Kapitel 4.1 "... nur eine Lektion."

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Meine Chancen ihm auszuweichen, liegen bei null. Also flüchte ich in Richtung Klippe, um einen großen Bogen um Noah zu erzielen. Prompt nimmt er meine Verfolgung auf und ich beschleunige hektisch meine Bewegungen.

Kein Zweifel, er will zu mir.

Meine Glieder werden schwerer und mir geht allmählich die Puste aus. Ich bin keine super Schwimmerin, aber bisher kam ich gut damit klar. Es liegt eher an der Angst, dass Noah mich so penetrant bedrängt. Schon wieder. Ich will ihn weder sehen noch mit ihm sprechen, verdammt! Warum versteht er das nicht?

Mit 16 habe ich ihn kennengelernt, als er an unsere Schule wechselte. Lara hatte schon damals einen guten Riecher und fand ihn sofort merkwürdig. Sie sagte, wir würden nicht zusammenpassen, und wer hätte das gedacht, sie lag goldrichtig. Aber im pubertären Alter sehnt man sich nach jedem Funken Aufmerksamkeit, besonders wenn sie von einem großen, starken Kerl mit tiefblauen Augen kommt. Wir waren zwei Jahre zusammen, bis Lara herausfand, dass er während meines 3-monatigen Komas Mädels aus der alten Schule besuchte und parallel eine weitere Beziehung führte, um seine Bedürfnisse zu stillen. Der Mistkerl ist der Meinung, alles machen zu dürfen, ohne Reue und Konsequenzen. Der perfekte Macho eben. Dass ich dabei im Sterben lag, war ihm scheißegal und erst recht keine Entschuldigung. Enthaltsamkeit ist für sein Ego ein Fremdwort. Lächelte mir ein Kerl hingegen nur mal zu, flippte er vollkommen aus. Eifersucht war an der Tagesordnung, sogar in Schlägereien hat er sich rein manövriert. Im Nachhinein frage ich mich, wie ich das so lange aushalten konnte. Ein gesunder Menschenverstand sieht anders aus. Als ob ich damals nicht schon genug Probleme hatte, kam auch noch ein gebrochenes Herz dazu. Egal wie verkorkst er manchmal war, ich liebte ihn. Die Wut über meine Naivität und Dummheit war nach der Trennung das Schlimmste. Man beginnt an sich selbst zu zweifeln und alles infrage zu stellen. Doch die Erfahrung machte mich stärker und wappnete mich fürs Leben. Die Schuld der anderen werde ich nicht auf mich laden. Und für sein Doppelleben war definitiv er verantwortlich.

Mein Ziel ist fast erreicht und ich bin am Ende meiner Kräfte. Mit einem Zeh spüre ich den schlammigen Boden, kann aber noch immer nicht stehen. Die Klippe zu meiner linken ist nur noch einen Katzensprung von mir entfernt, das zeigt wie viel Meter ich hinter mir gelassen habe. Ich hoffe nur aus dem Wasser zu kommen, bevor Noah mich erreicht.

Mit letzter Kraft zwinge ich meine Muskeln zum Arbeiten und schwimme zum Ufer.

„Zieyana, warte!", höre ich Noah hinter mir brüllen.

Ich denke gar nicht dran und schwimme zielorientiert und keuchend weiter. Noch ein paar Schwimmzüge und ich habe sicheren Boden unter den Füßen.

Völlig atemlos und mit zitternden Beinen kann ich endlich auf dem sandigen Kiesboden stehen und haste zügig aus dem Wasser. Bei jedem Schritt versinken meine Füße etwas im Matsch.

Abrupt werde ich an der Schulter gepackt und zurückgehalten. Noah hat mich eingeholt und tritt neben mich. Mir reicht das Wasser noch bis zur Taille, ihm gerade mal bis zur Hüfte.

„Lass mich in Ruhe, Noah! Was verstehst du daran nicht? Verpiss dich einfach!" Ich kreische förmlich und drehe ihm außer Atem den Rücken zu. Raus aus dem Wasser, das ist mein einziger Gedanke.

Nicht einmal zwei Schritte schaffe ich, als er seine langen Arme fest um meine Schultern schlingt und mich schroff zu sich dreht.

„Rede nicht so mit mir", flüstert er mit heißem und widerlich nach Bier stinkendem Atem an mein Ohr. Der Ekel verzerrt mein Gesicht und ich versuche alles, um seinen Griff zu lösen.

Vergebens.

Eine Bosheit liegt in seiner Stimme und das spöttische Lächeln, das ich raushören kann, setzt meine feinen Nackenhärchen auf. Er empfindet Freude daran, mir Angst einzujagen und mich ganz klein aussehen zu lassen. Jeder soll wissen, dass er das Sagen hat.

Fieberhaft starte ich einen erneuten Versuch, zerre an seinem Arm und schaffe es endlich, mich aus seiner Zwickmühle zu winden. Mit erhöhtem Herzschlag will ich einfach weg von ihm. Plötzlich spüre ich eine Hand um meine Kehle, die mich mit voller Wucht nach hinten ins Wasser drückt.

Mir entweicht die Luft in einer riesigen Blase. Wie dumm dieser verdammte Reflex doch ist, immer schreien zu müssen.

Das dumpfe Rauschen des Wassers und das Plätschern der tobenden Menschen dröhnen in meinen Ohren. Meine schwarzen Haare gleiten um mein Gesicht und erschaffen eine furchteinflößende Dunkelheit. Ich zapple wie ein gefangener Fisch an Land.

Panisch kratze ich an Noahs Arm und drücke mit aller Kraft dagegen. Das Wasser sickert brennend durch meine Nase, ich schmecke das dreckige Wasser. Meine Lunge steht in Flammen und kreischt nach Sauerstoff, während mein Verstand vor Panik an nichts anderes mehr denken kann.

Endlich lässt Noah von meiner Kehle ab und ich tauche auf. Jedoch schnappe ich zu schnell nach Luft und lasse stattdessen das aufgewühlte Seewasser in meine Lungen.

Mit bellendem Husten und Krächzen versucht mein Körper das Wasser wieder zu verbannen. Das Ringen nach Sauerstoff ist so laut, dass andere sich nach mir umdrehen. Aber Noah gestikuliert mit beruhigenden Gesten, dass alles in Ordnung sei und klopft mir vorsichtig auf den Rücken, um seiner Lüge mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Dieser narzisstische Mistkerl. Er hat mich NUR für Sekunden unter Wasser gedrückt, aber es reicht aus, um Todesangst vor ihm zu haben.

„Hau nicht immer ab, wenn ich mit dir rede! Du weißt, dass ich das hasse." Er schaut mich nachdrücklich und genugtuend an. Seine Augen zu engen Schlitzen verengt.

Meine Atemwege brennen, als hätte ich flüssige Lava inhaliert. Ich darf ihn auf keinen Fall weiter provozieren, wer weiß zu was er noch imstande ist.

„Ja...", ich huste, „entschuldige... Was möchtest du mir sagen?" Ich reise mich zusammen und wähle meine Worte mit Bedacht. Jeder Zentimeter meines Körpers zittert unkontrolliert, aber ich kann es nicht stoppen.

Er hebt erneut seine Hand und die Panik schießt durch mich hindurch. Ich schnappe instinktiv nach Luft, kneife die Augen zusammen und rücke zurück.

Als mich seine knochige Hand nicht erreicht, öffne ich nervös die Augen und blicke auf kräftige, breite Schultern.

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