Kapitel 13b

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Flordelis Vanyeridis

In den nächsten Stunden war es der Wald, der die Stille mit einer Fülle an Geräuschen aus der urtümlichen Natur des Kronlands durchströmte. In jenen Winkeln zwischen den Kiefern vor den Ausläufern der Donnerberge mochte man meinen, es hätte den Brand der alten Tempelanlage hinter ihnen gar nicht gegeben. Obwohl die Füße der Kopfgeldjägerin nach den Strapazen nur langsam durch das Buschwerk kamen, erschien das Unglück unter den lichten Wedeln der Tannen mit einem Mal so weit fort, dass man es gar nicht als Teil jener heilen Welt betiteln wollte. Noch nicht einmal die stechenden Noten des Rauchs schien der Wind noch bis zu den Bergen zu tragen.

Die Vögel sangen.

Hoch oben in den Wipfeln zwitscherten die kleinen und großen Federtiere mit den ersten Strahlen der Sonne um die Wette und verwandelten den Waldpfad in eine Bühne, die den Chor der Natur durch alle Gefilde des Bergvorlandes trug. Raschelnd stimmten die Wedel der Tannen in den Gesang der Vögel mit ein, als würde der Wind aus dem Hochland leise flüsternd von all den Ländern in der Ferne erzählen. Der Geruch von Harz erfüllte die Luft mit einer würzigen Note aus den Bergregionen und mengte der wilden Atmosphäre des Waldes im Süden der Kronstadt noch eine ganz andere Geschmacksrichtung bei, die Flordelis ein wenig an die freien Glasreiche im Norden des Kronlands erinnerte. Es war, als träfen sich an jenem Punkt die unterschiedlichen Reiche von Irden in diesem Wald, um vor den Donnerbergen in den wärmer werdenden Strahlen der Sonne zu tanzen.

Sie konnte es schmecken.

Das Leben in allen Facetten.

Weil ihr der Tod noch immer mit kalten Händen im Nacken saß, fühlte sich der Moment lebendiger an als all ihre Jahre zuvor.

Sie war nicht gut Freund mit ihrer Situation. Im Gegenteil. Aber ein Teil ihrer Seele wusste nach den Ereignissen in den Katakomben des Tempels die simple Tatsachenlage zu schätzen, dass sie noch in der Lage war, diesen Duft bis an den Grund ihrer Lungenflügel einsaugen und genießen zu können.

Sie war am Leben.

Sie lebte.

Sie hatte überlebt.

Für gewöhnlich kein Umstand, den sie nach den zahlreichen Kurven ihres Ewigenlebens besonders würdigte. Aber nun ...

Er war nötig; der eine Moment des Friedens.

Wäre da nicht eine leise Stimme, die ihr mit den Glockenspielen des Windes ins Ohr flüsterte.

Es war nur die Stille vor dem Sturm.

Eigentlich wollte sich Flordelis Vanyeridis fürs Erste gar nicht mehr mit dem Söldner und seiner seltsamen Begleitung befassen, wollte ihren rauchenden Schädel garantiert nicht mit weiteren Verwicklungen füttern oder sonst über die Geschehnisse des vergangenen Tages nachdenken. Sie hegte nicht das geringste Interesse daran, diesen einen kostbaren Augenblick der Ruhe nach all den Ängsten, den Zerdenkereien und Gefühlen mit etwas anderem als Stille zu füllen. Im Grunde hätte sie sich sowieso am liebsten rücklings in die Büsche fallen lassen und die wärmenden Flecken der Sonne, die sich einen Weg durch die dichten Waldwedel der Tannen über ihren Köpfen brach, auf ihrem Gesicht genossen.

Aber ein anderer Teil von ihr wusste, dass es unmöglich war. Vor allem unklug, einfach nur seine Ruhe haben zu wollen.

Noch war nicht die Zeit, um auszuruhen.

Sie konnte sich ohnehin nicht erinnern, wann jemals Zeit dazu gewesen wäre.

Nein, noch war der Grund allen Übels noch nicht in allen Lagen ausgestanden und es wäre mehr als nur töricht gewesen, anzunehmen, dass sich das Unglück ihres Begleiters nach der Gefangennahme durch die Rotkuttenrebellen verflüchtigt hatte. Ihr eigener Fluch klebte der Kopfgeldjägerin noch immer wie ein Schatten an den Fersen und verfolgte sie selbst in diesen Augenblicken noch wie ein hungrig lauerndes Untier durch die Büsche, nur darauf wartend, in einem geeigneten Moment mit Zähnen und Krallen auf sein wehrloses Beutetier zu springen.

Ein Schwert aus Rabenblut: Der Durst einer SeeleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt