Kapitel 5.2 „Du hast es versprochen."

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Die Dusche tat unglaublich gut, aber als ich aus dem Bad trete, ist es mucksmäuschenstill. Jetzt sag bloß, er ist abgehauen?

Wieder auf hundertachtzig stampfe ich in mein Zimmer. Wenn er da nicht ist, wird er sein blaues Wunder erleben.

Doch mein wütender Ausdruck wandelt sich schnell in Fassungslosigkeit. Er ist nicht verschwunden, - im Gegenteil, er schläft seelenruhig in meinem Bett. Der Typ überspannt jeden Nerv in meinem Körper.

Er liegt auf dem Bauch, ein Arm über seinem Kopf verschränkt und der andere unter meinem Kissen. Zu meiner Verwunderung ist er bis zu den Schulterblättern zugedeckt, dabei ist die Schwüle doch kaum auszuhalten.

„Hey!" Ich trete näher zu ihm. „Aufstehen!"

Mir fallen weiße Linien auf seinem gebräunten Rücken auf. Das sieht aus wie ein - Tattoo?

In Zeitlupe schiebe ich die Decke bis zur Hüfte runter und starre auf seine über den ganzen Rücken verlaufende Tätowierung. Zwei gefaltete Engelsflügel. Jede einzelne Feder ist weiß umrandet und mit feinen Linien ausgefüllt. Das ist die bisher schönste und außergewöhnlichste Tätowierung, die ich jemals gesehen habe. Das weiß der Farbe ist kein bisschen verblasst, als wäre es frisch gestochen. Jedoch ist die Haut kein bisschen gereizte. Ich habe das starke Bedürfnis, über seinen Rücken zu streichen, aber halte mich zurück.

Beim weiteren betrachten fällt mir eine einzelne Feder, an seiner rechten Hüfte auf. Als hätten die Flügel diese verloren. Aber es ist keine Tätowierung mehr, sondern eine hypertrophe Narbe. Das verletzte rötliche Gewebe ist stark nach oben gewölbt. Als hätte ihm jemand eine glühende Eisenfeder in die Haut gebrannt und nicht verarztet. Das müssen höllische Schmerzen bereitet haben. Wer würde so etwas tun? Und warum?

Wo kommt das Tattoo überhaupt her? Den halben Tag hatte ich seinen kräftigen Rücken vor Augen, da war definitiv kein Tattoo und erst recht keine Narbe. Wieso taucht das jetzt auf?

„Aiven?" Ich rüttele an seiner Schulter.

Keine Reaktion.

Ich berühre seine von leichten Schweißperlen bedeckte Stirn. Noch immer warm. Seine Schnappatmung deutet nicht gerade auf einen erholsamen Schlaf hin.

Mom hat sicher in ihrem Apothekenschrank Paracetamol oder Ibuprofen drin. Sie leidet ab und zu an Migräne und hat daher immer Medikamente zu Hause.

Ich eile nach unten und hole die Tabletten. Auf dem Rückweg treffe ich auf meinen neugierigen Opa, der mich besorgt mustert. Doch nachdem ich von meinen vermeintlichen Unterleibsschmerzen berichtet habe, geht er beruhigt seiner Tätigkeit im Garten nach. Junge Frauen mit Bauschmerzen ist nun wirklich nichts Alarmierendes und was Besseres ist mir auf die Schnelle nicht eingefallen.

Oben lege ich die Tabletten auf den Esstisch und will gerade ein Glas holen, als Aiven aus dem Badezimmer kommt und währenddessen sich sein T-Shirt über den Kopf zieht. Mein verwirrter Blick entgeht ihm nicht.

„Ich muss dringend weg. Wir reden später."

Schlagartig werde ich wütend. „Was heißt hier später? Ich glaube du verstehst nicht, wie wichtig mir das ist. Du hast es versprochen. Ich brauche dringend Antworten, Aiven!", meine Stimme wird lauter. Das wars jetzt mit der Sorge.

Mich ignorierend, schlüpft er in seine Sneakers.

„Aiven!"

„Ich habe keine Zeit es dir zu erklären. Es tut mir leid, bis später. Und mach keinen Mist, solange ich weg bin. Ich kümmere mich um eine Vertretung, aber bleib trotzdem zu Hause! Bis dann."

Ohne eines weiteren Blickes stürmt er aus der Haustür. Na wenigstens springt er nicht vom Balkon.

Fassungslos starre ich die Tür an. Ist das jetzt wirklich passiert? Hat er mich schon wieder im Stich gelassen? Er kann sich doch vorstellen, wie wichtig mir das ist. Ich habe verdammte Superkräfte! Und er ist der Einzige der mir helfen kann.

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