechen. Er hatte sie vorher nie sprechen hören. Geschweige denn richtig anschauen können. Ihre langen braunen Haare waren hochgesteckt und sie war blass. Ihre grünen Augen waren glasig und leer, als sie ihn anschaute. „Ich höre die Regenwürmer, wie sie sich in der Erde bewegen",sagte sie. „Ich spüre, wie mich der Vogel aus puren Feuer anschaut. Ich höre seine Flügel schlagen im Wind". Lucien wusste nicht was er dazu sagen sollte. Jessica verstummte danach. Er ging auf sie zu, den Blick auf sie geheftet. „Du kannst das ausblenden", sagte er leise zu ihr. Sie erhob dem Kopf. Er stand vor ihr. Sie schaute ihn an. Ihr fiel auf, dass er seine langen roten Haare halb offen trug und eine Narbe im Gesicht hatte. Sein linkes Auge war kein richtiges Auge, sondern ein Metall Auge und es war golden. Es klickte nach jeder Bewegung die er damit machte. Er war ziemlich groß. Lucien beugte sich tiefer zu ihr runter, um besser mit ihr sprechen zu können. „Konzentriere dich auf eine Sache", sagte er und tippte dabei auf seine Brust, genau auf die Stelle, wo sein Herz drunter schlug „Wie zum Beispiel auf meinen Herzschlag", sagte er und Jessica versuchte es. Sie versuchte alle Nebengeräusche auszublenden und nur auf den Herzschlag zu hören. Die Welt wurde still. In ihrem Kopf wurde es still. Sie schloss dabei ihre Augen, um den Prozess zu erleichtern und sich wirklich nur auf das eine, auf seinen Herzschlag zu konzentrieren. Im nächsten Moment war es weg. Sie konnte seinen Herzschlag nicht mehr hören. Sie öffnete ihre Augen und er war weg. Die Welt war still und im nächsten Moment tauchte er wieder auf. Sie erschreckte sich und seine Mundwinkel gingen leicht nach oben. „Ganz schön still, wenn man sich nur auf eine Sache konzentriert, was?", fragte er und blieb vor ihr stehen. Lucien wollte ihr damit zeigen, dass es auch gefährlich sein kann sich nur auf eine Sache zu konzentrieren und alles andere auszublenden. „Behalte immer einen groben Überblick", sagte er „Versuche nicht zu viel auszublenden, sodass du Gefahren nicht mehr spüren kannst", erklärte er ihr mit einem festen Blick. Jessica verstand und nickte. Sie war dankbar dafür, dass er ihr geholfen hatte. Sie dachte, dass er sich gar nicht vorstellen könnte, wie sehr er ihr damit geholfen habe.
Lucien schaute auf den kleinen Beistelltisch und erblickte die Uhr. „Ich muss jetzt wieder weiter", sagte er und verbeugte sich vor ihr. „Es war mir eine Freude mich mit dir zu unterhalten, Jessica", sagte er zu ihr bevor er wieder verschwand. Sie verstand nicht, wie er einfach verschwinden konnte. Sie wollte ihm hinterher. Fragen wer er war. Wie sein Name lautet. Sie wollte ihn fragen, warum er ihr so bekannt vorkam. Aber er war verschwunden und somit auch sein Herzschlag. Die Welt wurde wieder still und somit konnte Jessica sich endlich entspannen. Sie musste es Thad zeigen. Sie konnte sich nur vorstellen, dass es ihr genau so geht. Und als sie in ihre Richtung schaute, bemerkte sie erst dann, dass Thad zugehört hatte und nicht mehr auf den Boden blickte. Sie saß aufrecht auf ihren Stuhl und hatte ihre Augen geschlossen.

A court of fire and shadow | ACOTARWhere stories live. Discover now