Kapitel 5.1 „Du hast es versprochen."

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Auf dem Weg zur schwarzen Wendeltreppe, die zu meiner Etage führt, drehen sich auch meine Gedanken wie im Karussell. Wie fange ich am besten das Gespräch an? Welche Fragen sind mir die wichtigsten, falls er auf einmal beschließen sollte, wieder dichtzumachen? Oder kennt er überhaupt die Antworten?

Meine Nervosität lässt sich kaum verbergen.

Vor der Treppe bleibe ich unvermittelt stehen und zupfe unsicher an meiner Tunika, die nicht gerade länger wird, nur weil ich plötzlich beschließe, dass sie mindestens 30 Zentimeter mehr Stoff benötigt.

„Du kennst ja bereits den Weg." Ich gestikuliere ihm den Vortritt mit meiner Hand. „Bitteschön."

Aiven seufzt und läuft an mir vorbei die Treppe rauf. „Hab schon verstanden. Ist ja nicht so, dass ich was verpasse."

Für ein Moment bin ich völlig konfus. Das war fies und beleidigend zugleich, oder? Und hat er etwa die Augen verdreht? So ein Arsch.

„Den Kommentar hättest du dir sparen können", blaffe ich und laufe ihm nach.

Sein Gang ist schwerfälliger geworden und genau das Gegenteil von seinen sonst so geschmeidig starken Schritten. Er hält sich krampfhaft am Geländer fest, als könnte er jeden Moment umkippen. Was ist bloß los mit ihm?

Ich krame in meiner gigantischen Strandtasche nach dem Schlüssel und streife versehentlich Aivens Oberarm mit meiner Schulter. Ruckartig schweift mein Blick besorgt über sein gerötetes Gesicht und in seine glänzenden Augen. Trotz der Schwüle, spüre ich eine glühende Hitze aus seinem Körper strömen, als würde er in Flammen stehen.

Seine Augen sind zu schmalen Schlitzen verengt und blicken angestrengt auf meine Haustür, als könnte er sich kaum noch auf den Beinen halten. Ich krame erneut nach dem verdammten Schlüssel.

Mit dem Klicken des Schlosses kehrt er in die Realität zurück und drängt sich zügig an mir vorbei.

„Darf ich kurz duschen?", fragt er, ohne mich anzusehen.

Mit Sicherheit schwindet jegliche Farbe aus meinem Gesicht. In Kombination mit dem offenstehenden Mund muss ich ein ziemlich dümmliches Bild abgeben. Was soll das werden? Will er sich wieder über mich lustig machen, weil er sich denken kann, dass ich so besabbert aus der Wäsche gucke, als hätte er angeboten, mit MIR duschen zu gehen?

„W... Wieso? Ist das dein Ernst?"

„Sehe ich so aus, als hätte ich Bock auf ein witziges Wortgefecht? Du musst mir ja dabei nicht zusehen."

„Warst du eigentlich schon immer so mürrisch, oder hast du deine Kommunikationsfähigkeit gegen die flotten Flügel getauscht?", kontere ich und hoffe, dass mein verräterisches Herz aus einem anderen Grund kurz ausgesetzt hat. „Aber du hast recht, du siehst wirklich beschissen aus, vielleicht tut dir und deiner Laune eine Abkühlung tatsächlich gut. Ich bringe dir ein Handtuch. Das Bad ist da vorne rechts."

Natürlich ist da nichts dabei, wenn er hier duscht. Falls es ihm hilft, dann solls mir recht sein. Aber er sollte mal über seine Wortwahl nachdenken. Was glaubt er, wer er ist?

Ich laufe auf den Balkon und hole ein inzwischen trockenes Handtuch, das ich kurz vor der Abfahrt noch aufgehängt habe.

Aiven ist seit der ersten Begegnung einfach unausstehlich und trotzdem kann ich eine gewisse Sorge um ihn nicht unterdrücken. Er hat mir mit Noah geholfen und somit was gut bei mir. Bis vor kurzem hat mir nur seine Stimme Angst und Panik bereitet und jetzt? Jetzt lasse ich ihn in meine Nähe und sogar in meine Wohnung. Ich muss wahnsinnig sein.

Aiven ist bereits im Badezimmer und sitzt am Wannenrand, als ich mit einem großen Handtuch hereinkomme. Sein T-Shirt ist ausgezogen, die Hände an der Wanne stützend und der Kopf zu Boden gesenkt. Er wirkt völlig abwesend und hat mein reinkommen nicht einmal bemerkt. Sein erschöpfter Anblick lässt meine Wut augenblicklich verpuffen. Jemand sollte mir einen Arschtritt verpassen, weil ich so viel Mitleid mit ihm habe.

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